Freitag, 31. März 2023

# 009 Volksstimme Schlagzeilen im März 2023

  •         Hochhausträume für die Innenstadt
  •         Bauchlandung für den Intel-Ausschuss
  •         Gelingt der Umbau? Diskussion am IWH in Halle:
  •         Mikrochip-Experten kommen bald aus Magdeburg
  •         Die neue Willkommenskultur
  •         Große Pläne für den Wohnungsbau in Magdeburg
  •         Noch mehr Bauland in Ottersleben?
  •        1993 Der Chip-Produzent Intel beginnt mit der Auslieferung des Pentium Prozessors.
  •         Uni stellt Weichen für Intel
  •         „Niemand steht Schlange“, Intel-Miesmacher des IWH
  •         Intel-Streit: CDU stellt IWH in Frage
  •         Ostbeauftragter rügt Intel-Aussage des IWH
  •         Karl Gerhold, geschäftsführender Gesellschafter der Getec-Gruppe, kritisiert „fragwürdige Thesen“
  •         Intel-Streit: Kritik am IWH spitzt sich weiter zu
  •         Wohnungsgenossenschaft kontert Kritik zur Intel-Ansiedlung
  •         Bördeboden besser nutzen
  •         Intel: Oberbürgermeisterin kritisiert Wirtschaftsforscher. Harsche Replik von Borris
  •         Dubiose Ausschreibung für Intel-Posten
  •         IWH-Chef plädiert für einen Wirtschaftsbeirat
  •         Magdeburg genau richtig
  •         Wirtschaft im Land kritisiert das IWH
  •         „Intel-Förderung ist sinnvoll“
  •         Von einem, der alles weiß
  •         Chip-Pionier Gordon Moore gestorben
  •         Intel-Streit: IWH und Minister im Gespräch
  •         In Magdeburg werden Büroräume knapp
  •         Intel sitzt und putzt jetzt am Hassel
  •         Land offen für höhere Intel-Hilfen
  •         Intel-Ansiedlung ist wie die Mondlandung

Donnerstag, 30. März 2023

# 010 Die zweite Meinung in einem Zuge - März 2023

 

Steht man vor einer wichtigen Entscheidung, wie zum Beispiel einer Operation oder anderen medizinischen Maßnahme, soll man eine zweite Meinung, neudeutsch „second opinion“, von kompetenter Seite einholen.

So geht es mir beim Thema „Wasser“, oder, genauer gesagt, mit der „Wasserbilanz“ im Hinblick auf den Klimawandel und im Kontext der Intel-Ansiedlung. Neben dem Gespräch mit Jörg Claus war meine Hauptquelle eine Broschüre aus den Jahre 2021: Klimamodellauswertung Sachsen-Anhalt 1961 – 2100“, herausgegeben vom LAU, dem Landesamt für Umweltschutz des Landes Sachsen-Anhalt in Halle.

Die zweite Meinung hole ich am vorletzten Märztag ein, im letzten Wagen des IC 2446 von Halle nach Magdeburg. Ich sitze darin, von Chemnitz kommend, und warte beim Halt in Halle auf meinen Gesprächspartner: Dr. Karsten Rinke vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung, kurz UFZ genannt. Wir hatten vor einigen Tagen beim Telefonieren festgestellt, dass wir auf dem Rückweg von Veranstaltungen heute zufällig im gleichen Zug sitzen würden. Ja, solche Zufälle gibt es wirklich. Er wird gleich aus dem ICE von Erfurt umsteigen. Da wir uns noch nicht persönlich begegnet sind, haben wir diesen Wagen als Treffpunkt und wie für ein konspiratives Rendezvous Erkennungszeichen vereinbart. Er: leuchtend hellblaue Jacke. Ich: breitkrempiger schwarzer Hut.


Ich komme

aus Chemnitz, von einem von mir initiierten Treffen von Vertretern und Vertreterinnen der freien Kulturszenen der ehemaligen Bewerberstädte für die europäische Kulturhauptstadt 2025.

Ja genau, da war doch etwas, das Magdeburg bis vor zwei Jahren auch sehr stark bewegt, viel Aufwand und Energie gekostet hat. Ein großes Anlaufen im Versuch, als Stadt wieder in europäische Dimensionen vorzudringen und weithin wahrgenommen zu werden. Auch damals gab es Für und Wider, Zweifler, Optimistinnen, Hoffnungsträger und Miesmacherinnen. Damals – es fühlt sich an, als wäre das schon 10 Jahre her – bekamen die Desillusionisten ihre Bestätigung. Wir hätten, trotz Euphorie nach dem Erreichen der Endrunde, nie eine Chance gehabt. Danach erlebten die schnell geschmiedeten „B“-Pläne, die bis 2030 reichten, eine nachhaltige Bruchlandung. 

Alle Pläne? Nein! Da gibt es, versteckt in den noch freien kulturellen Nischen der damaligen Bewerberstädte, den Plan „C“ der unerschrockenen und resilienten Aufrechten, die sich an den Schwur der freien Szenen von 2018 erinnern: Egal, welche Stadt den Zuschlag erhält, die freien Kulturszenen der unterlegenen Städte und Regionen, sollen, unterstützt von der lokalen freie Szene der dann ernannten Kulturhautstadt Europas, die Möglichkeit bekommen, sich gemeinsam, also jetzt, bei „Chemnitz 2025“, einzubringen. Dafür wurde nun am Vortag der Anfang in Chemnitz mit den ersten Projektideen vollzogen.

 

Exkurse

Mein IC wartet immer noch auf den etwas verspäteten ICE aus Erfurt. Im Zugabteil arbeitet sich am benachbarten Viererplatz mit Tisch eine junge Frau in einem exotisch, aber modern wirkenden Hosenanzug, vielleicht eine Studentin, an einem Schriftstück ab. Plötzlich kommt sie zu mir und fragt in gebrochenem Deutsch, ob ich ihr helfen könne. Sie würde gerade einen Deutschkurs, Stufe C2 machen. Sie müsse Textlücken mit den richtigen Pronomen füllen, die sie einer Liste entnehmen soll. Sie weist auf eine Lücke, ich zögere, weil ich erst aus dem Kontext ableiten muss, ob Plural oder Singular gemeint ist, entschuldige mich, dass ich nicht so sicher in der Grammatik bin, obwohl ich Texte schreibe, dafür aber von einem versierten Lektor unterstützt werde. Ich weiß nicht, ob sie das versteht. Sie schaut mich verwundert an, als ich schnell meinen Hut aufsetze, denn der Erfurter ICE ist angekommen. Viele Passagiere queren eilig den Bahnsteig in unseren Zug. Ich halte Ausschau nach einer leuchtend hellblauen Jacke. Karsten Rinke und ich finden und begrüßen uns, während der Zug anrollt und eine längere Lautsprecherdurchsage die Kommunikation erschwert. Gleichzeitig bittet die Studentin, höflich, aber bestimmt, um weitere Hilfe, jetzt von uns beiden. Unser Tipp „ihren“ einzusetzen, funktioniert nicht, weil sie diese Pronomina schon „verbraucht“ hat. Also muss ein Fehler vorliegen. Sie radiert alles aus, um mit uns den ganzen Text durchzugehen.

Karsten Rinke versteht es, mit der Frau ins Gespräch zu kommen. So erfahren wir, dass sie aus Venezuela kommt und in einigen Tagen die Prüfung ansteht. Er macht ihr freundlich klar, dass wir eine Besprechung geplant haben, die wir bis Magdeburg zu Ende bringen müssen und dass wir sie leider nicht weiter unterstützen können.

Karsten Rinke ist ein sportlicher, drahtiger Typ, er wirkt offen und sympathisch, vielleicht um die 50, eher jungenhaft als väterlich. So überzeugt er unsere ratsuchende Mitreisende, die zuerst etwas hilflos lächelt, sich aber dann mit ihrem Heft auf ihren Platz zurückzieht und sich wieder über das Aufgabenheft beugt.

Ich entledige mich meines Hutes und Karsten Rinke seiner Jacke. Er berichtet, dass er von einem Kongress zum Thema „Seen“ kommt. Das wäre sein Spezialgebiet, nicht das Grundwasser, aber er will mir trotzdem gern bei dem Thema helfen. Ich schildere ihm, was ich in Sachen Landwirtschaft und Wasser erfahren und sonst noch recherchiert habe. Er hört sich alles an. Als ich kurz innehalte, fragt er, ob ich fertig sei. Ich bin etwas verdutzt. Er klärt mich freundlich auf, dass ich ruhig weitersprechen, aber mich nicht wundern solle, dass er nur zuhöre und so erfahre, auf welchem Stand ich bin und welche Fragen für ihn daraus folgen.

Fakten, Fakten, Fakten

In der Zugdurchsage wird schon Köthen angekündigt, so beende ich erstmal meinen Vortrag. Was sagt er dazu? Er reiht Vergleichszahlen und zeigt Zusammenhänge in schneller Folge, relativiert die eine oder andere meiner Einschätzung, weiß auf viele meiner Fragen Antworten, bei einigen, die nicht in das Tagesgeschäft seiner Expertise gehören, lässt er Fragezeichen stehen. Ich kann gar nicht so schnell mitschreiben. War das vorhin Liter pro Tag oder pro Kubikmeter je Monat? Waren 500 Millimeter Jahresniederschlag früher oder jetzt?


Ich resümiere: Der genaue Intel-Wasserbedarf ist ihm nicht bekannt, aber ausgehend von der Größe, die für den Wasserverbrauch der wohl vergleichbaren Intel Chip-Fabs in Irland genannt wird, also ca. 600.000 m³ je Monat in der ersten Ausbauphase, wäre das eine
beherrschbare Größenordnung. Das bestätigte schon sein Institutskollege im letzten Sommer gegenüber dem MDR. Die Kapazitäten im Wasserwerk Colbitz wären allerdings dafür nicht ausreichend, so dass man perspektivisch ein Wasserwerk an der Elbe bauen sollte, mit Wasserentnahme aus dem Uferfiltrat. Die Entnahme, selbst bei extremem Niedrigwasser, wäre weniger als ein Prozent vom Elbdurchfluss, also unproblematisch.

Das Problem für der Elbe besteht nicht in der zusätzlichen Wasserentnahme durch Intel in Magdeburg - das Problem ist vielmehr, dass die Elbe von vorn herein einen viel zu geringen Pegel hat, der Menschen-gemacht ist. Dieser Menschen-gemachte Wassermangel verstärkt die Probleme, die der Klimawandel uns bringt und daher müssen wir unser Wassermanagement anpassen. Zu verhindern gilt es, dass Wasser schnell aus der Landschaft abfließt (z.B. durch hohe Flächenversiegelung, Entwässerungssysteme, Drainagen, ... auch auf dem Intel-Gelände), sondern eher in den Grundwasserspeicher der Landschaft infiltriert. Aus diesem Speicher rekrutiert sich ja der Niedrigwasserabfluss der Elbe. Ein weiterer Punkt ist der Flussverbau. Durch die Buhnenfelder und die Aufrechterhaltung der Schiffbarkeit hat sich die Elbe mancherorts über zwei Meter in die Landschaft eingetieft und lässt dadurch die Auen vertrocknen und entzieht der Landschaft noch tiefere Grundwasserschichten.

Grundwasserentnahmen an anderen Stellen in der Region käme nicht in Frage, da seit 2010 der Grundwasserspiegel zusätzlich durch die aufeinander folgenden trockenen Jahre insgesamt um ca. einen Meter abgesunken ist. Dass solche trockenen Jahre so gehäuft und mit diesem Effekt auftreten, hätten er und seine Wissenschaftskollegen und -kolleginnen sich noch vor ein paar Jahren nicht träumen lassen.

Karsten Rinke wird konkret: Durch weitere Maßnahmen, wie geschlossene Wasserkreisläufe mit Reinigung und Wiederverwendung und Gebrauch von Wasser mit unterschiedlichen Qualitäten für verschiedene Nutzungen, könnten die Wasserressourcen insgesamt effektiver genutzt werden. Die Investitionen in Wasser- und Abwasserwerke mit den Leitungen seien natürlich erheblich, aber würden die Wasserkosten trotzdem in wirtschaftlichen Grenzen halten. Die Resilienz der Wasserversorgung für Magdeburg wäre, mit einem zusätzlichen Wasserwerk an der Elbe, in schwierigen Situationen, wenn es z.B. in Colbitz mal knapp werden würde, größer.

Nach diesem stürmischen Wellenritt durch die Wasserwelt der Börde rauschen wir schon durch Schönebeck und haben sogar noch Zeit, uns über unsere Herkunft und Lebensumstände zu unterhalten, auch darüber, und wie wir beide als Magdeburger Neubürger mit der Mentalität der Magdeburger klarkommen.


IC – ICE – ICCE

Eine endliche Fahrzeit für Besprechungen wirkt effektiv. Bis zum Zielbahnhof muss man fertig sein:

Vielleicht könnte man daraus ein Geschäftsmodell machen. Sonderwagen mit unterschiedlich großen Besprechungsabteilen einsetzen, eine KI-Anwendung analysiert durch Data-Mining Gesprächs- und Kontaktbedarfe innerhalb von Konzernen und zwischen Unternehmen, kombiniert diese mit ohnehin anstehenden Dienstreisen und bringt so die Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen auf ICE-Strecken zu Konferenzen zusammen. Ein ICE würde so zum ICCE – einem Intercity Conference Express. Der würde dann auch in Magdeburg halten, weil die Intel-Ansiedlung über Jahre nicht nur konzernintern viele Gesprächsrunden erfordert. Was ist bei Verspätungen? Die geben Raum für gruppendynamische und teambildende Additional-Events. Zeit für Protokolle braucht man nicht. Die Tonaufzeichnungen werden von der KI automatisch transkribiert und schnell in kompakte, schnörkellos formulierte Dokumente verwandelt. Noch bevor die Konferierenden aussteigen, haben sie automatisch das Protokoll im Postfach, die verteilten Aufgaben und Termine in ihren ToDo-Listen und das nächste Treffen in den Terminkalendern.

Karsten Rinke und ich sind beim „Du“ und auf dem Magdeburger Bahnhofsvorplatz angelangt. Wir verabschieden uns. Er fährt mit dem Fahrrad weiter, Richtung Ostelbien, jenseits des Umflut-Kanals.

 Ich absolviere meinen Abendgang nach Hause und tangiere dabei den Hasselkreisel. „Intel sitzt und putzt jetzt am Hassel“, stand gestern groß in der „Volksstimme“, „mit 30 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im spitz zulaufenden ‚Plättbolzen‘ “. Hier wird die Intel-Mitarbeiterin ihren Arbeitsplatz haben, die ich neulich in München vermutet habe. Der „Plättbolzen“ ist so etwas wie der kleine, aber drei Jahre ältere Bruder des ikonografischen Flatiron Building in New York. Ich werde für meine Führung „Check den Hassel“ nun meine Ode an den Hassel ergänzen müssen.

 

Vorbehalte dahingeschmolzen

Intel-Office startet im „Plättbolzen“

Sieht aus wie das Flatiron Building

Little New York mit Hassel-Feeling

 

… oder so ähnlich.