Mittwoch, 29. März 2023

# 008 Im Märzen der Bauer … ein Fließtext aus 2023


Unaufgeregt soll meine Begleitung der Magdeburger Transformation sein. Das ist schwer. Ich beginne meine März-Betrachtungen am 22. Tag des Lenzmonats. Die aktuelle Gemengelage ist alles andere als unaufgeregt:

In Medien, die Köpfe und in die ukrainische Erde gräbt sich der Krieg täglich tiefer ein, die Künstliche Intelligenz wird gehypt und ist so präsent, dass man „KI“ nicht mehr erklären muss. Die Inflation ist weiter auf hohem Niveau und wird zusätzlich vom Bankenkrisen-Gespenst getrieben, das von der „Silicon-Valley-Bank“ losgelassen wurde. Der Stillstand des Reiseverkehrs – Bahn, Bus und Flugzeug –für einen Tag ist da nur eine Petitesse am Rande und wahrscheinlich schon nicht mehr in Erinnerung. Heute ist „Weltwassertag“, der spült den allgegenwärtigen Klimawandel wieder zurück in das natürliche Gewissen. Die Sinnfrage der Intel-Subventionen schwappt über die Grenzen von Sachsen-Anhalt und verwickelt Politik und Wissenschaft in oft scharfe Wortgefechte und mediale Diskussionen, die Kontrahenten tragen harte Bandagen. Man will aber jetzt auch miteinander reden.

Ein Aufregerthema, der Magdeburger City Tunnel, als unendliche Baugeschichte empfunden, wird am 1.April eröffnet, er ist befahrbar und wird vielleicht neuen lokalen Schlagzeilen Raum geben.  Derweil läuft sich der „Spiegel“ warm mit der Frage: „Intel: ist das >>Wunder von Magdeburg << in Gefahr?“

Der Frühlingsanfang zeigt sich mit Leckeis-to-go-Flaneuren in einem „Volksstimmeaufmacher“. Der Frauentag und Equal-Pay-Day wurde, mit Gleichberechtigungsblüten verziert gefeiert und hat wieder für ein Jahr Pause.

Es ist gut, dass ich auf den Anspruch verzichtet habe, die Gemengelagen rund um Intel in diesem Blog vollständig durchdringen zu wollen.

Zurück zum reduzierten Blickwinkel auf den Bördeacker, wo sich natürliches Wasser und Künstliche Intelligenz treffen.

 

Und der Zug rollt …

Kleinstbahnhof, eingleisig, an nicht elektrifizierter Strecke. Aber der kann ja noch wachsen.

Mein Blick schweift über den frischgepflügten Acker gegenüber. Da verläuft eine Hochspannungsfreileitung, wahrscheinlich zur Stromtrasse gehörend, die wegen der Intel-Ansiedlung verlegt werden soll. Mein Blick geht von rechts nach links, den Horizont entlang, der von ausgedehnten Logistikhallen begrenzt wird. Die in verschiedenen Grau- und Anthrazittönen gehaltenen Bemalungen der Fassaden fügen sich in das Farbspiel zwischen weiß-grauem Wolkenhimmel und Schwarzerde des Ackers ein.

Mein Rundblick vom Bahnsteig des Osterweddinger Bahnhofes hält dort inne, wo die kilometerlange schnurgerade Gleisstrecke sich scheinbar im Unendlichen auflöst. Von dort wird gleich mein Zug kommen. Vielleicht wird dahinten, rechts, einmal ein Gleis zum Intel-Werk abzweigen.

Eine neue Perspektive auf den Schienenstrang gewinne ich mit meinem Fotoapparat. Durch das aufgezogene Zoom sehe ich alles zwanzigmal näher. Auch wenn ich auf dem kleinen Display nicht alle Details erkenne. Ich kann die Kamera nicht so ruhig halten, dass das Bild bei dieser Vergrößerung nicht verwackeln würde. So werde ich zuhause mit KI das Verwackeln reduzieren und auf dem großen Bildschirm viele Details entdecken. Zum Beispiel, dass der Schienenstrang nicht im Unendlichen, sondern zwischen einigen Gehölzen und in einer Linkskurve verschwindet. Ich lege die Kamera an einer Strebe des Wartehäuschens an, um eine stabile Videoaufnahme meines Zuges zu erreichen. Ich halte fast die Luft an, um meine Körperbewegungen nicht auf die Kamera zu übertragen. Da kommt der Zug, nicht mit bloßem Auge, aber durch die Vergrößerung in Display der Kamera zu erkennen. Ich sehe ihn lautlos auf mich zufahren, er hat etwas Bedrohliches.

Da rollt es, geisterhaft-lautlos, unaufhörlich, weil nach Fahrplan, auf einer Zeitschiene, unaufhaltsam auf einen zu, geht unweigerlich seinen vorgezeichneten Gang. Unaufhaltsam. Hier der „Abellio“-Diesel-Triebwagen, dort das Intel-Projekt, man muss sich auf das Einsteigen einstellen, das Ticket lösen und zur Kontrolle bereithalten.

Im herangezoomten Bild ist der Zug scheinbar kaum in Bewegung, obwohl wahrscheinlich noch 80 bis 100 km/h schnell. Der Lokführer hat vielleicht gerade den Motor mit einem „Schnell-Aus-Knopf“ entkuppelt und gleichzeitig in den Leerlauf geschaltet.

Flash-back

So kenne ich es noch von meinem Vater. Er war Lokführer, als er mich als Junge auf seinen Dienstfahrten ab und zu mitnahm, im „VT-24-Dieseltriebwagen“. „Schnell-Aus-Knopf“ drücken, noch rollen lassen, dann ging es ans Bremsen. Es ist eine Kunst, einen Zug auf den Meter genau zum Halten zu bringen. Mein Vater sagte mal, dass sein Arsch mit der Lok oder dem Triebwagen verwachsen wäre, dass er das im Gefühl habe. Und kurz bevor der Zug steht, zwei, drei Sekunden vorher, schnell die Bremse komplett lösen, damit es keinen Ruck gibt.
Ob es heute noch so ist, weiß ich nicht, aber so habe ich es meiner siebenjährigen Enkeltochter Lia neulich erklärt. Vielleicht wird heute alles automatisch mit KI gemacht, die Zielkoordinaten liegen fest, ein Algorithmus bremst zentimetergenau und ruckfrei. Aber von dieser nüchternen Variante erzähle ich ihr später einmal, wenn sie ganz in der neuesten Welt angekommen ist. Jetzt lieber die romantische Variante mit ihrem Urgroßvater.
Da gibt es noch viele Geschichten von meinen Mitfahrten zu erzählen: Ich als kleiner Junge auf der riesigen Schnellzug-Dampflok 03 mit Heizer bis nach Norddeich-Mole. Von den quälerisch-- schnaufenden Güterzugloks mit zig Wagen Kohle vom Ruhrgebiet nach Emden, dann mit Kiruna-Eisenerz beladen wieder zurück. Ein männerfaustgroßes Eisenerzstück habe ich heimlich mit nach Hause genommen, es hat mich in meinen Kinderjahren begleitet.

Geschichten vom Dieselmonster V-200. Als Vierzehnjähriger durfte ich selbst damit „abfahren". 2200 PS „unter meinem Arsch" - mit ohrenbetäubendem Lärm, Schütteln und Vibrieren. Abgefahren!

Die Geschichte von dem Problem, das mein Vater hatte, als ich auf dem Bock der E-Lok durch den Bahnhof Osnabrück-Hasetor rauschte – das Ausfahrtsignal stand ja schon auf „Fahrt“. Er hatte mich dabei immer im Visier, aber nicht bemerkt, dass wir hätten halten müssen.


Alte Geschichten vom Ende der 60er-Jahre. Aber so hat Lia ihren Urgroßvater besser kennengelernt. So eine Mitfahrt ist heute undenkbar. Erst als ich damals den Kumpels auf dem Schulhof davon erzählte, sie so viele Fragen hatten, jeder dieses schwere Eisenerzstück selbst wägend in der Hand haben wollte, ahnte ich, dass diese Mitfahrten etwas Besonderes gewesen sein mussten. Eigentlich wäre ich – wenn der Vater „auf Arbeit war“ – lieber zuhause geblieben, ohne ihn. Aber das werde ich meiner Enkelin später 
erzählen

 

Da kommt etwas auf einen zu

Auf dem Display meines Apparates wird die Zugfront langsam größer. Ich höre die ersten Fahrgeräusche, das Anbremsen. Ich verkleinere die Brennweite des Zooms. Hinter mir ertönen die Warnglocken der automatischen Bahnschranken. Ich behalte den Zug im Auge, schwenke etwas nach rechts, die nachfolgenden Wagen kommen ins Bild. Da Es sind sogar zwei Triebwageneinheiten gekoppelt. Auch ohne Lautsprecherdurchsage mache ich mich bereit.

Ich bin der einzige Passagier, der einsteigt. Heute nur eine Station Richtung Magdeburg, wegen Bauarbeiten. Ab Dodendorf Umstieg in den Schienenersatzverkehr, so jetzt die Lautsprecheransage. Der Zugbegleiter wird auf dem Fußweg zum Bus zum kameradschaftlichen Beistand und dann zum freundlichen Bus-Reiseführer. Im Magdeburg werden wir vom „Reisenden-Lenker“, so die offizielle Bezeichnung, weiterdirigiert. Verabschiedet sich die Bahn wieder von den manchmal etwas unglücklich klingenden englischen Begriffen? Vielleicht sollte auf dieser Strecke, die möglicherweise auch zum Intel-Gelände führt, ein Welcome-Travel-Guide (WTG) mitfahren.

Wie kam ich nach Osterweddingen?

Im Juli letzten Jahres veranstaltete ich am Magdeburger Domfelsen ein „Open-Air-Public-Hearing“ meines 2021 entstandenen Hörspiels „Der Elbe-Ebbe-Algorithmus“. (http://www.herbertbeesten.de/Hoerspiel.mp3). Sein Inhalt ist eine fiktive Reportage von einem Event, das anlässlich des Trockenfallens der Elbe stattfindet

Es entwickelten sich an Ort und Stelle Gespräche und Diskussionen. Unter anderen sprach mich Jörg Claus an, ein sportlich großgewachsener Mann, Anfang 60, der mit einem Kollegen einen großen landwirtschaftlichen Betrieb führt, für den Wasser eine wichtige Rolle spielt. Er sprach davon, dass darüber nachgedacht werde, die 60% Wassergehalt der Zuckerüben bei der Weiterverarbeitung zurückzugewinnen und wieder für Bewässerungszwecke – genauer gesagt: zum Beregnen – zu verwenden. Mir kam gleich ein Bewässerungs-Perpetuum mobile in den Sinn. Mit dem gleichen Wasser die nächste Rübengeneration aufzuziehen. Aber dazu reicht wohl die Menge nicht.

Unser Gespräch war angeregt, und es stellte sich heraus, dass Jörg Claus in vielen Gremien und Gesprächskreisen mitarbeitet, in denen „Wasser in der Landwirtschaft“ immer wieder auf den Tagesordnungen steht, seit einem Jahr natürlich auch im Kontext mit der Intel-Ansiedlung. Es würde heißdiskutiert, intensiv beraten, und vieles müsste entschieden werden. Ich könne ihn gerne ansprechen, wenn ich noch Fragen hätte, und er überließ mir seine Visitenkarte.


Cruisen

Ich komme auf das Angebot vom Sommer zurück: Wir treffen uns an einem frühlingshaften Märzmorgen in Magdeburg, um gemeinsam nach Osterweddingen zu fahren, wo sich die Zentrale seines landwirtschaftlichen Betriebes befindet.

Wir machen einen Umweg. Jörg Claus kreuzt mit seinem SUV durch das Intel-Areal. Nicht alle Wege sind befestigt, einige matschig, hier und da von Traktoren und Baggern zerwühlt. Dann wieder fester Untergrund, der mit tiefen, regenwassergefüllten Schlaglöchern übersät ist. Das Umfahren gelingt ihm nicht immer, das Auto schaukelt wie auf Wellen. Ich begreife, dass ein SUV in der Landwirtschaft sinnvoll ist. Hier braucht es ein „Schiff“.

Auf meine Frage, ob er Land- oder Stadtmensch sei, antwortet er mit einem Lächeln: „Eher Stadtmensch“. Er ist studierter Landwirt, kommt aus bäuerlichen Verhältnissen. Seine Eltern hatten einen, für heutige Verhältnisse, kleinen Hof. Mit einem Partner hat er Teile einer LPG, den Kern des heutigen Betriebs, Anfang der 90er-Jahre übernommen. Heute bewirtschaften sie gemeinsam mit 10 Mitarbeiter*innen eine Gesamtfläche von 2.700 Hektar. Auch für heutige Verhältnisse ein großer „Hof“. 1.600 Hektar davon liegen rund um Osterweddingen bis nach Schönebeck hinüber. Ein kleiner Teil davon war bis vor Kurzem (auf dem Intel-Areal) noch ihr Eigen und wurde verpachtet. Aber als das Intel-Projekt noch unter dem Codewort „Steuben“ geheim war, wurde es der Intel-Fläche rechtlich zugeordnet.

Ich erfahre, dass das eigentliche Intel-Areal auf Magdeburger Grund nicht 400, sondern 420 Hektar groß ist und die angrenzenden Flächen in den Gemeinden Sülzetal und Wanzleben für die Zulieferbetriebe weitere 600 Hektar ausmachen. Es geht also um insgesamt rund 1.000 Hektar!

Wir steigen hin und wieder für einen Rundumblick aus. Ich bekomme auf alle Fragen freimütige Antworten von Jörg Claus. Auf meine spontane Erkundigung nach dem Sinn und Zweck eines Betonsockels mit Leitungsstutzen auf dem Intel-Gelände erfahre ich, dass es sich um einen Auslass der Magdeburger Trinkwasserleitung handelt, die vom Wasserwerk aus der Colbitz-Letzlinger Heide kommt und bislang den Landwirten der Beregnung diente, vor allem von Kartoffeln und Rüben. Die Magdeburger Kapazitäten reichten bislang aus und gleichzeitig war so der notwendige Wasseraustausch in den Leitungen gewährleistet. Eine Win-Win-Situation. Beregnung mit Grundwasser ist in diesem Gebiet seit 2017 Jahren problematisch und waren zeitweise nicht mehr gestattet.

 

Der bäuerliche März im Wandel:

Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt,

er pfleget und pflanzet all’ Bäume und Land.

Er ackert, er egget, er pflüget und sät,

und regt seine Hände gar früh und noch spät.

So heißt es im deutschen Liedgut seit Mitte des 19.Jahrhunderts.

Meinen Kindern habe ich in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts die Variation von Frederick Vahle von der Schallplatte vorgespielt:

„Im Märzen der Bauer den Traktor abschmiert.

Der Bauer ist sauer, wenn er ausgenutzt wird.

Der Traktor, der ist nützlich und der Traktor, der ist stark,

doch kostet das Stahlvieh fast achtzehntausend Mark.“

Das muss dann wohl ein kleiner „Trecker“ gewesen sein, so Jörg Claus, und er meint, dass so ein „Stahlvieh“ heute zweihunderttausend Euro koste, und das sei nicht der größte und teuerste, und dass sich auch sonst viel geändert habe. Software und KI spielen eine große Rolle.

Das regt mich Anfang des 21. Jahrhunderts zu folgender Textvariante an:

Im Märzen der Bauer das Update einspielt.

Der Traktor von selbst fährt, zum GPS schielt.

Beim Düngen und Ernten, da hilft ihm KI,

so spart er auch Kosten und bei der Chemie.

 

Szenen heutiger Landwirtschaft:

Die Traktorfahrerin erhält, nachdem sie sich mittels Tablet eingeloggt hat, einen Auftrag, z.B. eine bestimmte Ackerfläche mit einem Grubber zu bearbeiten. Ein Grubber funktioniert wie eine Egge, arbeitet aber tiefer im Ackerboden. Sie gibt ein, welches Gerät sie benutzt, fährt mit dem Navi-System zum Acker und schaltet auf GPS um. Nachdem sie eine Grundlinie abgefahren hat, fährt der Traktor autonom stundenlang über den Acker. Hin und her, inklusive der Wenden an den Ackerrändern. Die Fahrerin ist nur bei Störungen und für die Rückfahrt gefordert. Die übergeordnete Software und KI hält alle Personal- und Maschinenkosten für jeden einzelnen Hektar der Fläche fest. Das gilt auch für weitere Bearbeitungsschritte, wie Düngung und Einsatz von Herbi- und Fungiziden, bis hin zu den Ernteerträgen von Weizen, Kartoffeln, Zuckerüben, Raps, Roggen und Mais. So ist der genaue Ertrag in Tonnen und Gewinn oder Verlust für jeden einzelnen Hektar dank KI feststellbar. In Euro und Cent.

Der landwirtschaftliche Unternehmer und die Unternehmerin kann so die Auswirkungen von unterschiedlichen Bodenqualitäten und Feuchtigkeit innerhalb eines Ackerstückes untersuchen.

Mit diesen Analysemöglichkeiten wird zurzeit ein Pilotprojekt vorbereitet, in dem der im Intel-Areal abzutragende fruchtbare Ackerboden in anderen Flächen möglichst in der direkten Nachbarschaft eingebracht werden könnte, um dort Fruchtbarkeitsschwachstellen auszubessern. Das würde einen Unterschied von mehreren Tonnen Ertrag je Hektar ausmachen können. Und hätte zugleich den Vorteil, dass der Transport wegen der kurzen Wege nicht so aufwendig wäre.

Saisonal ist die Technik in längeren Phasen rund um die Uhr in Zwölfstundenschichten im Einsatz, damit sich der hohe Kapitaleinsatz rechnet.

Dass der Betrieb von Jörg Claus und seinem Geschäftspartner reine Pflanzenproduktion betreibt, war für Intel wichtig, denn „abgehende Gase“ von Tieren in der Umgebungsluft könnten die Chip-Produktion erheblich stören.

 

Wünsche-Route

Mein Gesprächspartner nimmt mich, den landwirtschaftlichen Laien, gedanklich mit in die tieferen Erdschichten des Bördeackers auf der Suche nach Wasser. Er erklärt mir anschaulich das flächendeckende Problem von zu wenig Feuchtigkeit. Der Grundwasserstand ist generell in dieser Region niedrig und hat sich seit dem sehr trockenen Sommer 2018 immer noch nicht erholt. Ich erfahre, welche Pflanzen damit besser oder schlechter zurechtkommen und dass die Erträge je Hektar insbesondere bei den Kartoffeln und Zuckerrüben trotz Beregnung in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen sind. Andere landwirtschaftliche Unternehmungen mussten deswegen, denn die Pachtpreise sind hoch, schon aufgeben. Im Moment sei an der Oberfläche zwar alles nass und matschig, aber das Drama spiele sich in ein bis zwei Metern Tiefe ab. Dort hat sich der Boden durch die Trockenheit verfestigt, ist quasi fest zusammengebackt, und von den wassersuchenden Wurzeln kaum mehr zu durchdringen. Andererseits ist die Kapillarwirkung in dieser Schicht gestört, und so funktioniert die Verbindung vom tieferen Grundwasser noch oben nicht mehr richtig. Auf meine Frage, ob das durch länger anhaltende Niederschläge, mehrere feuchte Jahre, wieder in Ordnung kommen könnte, wenn es sie denn geben sollte, also, ob diese Störung reversibel sei, zuckt Jörg Claus die Schultern. Eine Frage, die er nicht beantworten kann.

Bevor wir auf das Gelände seines Betriebes zum ersehnten Kaffee einbiegen, cruisen wir noch durch das bei Osterweddingen entstandene Industrie- und Logistikgebiet. Mit ca. sechshunderttausend Quadratmetern überbauter Lager- und Produktionsflächen ist das Industriegebiet – in etwa so groß wie das Intel-Areal – quasi ausgebucht. Verständlich, dass für Intel-Zulieferbetriebe weitere neue Flächen in den Nachbargemeinden Sülzetal und Wanzleben dazukommen sollen.

Landwirtschaft muss heute neu gedacht werden, so mein Gastgeber. Damit meint er nicht nur die modernen Maschinen oder Software- und KI-Anwendungen. Auch im landwirtschaftlich konservativen Umfeld ist der Klimawandel nicht mehr zu leugnen. Das Thema Wasser/Feuchtigkeit hat gerade in Sachsen-Anhalt höchste Priorität. Mein Gesprächspartner zählt sich zu der ersten Generation, die eindeutig die Folgen des Klimawandels erlebt und wirtschaftlich spürt und sieht sich zugleich als die letzte Generation, welche die schlimmsten Folgen noch mildern kann, bevor der Kipppunkt erreicht wird.

Wie geht es für meinen Gesprächspartner weiter? Mit Luthers Wort vom Bäumchenpflanzen? So ähnlich, denn ich erfahre, dass seine Tochter sich anschickt, in seine Traktorspuren zu fahren, wie auch der Sohn des Kollegen. Das hört sich bodenständiger und traditioneller an als in der Hightech-Industrie. Da kenne ich keinen Fall, auch nicht aus meiner nächsten Umgebung, wo die Firmengründer und Gründerinnen eine Nachfolge in der Familie gefunden hätten.

Etwas hinkt meine zeitgemäße Metapher von den Traktorspuren allerdings. Als wir von dem modernen Maschinenpark sprachen, erzählte Jörg Claus die Anekdote, dass er die modernen Traktoren eigentlich gar nicht mehr fahren könne, dass er einmal, als er einspringen sollte, schon Probleme hatte, die Maschine überhaupt zu starten.

 

Von Kartoffelchips zu Computerchips

Die zuletzt auf dem Intel-Acker geernteten Kartoffeln sind gegenüber früher trotz künstlicher Beregnung kleiner geworden, so dass die geforderten Pommes-frites-Längen oder die erforderlichen Querschnitte für die Kartoffel-Chip-Produktion in Oschersleben zum Teil nicht mehr erreicht wurden. Dafür gilt für Computerchips das Gesetz, dass sie immer winziger werden müssen. Gemeinsam ist der hohe Wasserbedarf.

Der Grund ist, dass je aufgetragener Schicht auf den Silicon-Wafers mehrfach und ausführlich mit sehr reinem Wasser - unter Zusatz chemischer Mittel - die Oberflächen gespült werden müssen. Anschließend erfolgt eine Trocknung. Das wiederholt sich bei bis zu 200 Schichten.

Nicht erst seit der in diesem Monat vorgestellten Wasserstrategie der Bundesregierung und des Welt-Wassertages (mit mehrtägiger Wasserkonferenz der UNO in New York) und nicht erst im Hinblick auf die Ansiedlung von Intel verstärkt sich rasant die Notwendigkeit, über das Wassermanagement der Region nachzudenken. Grundwasserbrunnen für landwirtschaftliche Beregnung kommen immer weniger infrage, die Wasserentnahme aus der Bode ist mittlerweile verboten. Trinkwasser aus der Leitung – wie bislang im Bereich des Intel-Ackers praktiziert – ist „zu schade“ und wird in Zukunft wegfallen, weil nicht nur Intel dieses saubere Wasser benötigt. Was bleibt? Neue Speicherbecken für Winterwasser aus dem Harz, mehr Regenrückhaltebecken, der Bau von Zisternen und die intensive Nutzung von Elbufer-Filtrat? Das Wasser-Perpetuum-mobile für heutige Ansprüche ist trotz künstlicher Intelligenz noch nicht erfunden. Ich habe nachgefragt, bei ChatGPT.

Zur Quelle

Woher kommt unser Magdeburger Trinkwasser? Aus dem Wasserwerk in Colbitz. Was wird da angezapft? Über viele Förderbrunnen das Grundwasser. Woher kommt das Grundwasser? Aus versickerndem Regenwasser und dem umgebenden Flusssystem der Ohre.

Ich habe nochmal nachgesehen und am letzten Märzwochenende einen Sonntagsspaziergang im Einzugsbereich des Wasserwerkes bei Colbitz unternommen, den „Großen Lindenweg“ entlang.

Der Laubwald wirkt urwüchsiger, unkultivierter als andere Wälder, die ich kenne, es gibt auch umgefallene, nicht von Motorsägen niedergestreckte, vermodernde Bäume. Ich mühte mich auf schmalen, feuchten Pfaden zwischen ihnen 

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