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Sonntag, 4. August 2024

# 062 Kulturtipp: Transformationssommertheater in Magdeburg im August 2024

Wer geht mit auf die Reise?

Im Magdeburger Wissenschaftshafen findet wieder ein besonderes Theaterevent statt. Vom Samstag, dem 24. August, bis Dienstag, den 27. August 2024, präsentiert das Theaterensemble „Das letzte Kleinod“ jeweils ab 18:00 Uhr das Stück „HOTEL EINHEIT“. Aufgeführt wird es im und am theatereigenen ozeanblauen Zug, mit dem die Theatertruppe in Deutschland unterwegs ist und wo es während der Tournee auch lebt. Das Publikum ist „aufgefordert“, mit dem Ensemble eine Eisenbahnfahrt in die Vergangenheit von DDR-Hotels anzutreten. Ich hatte die Gelegenheit, mit Juliane Lenssen und Sven Reese von „Das letzte Kleinod“ zu sprechen.

 

Worum geht es?

Hotels, z. B. Interhotels, waren in der DDR einer der wenigen Orte, in denen sich Menschen aus Ost und West begegnen konnten. Die Restaurants, Nachtbars und Zimmer boten den Gästen einen ungewohnten Luxus. Überwachung durch die Stasi war in den Hotels alltäglich. Ehemalige Mitglieder des Personals von Hotels in Eisenhüttenstadt und Frankfurt (Oder) steuerten als Zeitzeugen ihre Erinnerungen an den Hotelbetrieb für das dokumentarische Theaterstück. Die Aufführung wird in mehreren Eisenbahnwaggons gezeigt, die mit originalen Möbeln und Objekten aus der DDR ausgestattet sind. Infos zu dem Stück sind unter www.das-letzte-kleinod.de zu finden. 


Juliane Lenssen vom Eisenbahntheater
„Das letzte Kleinod“ stellt das neue
Stück "HOTEL EINHEIT" im
Wissenschaftshafen vor.
„Über den Zaun“ schauen?

Im letzten Sommer konnte ich die Theatertruppe mit dem Stück „Über den Zaun“ an gleicher Stelle erleben, ich erwarte auch in diesem Jahr eine beeindruckende Inszenierung. Ich gehe davon aus, dass Zuschauern, die zu jung für eigene Erinnerungen an die dargestellte Zeit sind, sich diese durch kluge und emotionale Inszenierung - wie üblich bei dieser Theatergruppe - erschließen wird. Aber auch ältere Menschen ohne „klassische DDR-Biografie" werden sich zurückversetzt fühlen - so erlebte ich es 2023.

Die Gruppe aus Schauspielern, Schauspielerinnen, Support- und Organisationspersonal ist bunt gemischt: aus Ost und West. Mit dem in Stendal geborenen Sven Reese, der 1999 und 2000 auch in den Magdeburger „Freien Kammerspielen“ als Schauspieler auf der Bühne stand, gibt es vielleicht für einige Zuschauer ein Wiedersehen.

 

Und was hat das mit der Intel-Ansiedlung zu tun?

In den nächsten drei, vier Jahren werden voraussichtlich ca. 7.000 Menschen aus Deutschland und dem Ausland Magdeburg zusätzlich bevölkern, um die Intel-Chip-Fabs aufzubauen. Viele davon werden in Hotels, Pensionen und Gästewohnungen „untergebracht“ sein. Die Magdeburger Hotelbranche und andere Beherbergungsstätten werden davon profitieren, sie stellen sich schon darauf ein. (Siehe auch meinen Blog-Beitrag über ein „spezielles Hotelerlebnis“ https://herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com/2023/12/11-verwandeln-verbergen-gesundbeten.html )

 

Was werden die vielen Gäste neben der Arbeit in Magdeburg machen? Wird sich daraus eine geschlossene Gesellschaft entwickeln, deren Integration die Magdeburger Bevölkerung nicht kümmert, weil sie ja doch wieder „weiterzieht“? Wie kann man für diese Gruppe nicht nur deutschsprachige Angebote im Bereich der Kultur, des Sportes und der Unterhaltung schaffen, die nicht an „Gastarbeiter-“ oder „Vertragsarbeiterzeiten erinnern? Welche Probleme, aber auch Chancen ergeben sich, mit denen wir als Magdeburger umgehen müssen?

 

 

Willkommenstrainingslager

Schauspieler Sven Reese vom Ensemble „Das letzte Kleinod“
spielt vor alten Eisenbahnwagen am Wissenschaftshafen
eine Szene aus dem Stück „Hotel Einheit“ 

Vielleicht ist diese „Bau-Zwischenphase“ so etwas wie eine „Willkommensübungswiese“ für Magdeburg mit Blick auf die erwarteten dauerhaften Zuzüge von Menschen mit ihren Familien, wenn die ersten Chips-Fabs und Zulieferbetriebe in Betrieb sind? Jetzt ist noch Zeit, die ersten Weichen für das Magdeburger „Hotel Einheit“ zu stellen.

 

Ausblick

Vielleicht wird in fünf oder zehn, oder aber auch erst in 30, 40 Jahren ein Theaterstück über die Veränderungen des Magdeburger Hotellebens im Zuge der Intel-Ansiedlung inszeniert. Einige von uns könnten dann bei Recherchen als „Zeitzeugen" fungieren und berichten, wie „es damals im Transformationszug nach Irgendwo“ war. 

Montag, 22. Juli 2024

# 058 Intel in Magdeburg - Chance oder Challenge? Eine Podiumsdiskussion

Wollen wir oder wollen wir nicht? - Eine Podiumsdiskussion

Am Dienstag, dem 9. Juli 2024, wurde diese Frage von einer Studentin und einem Studenten der Hochschule Magdeburg-Stendal in der gleichnamigen Veranstaltung an die Podiumsgäste gestellt. Die beiden Studierenden des Master-Studiengangs Journalismus versuchten, die vier Antwortgeber auf der Bühne in die Zange zu nehmen, von links und rechts.

Dort saßen, wie auf den Bildern zu sehen,

  • Jan Schumann, Korrespondent der Mitteldeutschen Zeitung,
  • Susanne Wiedemeyer, DGB-Landesleiterin Sachsen-Anhalt,
  • Mathias Grabow, Sozialkombinat Ost,
  • Dr. Jürgen Ude, Staatssekretär für Strukturwandel und Großansiedlungen in der Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt.

Der Saal war mit etwa 80 - 90 Personen bis auf den letzten Platz besetzt. Etwa die Hälfte des Publikums bestand aus jungen Menschen, wahrscheinlich Studierenden der Hochschule. Ich entdeckte auch ältere Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die ich schon bei ähnlichen Veranstaltungen gesehen hatte. Neben Privatleuten auch Vertreter der (Wohnungs-)Wirtschaft, der Politik und der Hochschulen. Ich konnte noch in der letzten Reihe neben einem jungen Mann einen Sitzplatz ergattern.

Ein „Kreuzverhör“ wurde es auf der Bühne nicht. Eine Gruppe von Studierenden um die beiden Moderatoren hatte die Veranstaltung im Rahmen eines Seminars vorbereitet und die naheliegenden Fragen zusammengestellt. Anfangs etwas holprig, aber dann lockerer und spontaner werdend, nahm die Veranstaltung ihren Lauf. Viel sachlich Neues zur Intel-Ansiedlung war für mich nicht zu erfahren. Für den einen oder die andere mag aber auch Neues dabei gewesen sein.

Falsch war die Aussage der Moderatorin, dass die Chips zwei Nanometer groß wären. Dieses Maß betrifft die kleinsten Strukturen in den zukünftig in Magdeburg zu produzierenden Chips. Die Chips selbst sind „nackt“ und unverpackt einige Hundert Quadratmillimeter „groß“. Mehrere Quadratzentimeter groß in einem Chip-Gehäuse mit Anschlüssen, nachdem sie anschließend in Polen „verpackt“ worden sind.

Als richtig empfand ich die Besetzung des Podiums – nicht als so typisch wie bei vielen anderen Intel-Veranstaltungen. So wurden verschiedene Perspektiven auf das Projekt möglich. Intensiv wurden die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt diskutiert– speziell auch die Lage auf „Nebenschauplätzen“ des Fachkräftemangels, etwa in Schulen und Kitas. Dazu passte auch die Forderung nach „ordentlichen“ Tarifabschlüssen und angemessener Bezahlung, nicht nur für die Intel-Beschäftigten.

Auf dem Podium: Visionen, Befürchtungen, Fragen, Trost, Hoffnungen, Zweifel, Antworten und Widersprüche - in Stichworten

  • Schon wahrzunehmende Preissteigerungen im Wohnungs- und Immobilienmarkt.
  • Zu langsamer Ausbau der Nahverkehrs-Infrastruktur und überregionalen Verkehrsanbindungen, inklusive einer witzig gemeinten ICE-Anspielung.
  • Das Problem Arbeitsplätze kontra Fachkräftemangel kann man lösen. Aber wie?
  • Kommen die kleinen und mittelständischen Unternehmen „unter die Räder“?
  • Kann die Stadtplanung das Tempo mithalten?
  • Die neue Mobilitätsstudie mit Blick in die Zukunft soll am 19. September von der zuständigen Ministerin vorgestellt werden.
  • Die Frage nach den tatsächlichen Inhalten der bislang geheim gehaltenen Verträge mit Intel wurde nicht beantwortet.
  • Zieht Intel das in der jetzigen, unsicheren Marktsituation durch?
  • Könnten durch höhere Steuereinnahmen auch mehr Sozialleistungen ermöglicht werden? 
  • Das Gehaltsniveau steigt, Ostdeutschland ist nicht mehr abgehängt.
  • Willkommenskultur hat noch Luft nach oben.
  • Durch mehr Englischkenntnisse in der Bevölkerung ist auch mehr Öffnung möglich.
  • Intel soll bei Wasserverbrauch und Kommunikation kein Tesla 2.0 werden.
  • Blick nach Leipzig zeigt, was dort mit den Ansiedlungen von DHL, BMW und Porsche gelungen ist.
  • Bevölkerungszuwachs und Ausbau der Hochschul- und Institutslandschaft.
  • Das sind Probleme, die nicht an der Intel-Ansiedlung festgemacht werden dürfen, denn die gelten für ganz Deutschland.
  • Gefahr einer Zweiklassen-Ausländer-Gesellschaft.

Verständnisschwierigkeiten: Im Gespräch mit dem jungen Mann neben mir erfahre ich, dass er Ausländer ist und Maschinenbau an der Hochschule Magdeburg-Stendal studiert. In der Hochschule wurde viel Reklame für die Veranstaltung gemacht. Er findet das Thema sehr interessant. Aber die Tonqualität der Lautsprecheranlage ist schlecht, auf der Bühne wird obendrein oft undeutlich und sowieso zu schnell gesprochen. Obwohl mein Nachbar gut Deutsch spricht, kann er kaum folgen und ist etwas verärgert. Ich selbst kann auch nur mit Mühe folgen.   

Was sagt das Publikum?

Zum Ende der Veranstaltung wurde auch dem Publikum die Gelegenheit gegeben, Fragen an das Podium zu stellen. Dabei stand, wie zu erwarten, das Thema Wasser, Boden und Energie im Mittelpunkt. Der Staatssekretär verwies auf das Konzept – als wäre das alles schon endgültig – wie über die Elbe, den Mittellandkanal und die Ohre der nötige Nachschub für das zusätzlich beanspruchte Grundwasser in der Colbitz-Letzlinger Heide und somit für das Magdeburger Wasserwerk gewährleistet werden kann.

Ich erinnere mich an die Verhandlung der Einwände zur Teilgenehmigung der Intel-Ansiedlung vom 29. Mai 2024 in der Johanniskirche. Da wurde das vom Staatssekretär vorgestellte Wasserkonzept als noch nicht ausgereift diskutiert und bedurfte noch weiterer Untersuchungen und Genehmigungen. Eine der offenen Fragen war auch die noch nicht einschätzbare Beeinflussung des Feuchtgebietes und Biosphärenreservates Drömling. Siehe dazu auch- Aufwärtskompatibel? Neue Industriekultur in Magdeburg durch Intel?: # 055 Ja und Amen? Die Anhörung. (herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com)

Als die kritischen Stimmen sich mehrten und mit Applaus bedacht wurden, stellte der Staatssekretär die ultimative Frage, die etwa so klang: Wollen wir Intel oder wollen wir Intel nicht? Er versuchte, so einen Konsens im und mit dem Publikum herbeizuführen.

Konsens oder Konsent?

Dass man mit einem „Brechstangen-Konsens“ nicht immer gut fährt, war bereits Andrew Grove, einem der Intel-Gründer, bewusst. Er propagierte, als einer der ersten in der Wirtschaft, das Prinzip des Konsents. Es bedeutet, dass zwar eine Konsensentscheidung angestrebt werden soll, wenn es aber schwerwiegende Einwände gibt, darf man sich nicht einfach darüber hinwegsetzen. Wie man einen „Konsent“ in der Wirtschaft managt, hat Andrew Grove schon in den 70er-Jahren mit dem Prinzip „Disagree and commit”, also: „Nicht einverstanden sein und sich trotzdem verpflichten“ beschrieben. Das wurde und wird gewiss bei Intel gelebt, es gehört also gewissermaßen zur DNA von Intel. (Infos zum „Konsent“ findet man auch unter: https://digitaleneuordnung.de/blog/konsent/ )

Mit dem Konsent hat man in der Wirtschaft gute Erfahrungen gemacht, man findet ihn auch in der „Agilen Methode“ in der Software-Branche. Warum sollte das Prinzip nicht auch für die Politik bei der Durchsetzung der Intel-Ansiedlung gelten? Bei einem „erzwungenen“ Konsens – also entweder oder! Vogel, friss oder stirb! – besteht die Gefahr, dass die Politik früher oder später doch von den schwerwiegenden Einwänden eingeholt wird, obwohl man offiziell alle Genehmigungen durchgepaukt hat.

Andrew Grove hat noch andere verblüffende Überlegungen angestellt. Dazu ein Gastbeitrag hier im Blog: https://herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com/2023/12/25-ein-gastbeitrag-von-dr-franz-will.html

Am Ende

Der Student neben mir verabschiedete sich Mein Nachbar verabschiedete sich kurz vor Ende der Veranstaltung plötzlich mit einem bedauernden Kopfschütteln und deutete an, dass er wohl nicht viel verstanden habe. Schade, ich wollte ihn nach der Veranstaltung noch fragen, ob er sich vorstellen könnte, nach seinem Studium in Magdeburg eine Arbeit bei Intel oder den Zulieferern aufzunehmen. Diese Chance war dahin.

Die finale Frage: Chance oder Challenge? Die wurde abwechselnd  von der Moderatorin und dem Moderator an die vier auf der Bühne gestellt. Sie sollten sich für das eine oder andere entscheiden. Das Ergebnis: 3:1 für die Chance!

Mein Vorschlag: Die zukünftige Chance für Magdeburg durch die Intel-Ansiedlung ist auch zugleich eine große Challenge, also eine riesige Herausforderung. Das „oder“ sollte durch ein „und“ ersetzt werden: „Chance UND Herausforderung?“ So hätte die Antwort auf der Bühne 4:4 heißen können.

Weitere Herausforderungen:

Beim Verlassen des Forums Gestaltung fotografierte ich noch die Kleinbusse der gerade abrückenden Polizei auf der Brandenburger Straße. Wir hatten wohl Polizeischutz. Da sind meine Gedanken schon weiter bei der regionalen, deutschen und weltweiten Politik. Es ist derzeit vieles in Bewegung, was auch das Intel-Projekt betreffen kann. So wurde ich in den letzten Tagen von einem ausländischen Journalisten gefragt, ob ich nach den Europawahlen ein zunehmendes Zittern in Intel-Kreisen spüre, und zwar wegen der Möglichkeit einer AfD-Regierung in Sachsen-Anhalt. Um kompetent antworten zu können, bin ich zu weit von den „Intel-Kreisen“ entfernt, war meine Antwort. Ich glaube auch, dass man ein mögliches „Zittern“ unter der Decke halten würde.

Fakt ist, dass das endgültige „Go“ noch an viele Voraussetzungen gebunden ist. Nicht nur an die Freigabe der deutschen Subventionen in Brüssel, sondern auch von weiteren Genehmigungen zu den Themen Wasser, Boden sowie für den eigentlichen Betrieb der Intel-Gesamtanlage.

Als Unsicherheitsfaktor kommt ein weiterer Aspekt dazu: Die Pläne des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump zu neuen Einfuhrzöllen, Steuererleichterungen für Unternehmen, zur Taiwan-Politik sowie seine extreme „America first“-Ideologie. So kann ich mir vorstellen, dass Intel die Landtagswahlen im Herbst abwartet sowie die Präsidentschaftswahlen im November, dann möglicherweise die Ansiedlung in Magdeburg noch einmal durchrechnet, um dann mit der Methode „Disagree and commit” zu entscheiden.

Dazu titelt das „Handelsblatt“ in Newsletter vom 18.7.24: „Down dank Donald: Trump-Äußerung lässt Chip-Kurse einbrechen.“ Siehe auch den Artikel: ASML, Nvidia, TSMC, AMD: Aktienkurse der Chiphersteller brechen ein (handelsblatt.com). Allerdings kommt die Intel-Aktie dabei gegen den Trend gut weg, weil Intel eigene Chipfabriken auch in den USA hat. Zu positive Intel-Einschätzungen verhindern dagegen Probleme im Alltagsgeschäft mit Intel-Prozessoren https://www.ntg24.de/Intel-Totalausfall-18072024-AGD-Aktien

Wie wird wohl die Kritik und die Auswertung der Seminargruppe aussehen, die die Veranstaltung vorbereitet und durchgeführt hat? Ob sie meiner Einschätzung folgen?

Noch zwei interessante Podcast-Links:

Wasser und Intel: https://www.deutschlandfunk.de/130-liter-4-6-wie-intel-mit-wasser-versorgt-werden-soll-dlf-7340224b-100.html

PFAS (auch bei der Halbleiterproduktion verwendet) PFAS im Rhein - Wie Chemikalien Wasser für immer verschmutzen (deutschlandfunk.de)

Freitag, 5. Juli 2024

# 057 Im Grabungs- und Spannungsfeld zwischen Archäologie & Transformation ‒ Eine Selbstvergewisserung

„Funde vom Intelgelände werden gezeigt“, hieß es am Montag, dem 24. Juni 2024 in der Magdeburger „Volksstimme“. Nur eine einspaltige Randnotiz ohne Bild wies auf die Veranstaltung am nächsten Nachmittag hin.

Für mich ein Pflichttermin. Ich konnte meine Teilnahme an diesem heißen Sommertag kurzfristig einrichten.

Es war eine gelungene und sehr gut besuchte Veranstaltung im angenehm kühlen Kaiser-Otto-Saal des Magdeburger Kulturhistorischen Museums.

Ein Vertreter des städtischen Wirtschaftsdezernats eröffnete kurz und bündig, danach folgte ein lockerer und erfrischender Vortrag von einer Stunde Dauer, gehalten von der zuständigen Abteilungsleiterin vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt. Sie verstand es, ihre Begeisterung über die Grabungsergebnisse auf dem Eulenberg, dem zukünftigen Ansiedlungsgebiet von Intel, zu vermitteln und mich und andere Besucher und Besucherinnen damit „anzustecken“.

Ich war einer der mehr als hundert, meist älteren Zuhörer und Zuhörerinnen im Publikum, die den spannenden Ausführungen, ergänzt durch Bilder von den Fundstücken im „Intel-Acker“, folgten.

 

Worum geht es mir nicht?  Selbstvergewisserung I

Nicht um die Wiedergabe der erstaunlichen Ergebnisse und die wertvollen Funde. Immerhin kam hier ein in Europa sehr seltenes Ensemble von mehreren Gräbern, einem Prozessionsweg und zwei künstlichen Hügeln (der letzten 5000 Jahre!) wieder ans Tageslicht. Spuren aus verschiedenen Epochen der frühen Besiedlung unseres Landes.

Über die Funde wird es noch ausführliche Darlegungen und auch Ausstellungen geben. In der „Volksstimme“ wurde schon am Tag nach dem Vortrag im überregionalen Mantelteil „Kultur und Leben“ unter der Schlagzeile „Die Rinder vom Intel-Acker“ von der Toten- und Grabkultur unserer Vorfahren aus dem Vorderorient berichtet.

Ich habe mich im Blog-Beitrag schon Anfang 2023 in gewiss laienhaften archäologischen Betrachtungen versucht. (Aufwärtskompatibel? Neue Industriekultur in Magdeburg durch Intel?: # 001 Archäologie vom Ende zum Anfang – Januar 2023 (herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com) Alles andere sei nun den Fachleuten überlassen.

 

Worum geht es mir?  Selbstvergewisserung II

Warum ist die Museumsveranstaltung zu den „Intel-Funden“ auf wesentlich größeres Interesse bei den Magdeburgern und Magdeburgerinnen gestoßen, im Vergleich zu zwei anderen Veranstaltungsformaten zum Thema Intel, obwohl dafür viel mehr Werbung gemacht wurde?

Der Kaiser-Otto-Saal füllt sich 

Werbung für andere Formate
Ich denke an meine regelmäßigen Blog-Lesungen und Gespräche zur Intel-Ansiedlung (auch mit Beteiligung von Fachleuten) in der Magdeburger Stadtbibliothek. Wenn das Thema dort mehr als 30 Zuhörer und Zuhörerinnen anlockte, war ich schon froh. Dabei ging es auch um heiße Themen, wie Chip-Technologie, Boden- und Wasserverbrauch. Auch die Resonanz auf eine der Veranstaltungen in dieser Reihe „Was hat Literatur mit Transformation zu tun?“, blieb trotz des bibliophilen Veranstaltungsortes recht bescheiden.

Das zweite Beispiel: Ende Mai 2024 gab es in der Magdeburger Johanniskirche die öffentliche Anhörung zu den Einwendungen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens der ersten Teilgenehmigung zur Errichtung der Intel-Chipfabrik. Selbst dort waren im Vergleich zur Museumsveranstaltung weniger „Normalbürger“ im Publikum, wenn man die dienstlichen Vertreter der Verwaltungen und der Politik im Publikum nicht berücksichtigt. (Aufwärtskompatibel? Neue Industriekultur in Magdeburg durch Intel?: # 055 Ja und Amen? Die Anhörung. (herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com)

 

Erklärungsversuche

Das Thema „Intel“ rückte im Museum in den Hintergrund. Das Interesse des Publikums lag überwiegend im Bereich der Archäologie. Und ich habe mich auch dabei erwischt: Die heutigen Fragen zum Intel-Areal wurden vergessen, und ich verlor mich in Fantasien, was da vor 5000 Jahren wohl stattgefunden haben könnte.

Die Thesen der Steinzeitexpertin könnten dazu verleiten, sich von gegenwärtigen Unsicherheiten, Problemen und möglichen Überforderungen ablenken zu lassen. Erkenntnisse und Spekulationen, was sich dort in grauer Vorzeit abgespielt haben könnte, bringen einen nicht in die Gefahr, sein Selbst- und Weltbild korrigieren zu müssen.

Zukünftige Folgen von KI-Anwendungen, Klimawandel, Energie-, Wirtschafts- und Sozialpolitik haben auch mit der Magdeburger Intel-Ansiedlung zu tun. Es ist aber anstrengend, sich mit den Themen auseinandersetzen, zu recherchieren, Veranstaltungen zu besuchen und zu diskutieren. Trotzdem sind viele Magdeburger skeptisch, weil aus ihrer Sicht die Folgen der Intel-Ansiedlung nicht nur positiv sein können. Ein Widerspruch!

Vielleicht deshalb lieber sechstausend Jahre zurück, anstatt 50 Jahre vorausschauen? Aber was sind schon 50 Jahre, wenn man zum Beispiel an die Ewigkeits-Chemikalien oder andere Altlasten denkt? Hätten die Steinzeitmenschen diese damals auf dem Eulenberg schon hinterlassen, könnten die Archäologen sie auch heute noch finden.

Interessiert die Transformation zu Zeiten des Neolithikums, also der Wandel des Menschen vom Jäger und Sammler zum sesshaften Bauern, mehr als die Veränderung im Hier und Jetzt? Müsste es nicht viel reizvoller sein, sich mit den Umständen der Gegenwart zu beschäftigen, dabei zu sein und die Möglichkeiten zu nutzen, sie mitzugestalten?

Im Moment läuft gerade die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Da schaut man sich doch auch lieber das gerade laufende Spiel live an und flüchtet nicht aus der Realwelt, indem man sich stattdessen eine Aufzeichnung eines alten Spiels ansieht. Obwohl: Regionalfernsehkanäle wärmen ständig Fußballereignisse von vor 50 Jahren auf. Publikum gibt es auch dafür.

 

Eskapismus

Lässt sich die ausführliche Beschäftigung mit der Archäologie auch mit Eskapismus erklären? Heraus aus der komplizierten und ambivalenten Jetztwelt, rein in die aufbereitete museale Vergangenheit. Bot die Teilnahme an der Veranstaltung im Kaiser-Otto-Saal nicht nur die Chance, vor der Hitze des Tages zu flüchten?

Ich wünschte mir größeres Interesse und die Beschäftigung der Magdeburger mit der Intel-Ansiedlung. Warum ist es noch nicht zu spüren? Drei Thesen:

  • Man verlässt sich auf die Heilsversprechungen der Politik und Technologie-Protagonisten, die verheißen, dass mit der sich immer weiterentwickelnden Technik alle Probleme gelöst werden, die Welt dadurch besser und gerechter wird.
  • Es könnte Resignation im Spiel sein: „Andere“ kümmern sich schon, man hat ja wie auf anderen Feldern der Politik letztlich keinen Einfluss, scheinbar sind schon alle Weichen gestellt. Der Eindruck wird vielleicht verstärkt durch mehr als 700 „Volksstimme“-Artikel mit Intel-Bezug, die zwischen vom Januar 2023 bis zum Juni 2024 erschienen sind. Ein Teil der Schlagzeilen suggeriert, dass eigentlich alles „in trockenen Tüchern“ sei. Und wer nicht aufmerksam weiterliest, bei dem müsste sich ein Gefühl entwickeln, dass alles schon „gelaufen“ ist.
  • Transformation „zu machen“ – das ist das Berufsfeld von führenden Frauen und Männern aus der Magdeburger Wirtschaft und Wissenschaft. Technische und gesellschaftliche Transformation „passiert einfach“. Das ist nachzulesen in der aktuellen 30-teiligen, täglich erscheinenden Artikelserie „Otto ist Transformation“ in der „Volksstimme“, initiiert von „Pro M Stadtmarketing“. In der Regel wird dort von den „Transformationsprofis“ durchweg die „Intel-Ansiedlung“ positiv im Kontext mit den zu erwartenden Veränderungen betrachtet. 

Lebt das Transformations-Pferd im Museum?

Aber vielleicht sind meine Thesen nur Futterneid, weil meine Veranstaltungen zum Intel-Thema nicht so stark frequentiert werden? Sollte ich nicht mehr „das tote Pferd reiten“? Oder: Kommt da, wenn nun die ersten Weichen gestellt sind, erst recht etwas Gewaltiges mit noch nicht abzuschätzenden Folgen – seien sie positiv oder negativ – auf Magdeburg zu, die ich dennnoch thematisieren sollte?

Die nächste Transformation ist immer die schwierigste. Ich gestehe: Beim Public-Viewing neulich, nach dem 2:0 Sieg im Achtelfinale, umschlungen vom schwarz-rot-goldenen Meer, hat es mich auch erwischt. Ich war weit weg von meinem Thema Transformation: Ein temporärer Eskapist bin ich auch.

 

Transformation und Eskapismus – Ein Paar mit Zukunft?

Ich habe, ähnlich wie die Archäologin bei ihrem Vortag im Museum, in meinem o. g. Blogbeitrag vom Januar 2023 auch darüber spekuliert, was die Archäologen in tausend oder zweitausend Jahren auf dem heutigen Intel-Acker am Eulenberg noch finden könnten. Man tappt dann vielleicht im Dunkeln, weil durch die Verluste der elektronischen Dokumentationen – das Schicksal droht auch diesem Blog – nicht auf physische Dokumente für Erklärungen zurückgegriffen werden kann. Man wird sich womöglich fragen. Was bedeutet der seltsame, komplizierte Kult-Gegenstand? Was diese langen Säulenreihen? Heute wissen wir (noch), dass es die komplexe Lithographie-Maschine ist und die Säulen die Stützpfeiler im Reinraum der Chip-Fab.

Südlich von hier, in Halle an der Saale soll in den nächsten Jahren das „Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ entstehen. Vielleicht sollte dort eine Abteilung über die Spielarten des „Transformations-Eskapismus“ eingerichtet werden.

Mittwoch, 5. Juni 2024

# 055 Ja und Amen? Die Anhörung.

Beobachtungen beim: Öffentlichen Erörterungstermin der Einwendungen zum Genehmigungsverfahren für die erste Teilgenehmigung zur Intel-Ansiedlung am 29. Mai 2024 in Magdeburg.

So kompakt und nominal klang das in der Magdeburger Johannis-Kirche. Über die Veranstaltung haben im Nachgang viele regionale, überregionale sowie ausländische Medien, wie Volksstimme, MDR, Radio SAW, FAZ, dpa, Deutschlandfunk, Tagesschau, wallstreet ONLINE, Kronenzeitung etc,. berichtet. Widerhall fand sie auch in den online-Nachrichten der Börsen- und Finanzwelt. Das Narrativ von der „Schwarzerde“ macht seitdem bei LinkedIn-Usern die Runde. In den Artikeln und Berichten sind die fachlichen Details und die Vielfalt überschaubar, weil sie sich inhaltlich zumeist auf die gleiche dpa-Meldung beziehen. Für diejenigen, die sich schon länger und intensiver mit dem Thema beschäftigt haben oder aufmerksame Leser und Leserinnen dieses Blogs sind, gab es grundsätzlich und inhaltlich in der Veranstaltung nicht viel Neues. Einige Details während der Erörterungen waren allerdings interessante Ergänzungen. Ich möchte die atmosphärische Stimmung, das Setting und die aus meiner Sicht wichtigsten Punkte hier in den Mittelpunkt stellen. Wegen der Vielzahl der Personen verzichte ich auf die Nennung von Namen.

„Gottes Wort mit uns in Ewigkeit“ steht in goldenen Lettern am Denkmalsockel der Statue eines übergroßen Martin Luther. Die Johannis-Kirche im Rücken, in der Rechten die Bibel, die Linke auf dem Herzen, schaut er mit festem Blick auf das auf Rathaus gegenüber.

Der sonnige Maivormittag macht mir die Fahrrad-Anfahrt möglich, vorbei an dem Martin-Luther-Denkmal zu den noch reichlich vorhandenen freien Plätzen an den Fahrrad-Anlehnungsbügeln. Ich bin wohl schon im zu erwarteten Bürokraten-Sprech-Modus.

Halb zehn, noch Zeit, mich umzuschauen und mit mir bekannten Menschen der Presse, der Stadtverwaltung, von Intel, auch mit einigen Einwendern und Einwenderinnen (wie sie hier genannt werden) ins Gespräch zu kommen. Doch zuerst einen Platz im Zuschauerraum sichern. Allerdings verwehren mir zwei stämmige Security-Herren den Zutritt: Zuschauer, also keine Verfahrensbeteiligte (wie ihre Bezeichnung hier lautet) erhalten erst kurz vor dem offiziellen Beginn Einlass.

Abwarten, was passiert. So schaue ich mich weiter um, entdecke weiteres Sicherheitspersonal. Eine Frau von der Pressestelle des Landesverwaltungsamtes trägt die Pressevertreter in eine Liste ein. Sie spricht mich auch an und trägt meine Kontaktdaten und die Webseite ein. Sie möchte im Nachhinein gern lesen, erklärt sie, was wir so schreiben. Auf dem der Kirche schräg gegenüberliegenden Parkplatz, fast diskret von einer hohen Hecke verdeckt, ein Kleinbus der Polizei.

Das Landesverwaltungsamt will wohl auf Nummer sicher gehen. Erwartet man Störungen oder sind das mittlerweile leider übliche Sicherheitsvorkehrungen? Oder befürchtet man ‒ die Ereignisse bei Tesla in Grünheide im Hinterkopf ‒ ein Umschwenken von Teilen der Bevölkerung, weg von der bisherigen insgesamt eher braven Pro-Intel-Stimmung?

Reformation früher / Transformation heute? In einigen Wochen jährt sich zum fünfhundertsten Mal das spontane und flächendeckende Umschwenken fast der gesamten Magdeburger Bevölkerung und Kirchen vom katholischen zum evangelischen Glauben. In dieser St.-Johannis-Kirche hat Martin Luther am 24. Juni 1524 Klartext gepredigt. Der Beginn der Magdeburger Reformation. Steht am gleichen Platz hier heute ein wichtiger Schritt zur Transformation der Magdeburger Stadtgesellschaft bevor?

Mittlerweile lehnen sich viele Fahrräder an. Lässt das auf den Charakter der Zuschauer schließen? Aber ein Ansturm wie vor 500 Jahren – damals fasste das Kirchenschiff nicht die Zuhörer – ist hier nicht zu erkennen.

Einlass: Taschen und Rucksäcke müssen an der Garderobe abgeben werden, heißt es kurz vor zehn. Und: Bitte beachten Sie das Fotografier- und Filmverbot während der Veranstaltung. Etwas eingeschüchtert bin ich schon. Die hier präsentierten Fotos entstanden selbstverständlich legal vor und nach der Veranstaltung oder in der Pause.

Anspannung liegt in der Luft. Keiner weiß genau, wie das hier ausgehen wird. Zwischen entspannt-harmonisch und hektisch-kontrovers scheint alles möglich zu sein. Wer ist da? Ist jemand „auf Krawall gebürstet“?

Aus Gesprächen schnappe ich auf: Die Räumlichkeiten sind heute bis 21 Uhr reserviert, und wenn das nicht reicht, soll es morgen weitergehen. Gut, dass ich vorsorglich etwas zu trinken und Butterbrote eingepackt habe. Noch schnell zur Toilette im Kellergeschoss des modernen Kirchen-Anbaus im Bauhausstil. Dort erinnern die Reste einer Gruft an Otto von Guericke, den Innovator und Politiker des 17. Jahrhunderts, neben Kaiser Otto I. auch ein früher Influencer der „Otto-Stadt“ Magdeburg.

Das Setting und die Regie. Was sagt mir das gewählte „Setting“ des Veranstalters in der entweihten Kirche, die nach ihrer vierten Zerstörung im letzten Weltkrieg im Jahr 1999 auferstand aus einer Ruine als weltliches Veranstaltungs- und Konferenzzentrum?

Im erhöhten, ehemaligen Altarraum, zentral an einem Tisch, die schwarz-weißen Kirchenfenster im Rücken, drei „Hohepriester“ des Landesverwaltungsamtes. In der Mitte die Moderatorin und Leiterin, die souverän in die Veranstaltung einführt und noch ein beachtliches Textpensum absolvieren wird. Die beiden Herren links und rechts schweigen und werden nach meiner Beobachtung auch im Verlauf der offiziellen Veranstaltung kein Wort sagen. Alle stellen sich persönlich vor, nur die beiden lassen sich von der Moderatorin präsentieren. Sind sie „Back-ups“ oder Aufpasser?

Rechts, vom Zuschauerraum aus gesehen, auf gleicher Höhe, schräg aufgestellt eine Tischfront, dahinter noch zwei weitere Tischreihen mit insgesamt ca. 20 Vertretern der „Antragsstellerin“, also mit Personen von Intel oder mit von Intel beauftragten Personen. In der ersten Reihe links ein Rechtsanwalt, der sich als eloquenter Wortführer der Intel-Interessen herausstellen wird. Daneben in der ersten Reihe weitere Berater und Beraterinnen von Intel für spezielle Fachfragen. In der zweiten und dritten Reihe sind auch einige nur Englisch sprechende Mitarbeiter von Intel, die über Kopfhörer eine Simultanübersetzung hören können. Von der zweiten und dritten Intel-Reihe wird man im Verlauf der Veranstaltung nichts öffentlich hören, außer von der Geschäftsführerin der „Intel Magdeburg GmbH“, die auch in der hinteren Reihe ihren Platz hat. Sie eröffnet den Vortragsreigen zu Beginn mit einem „Goodwill speech“ als atmosphärischer Lockerungsübung, unterstützt durch repräsentative und gestylte PowerPoint-Folien auf dem Großbildschirm, der wie von unsichtbaren dünnen Fäden über dem Intel-Team in der Schwebe gehalten wird. Wir sind gekommen, um zu bleiben und wollen eine gute Nachbarschaft. Das ist der Kern ihrer Botschaft.

Links im Altarraum ‒ oder nennen wir ihn doch lieber Bühne? ‒ auch eine schräg aufgestellte Tischfassade und eine zweite Reihe dahinter, mit ca. 15 Plätzen für die Vertreter und Vertreterinnen der Unternehmen, die für die Infrastruktur des Projektes verantwortlich sind: SWM (Stadtwerke Magdeburg), HTP (High-Tech-Park-Sachsen-Anhalt), TWM (Trinkwasserversorgung Magdeburg), Gelsenwasser (Abwasserreinigung) und Stiftung Kulturlandschaft Sachsen-Anhalt.

Die drei, mit cremefarbenen Tischhussen repräsentativ ausgestatteten Tischfronten, präsentieren sich pompös und öffnen sich zum drei Stufen niedrigeren Zuschauerraum. Dort vorn zwei nackte Tischreihen (also ohne Hussen) für insgesamt ca. 30 Einwender und Einwenderinnen mit Blickrichtung auf die erhöhte Bühne. Nicht alle Plätze sind dort besetzt. Dahinter im ehemaligen Kirchenschiff die Stuhlreihen für die „Passagiere“, die bei den öffentlichen Erörterungen mitgenommen werden möchten. Rederecht haben sie nicht, wird von der Moderatorin klargestellt. Jeder der Plätze an den Tischen, oben wie unten, ist mit einem Mikrofon ausgestattet. Wie überhaupt alles Technische gut ausgestattet und im Ablauf gut organisiert ist.

Publikum. Ich habe den Eindruck, dass mehr Menschen an den Tischen auf und vor der Bühne sitzen als auf den Einzelsitzen im Zuschauerraum. Aber die Reihen füllen sich nach und nach weiter mit vielleicht 100 bis 120 Personen. Hier und da entdecke ich Kommunal- und Landespolitiker und Politikerinnen. Vor mir verfolgen die Wirtschaftsbeigeordnete und der Baubeigeordnete der Stadt Magdeburg interessiert die Vorträge von den Zuschauerrängen aus. Gefühlt bleiben ca. 200 Stühle im Zuschauerraum leer. Warum ist das Interesse nicht größer? Sollte für die Magdeburger und Magdeburgerinnen schon alles in trockenen Tüchern sein? Die Einwender und Einwenderinnen bekamen keine Extra-Einladung, da der heutige Termin mehrfach öffentlich in der Zeitung und im Amtsblatt ausgewiesen war. Andererseits ist ein Tagestermin, aus dem auch zwei Tage werden könnten, für die arbeitenden Menschen schwierig einzurichten. Ich freue mich über meine „privilegierte“ Situation, die mir die Teilnahme ermöglicht.

Wasser. Gleich zu Beginn geht es um die Wasserversorgung. Woher kommen die ca. sieben Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr? Die Intel-Vertreter können sich bezüglich der Wasserversorgungsproblematik formal zurücklehnen, da die Stadt Magdeburg in den Verhandlungen die Versorgung mit geeignetem (Trink)Wasser vertraglich garantiert hat. Der Rechtsanwalt und Intel-Redeführer weist auch darauf hin, dass deshalb die Frage, woher das Wasser kommt, nicht Gegenstand dieses Genehmigungsverfahrens ist. Das Verfahren ist im Übrigen (nur) eine Teilgenehmigung für den Bau der Anlage. Später (2025, 2030?) wird noch eine weitere (Teil)Genehmigung für den Betrieb der Anlage notwendig werden. Trotzdem wird von einem Vertreter der Gemeinde Burgstall – nördlich von Magdeburg gelegen – eine weitere extreme Absenkung des Grundwassers sehr befürchtet. Es wird in den Diskussionen deutlich, dass das in einem Video https://youtu.be/GssEFGhRjjk?si=-_xKEhiRputtsclS auf der Homepage der Stadt Magdeburg vorgestellte Konzept (kurz: Wasser aus der Elbe über den Mittellandkanal in die Ohre zur weiteren Versickerung als Grundwasser für das Wasserwerk in Colbitz leiten) noch nicht mit realen Planungen und Konzepten unterlegt ist, es somit fraglich ist, ob es auch funktioniert und in einem anderen Verfahren genehmigt werden muss.

Vom „pro Elbe e.V.“ wird gefordert, dass eine Wasserentnahme aus der Elbe nur beim Wasserstand oberhalb des mittleren Pegels erfolgen dürfe. Dass die Erhöhung der Fördermengen für die Versorgung von Intel dem Niveau um 1990 entspricht und die derzeitige geplante Entnahmemenge selbst bei niedrigem Elbpegel nur ca. 1% des Durchflusses entspricht, ist für die Einwenderin nicht überzeugend. Auch wenn die TWM auf ausreichende Wasserrechte aus „alten DDR-Zeiten“ verweist. Der Aspekt des seitdem fortgeschrittenen Klimawandels und die weiteren Wasserentnahmen durch neue Industrieanlagen entlang der Elbe bedeutet für die Einwender eine ungünstige Perspektive für die Elbe und Grundwasser. Die Wasserprobleme werden nicht kleiner. Aber, wie gesagt, strenggenommen ist das Thema „Wasser“ gar nicht Gegenstand dieses hier verhandelten Genehmigungsverfahren.

Abwasser. Ich bin nicht sicher, ob ich den Hinweis des Rechtsanwaltes und Intel-Redeführers richtig verstanden habe, dass auch das Thema Abwasser nicht Gegenstand der beantragten Genehmigung sei. Die Stadt Magdeburg oder die HTP-Sachsen-Anhalt bzw. die von ihr beauftragte Gelsenwasser-AG hat die Aufgabe, das Problem zu lösen, möglicherweise mit einem anderen Genehmigungsverfahren.

Übrigens: „Das ist nicht Gegenstand dieses Genehmigungsverfahrens!“ und „Das Thema ist bislang hinreichend erörtert und ich beziehe mich auf die bisherigen Stellungnahmen in diesem Verfahren!“, sind die vom Intel-Wortführer an diesem Tag gebetsmühlenartig gebrauchten Sätze. Aber dafür hatte er bei der Einführung schon um Nachsicht und Verständnis gebeten, weil formal-juristisch notwendig.

Trotzdem stellt einer der Einwender die Frage, ob die Vertreterin der Fa. Gelsenwasser, die auf die Trinkwasser-Qualität am Abfluss der zukünftigen Kläranlage hinwies, das Wasser auch selbst trinken würde. Darauf antwortet sie nicht. Es wird aber deutlich, dass das „Trink-Abwasser“ nicht die ausreichende Qualität haben wird, um es wieder dem Prozess der Reinstwasser-Aufbereitung für die Chip-Produktion zuzuführen. Schade, das wäre ein wünschenswertes Wasser-Abwasser-Wasser-Kreislauf gewesen. Die Frage der „pro Elbe e.V.“-Vertreterin nach PFAS, den so genannten Ewigkeitschemikalien im Abwasser, wird wie andere Fragen und Hinweise vom Landesverwaltungsamt im Rahmen der Genehmigungsprozedur zu Protokoll genommen und im weiteren Verfahren von der Genehmigungsbehörde bewertet.

Nun geht es in eine 30-minütige Mittagspause. Danach sind weniger Zuschauer zu sehen und auch einige Plätze bei den Einwendern nicht mehr besetzt. Die Mittagssonne lässt die vor einigen Jahren neu gestalteten Kirchenfenster im südlichen Seitenschiff der Johanniskirche intensiv und farbig aufflammen.

Boden. Ein ausführlich behandelter Diskussionspunkt ist der Bodenschutz. Die Vertreter vom BUND und von einer Vereinigung zum Bodenschutz tragen ihre Bedenken engagiert und fachkundig vor, sodass ich den sich entwickelnden Fachgesprächen zwischen Einwendern und Vertretern des HTPs sowie der Stiftung Kulturlandschaft kaum folgen kann. Aber es ist trotz unterschiedlicher Einschätzungen ein sachlicher und respektvoller Umgang, wie es anfangs und auch zwischenzeitlich von den Personen auf der Bühne gewünscht wurde. Beim Bodenabtrag gibt es anscheinend eine Aufgaben- und Verantwortungsteilung zwischen der HTP und Intel, sodass beide für eine Lösung in der Pflicht stehen. Es wird – ähnlich wie bei der Wasserfrage - deutlich, dass das bisher in den Genehmigungsunterlagen dargestellte sehr pauschale und einfache Konzept nicht greift und grundsätzliche Konzepte und Verfahren noch erarbeitet werden müssen.

Mich überrascht, dass in der ersten Ausbaustufe (mit zwei Chip-Fabs), entgegen vielen Befürchtungen nur ca. 15% der Fläche versiegelt werden sollen. Wie das bei insgesamt acht Chip-Fabs aussehen wird, ist nicht Gegenstand dieses Genehmigungsverfahrens. Ich bin erstaunt, wie komplex auch das Thema „Boden“ ist und wie viele Vorschriften und Gesetze beachtet werden müssen, bevor der Boden transformiert werden darf. Die Vertreter der HTP teilen mit, dass aktuell für über eine Million Kubikmeter Boden Abnehmer in Aussicht stehen.

Da am heutigen Tag in der „Volksstimme“ berichtet wird, dass der Baustart um ein weiteres Jahr, jetzt auf 2025 verschoben wird, ergibt sich auch hier Möglichkeit, dass die Konzepte und Planungen für die Entfernung der Schwarzerde nicht mehr mit der heißen Nadel gestrickt werden müssen.

Naturschutz. Intensiv wird die Diskussion noch einmal beim Arten- und Naturschutz, als es um die gefährdeten Feldhamster- und Feldlerchenpopulationen geht. Ich habe die Gelegenheit, auch zu diesem Thema einiges Neue zu lernen, auch die Wichtigkeit zu erkennen, und warum dieses Thema nicht belächelt werden darf. In einem FAZ-Artikel wird zwei Tage später unseriös getitelt werden, als ob versucht würde, mit acht Feldhamstern eine 30-Milliarden Investition zu verhindern. Im Gegenteil: Bei den Einwendern war von so einer Forderung überhaupt nicht die Rede.

Abschluss. Es ist nicht einmal 16 Uhr und alle Punkte sind schon abgehandelt. Die Versammlung löst sich nach vorsichtigem Beifall und Klopfen auf. Hier und da entstehen Grüppchen, die diskutieren. Einige Medienvertreter machen noch Filmaufnahmen, interviewen Vertreterinnen von Intel als auch Einwender. Es macht sich eine entspannte Erleichterung, ein Aufatmen bei fast allen Beteiligten breit, wie das abschließende, entlassende und entlastende Amen in der Kirche.

Eine Einwenderin ist nicht zufrieden und sagt mir, dass sie sehr genau in das Protokoll schauen und verfolgen wird, inwieweit ihre Einwendungen in dem weiteren Prozess Niederschlag finden werden. Also ist möglicherweise die letzte Messe noch nicht gesungen.

Mein Resümee. Ich habe schon öffentlichen Erörterungen zu städtischen Bebauungsplänen beigewohnt, bei denen es wesentlich lauter, hektischer und kontroverser zuging. Ich hätte es aber passender gefunden, wenn man eine Anordnung gefunden hätte, bei der auch die Einwender auf Augenhöhe gemeinsam mit den anderen Gruppen auf der Bühne positioniert gewesen wären. Das umso mehr, weil auch die Einwender so genannte Verfahrensbeteiligte sind, die Gruppe der „Infrastruktur“ formal nicht, wenn ich das richtig verstanden habe.

In dem gesetzten Veranstaltungsrahmen wurde themenbezogen vorstrukturiert, die Leitung der Veranstaltung war trotzdem flexibel und offen. Es wurde immer wieder nach Wortmeldungen von den Einwendern gefragt. Fast alle Einwender und Einwenderinnen gaben zu Protokoll, dass sie dem Projekt prinzipiell positiv gegenüberstehen und nicht das Ziel haben, es zu verhindern. Das trug insgesamt zur kooperativen Stimmung bei. Die Einwender und Einwenderinnen sollten weiterhin mit ihren Argumenten ernstgenommen werden, denn sie erwarten ein Überdenken von vielen bislang noch nicht ausgegorenen Details des Vorhabens. Auch seitens der beteiligten Planer wurde deutlich, dass durch die zeitliche Verschiebung des Baustartes die zusätzliche Zeit genutzt werden muss, die Wasser- und Boden-Konzepte zu konkretisieren. Letztlich wird es darauf ankommen, was die Genehmigungsbehörde, also das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt, der Antragsstellerin mit ins „Gebetbuch“ schreibt.

Da es sich bei dem Antrag um eine Teilgenehmigung handelt, werden weitere Genehmigungsverfahren im Kontext der Intel-Ansiedlung folgen. Hat aber der erste große Genehmigungsschritt erstmal den Segen, wird ein „Zurück“ immer schwieriger. Ist der „Point of no return“ schon erreicht? War das hier im Kirchenschiff die Kiellegung des großen Dampfers „Intel-Ansiedlung“ oder schon der Stapellauf?

Man wird abwarten müssen, ob die Einwände gegen das Genehmigungsverfahren letztlich zur Zufriedenheit der Einwender Eingang in die Umsetzung finden oder ob hier Anlässe für spätere gerichtliche Klärungen einen Ausgangspunkt haben. Ob die weitere Verzögerung des Baustartes ausschließlich an der noch ausstehenden „Formalie“ der Subventionsgenehmigung durch die EU liegt, wird sich erst bei tatsächlichem Baubeginn zeigen.  

Thema verfehlt? War das hier auch teilweise auch so? Ich bleibe verwirrt zurück, weil ich nach den   Aussagen der Veranstaltungsleiterin und des Intel-Vertreters nicht sicher bin, ob und welche der vorgebrachten Einwendungen überhaupt für die Teilgenehmigung relevant sind. Vielleicht beichtet mir der eine oder die andere, was tatsächlich relevant für das Verfahren war. Schließlich leben wir hier doch nicht in Kafkas Welten, auch wenn Kafka-Jahr ist.

Mein Fahrrad finde ich allein zwischen den Anlehnungsbügeln wieder und ich werfe beim Wegfahren noch einmal einen Blick auf die Luther-Statue. „Gottes Wort mit uns in Ewigkeit“, lese ich noch einmal. Besser ewig das Wort Gottes im Ohr als Ewigkeitschemikalien im Wasser, tröste ich mich.

Sonntag, 31. März 2024

# 047 - Bauernregeln und KI – Im Märzen der Chip-Bauer den Spatenstich einplant … zu Basilius?

Transformation – der erste Schritt wird sichtbar

„Wie man so hört“, sagt man, soll der erste Spatenstich auf dem Bördeacker für die Intel-Ansiedlung in einigen Monaten mit einem großen Event zelebriert werden. So steht auf diesem Stück Land der nächste, erstmals klar sichtbare Transformationsschritt bevor.

Magdeburg, „Stadt der Verwaltung und Wissenschaft“, erweitert sich auf dem Bördeacker zu einem großen Hightech-Produktionsstandort. So verdrängt dort künftig der KI-Protagonist Intel die heutige Agrarindustrie, wo bis vor siebzig, achtzig Jahren die Bauern in kleinteiliger Landwirtschaft noch nach Bauernregeln und dem Hundertjährigen-Kalender gelebt haben.

Symbolbild Spatenstich - Bild: Herbert Beesten und KI 

Bauernregeln und KI – geht das zusammen?

Die Bauernregeln für das Wetter, von dem die Landwirtschaft besonders abhängig war, basieren auf Beobachtungen über viele Generationen hinweg. Im März, dem Übergang vom Winter in die Vegetationsphase, in die Zeit des Säens, weisen erfahrungsgemäß bestimmte Wetterphänomene auf die Wetter- und Klimabedingungen bis in den Herbst, die Erntezeit, hin.

Für Wetterprognosen wird in Forschungsprojekten auch mit KI experimentiert. Beide, KI und die Bauernregeln, basieren auf vielen Informationen. In einem Fall auf jahrhundertlanger Beobachtung der bäuerlichen Landbevölkerung, im anderen auf Hunderten, vielleicht auch auf Tausenden Gigabyte Daten aus Wetter- und Klimamodellen. Das eine basiert auf neuronalen Netzen im menschlichen Gehirn, das andere auf künstlichen, mit Software nachempfundenen neuronalen Netzen.

Was liegt also näher, als mit Bauernregeln auf das bislang landwirtschaftlich, aber zukünftig von einem der weltweit größten KI-Protagonisten genutzte Areal zu schauen und auch Bauernregeln einem Transformationsprozess zu unterziehen?

Damit man früher die Wetterbeobachtung an bestimmten „Stichtagen“ nicht verpasste, wurden Namenstage – also Tage im kirchlichen Kalender, an denen bestimmte Heilige besonders verehrt wurden – als „Trigger“ verwendet. Man brachte die Namen der Heiligen oft in Reimform mit den Wetterereignissen zusammen. So konnte man sie sich besser einprägen.

 

März-Events und Weichenstellung

So habe ich meine Märzbeobachtungen in Sachen Intel, anders als in meinem Beitrag aus dem März 2023 (Aufwärtskompatibel? Neue Industriekultur in Magdeburg durch Intel?: # 008 Im Märzen der Bauer … ein Fließtext aus 2023 (herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com),  mit Bauernregeln zusammenzubringen versucht , um daraus eine Prognose für den weiteren Verlauf der Intel-Ansiedlung abzuleiten.

Am 13. März 2024 fand der „Zukunftstag BVMW“, also des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft, in der Magdeburger Johannis-Kirche statt. Ein Bekannter, der daran teilgenommen hat, berichtete mir:

Bild: BVMW - LinkedIn-Seite

Es wurde diskutiert, inwieweit die mittelständische Wirtschaft in der Magdeburger Region vor allem bei der Fachkräftebeschaffung gegenüber Intel das Nachsehen haben könnte. Der Vorsitzende des BVMW, Christoph Ahlhaus, die Magdeburger Wirtschaftsbeigeordnete Sandra-Yvonne Stieger und der Direktor der Arbeitsagentur Magdeburg, Matthias Kaschte, zeigten Perspektiven auf, wie Fachkräftebeschaffung nebeneinander möglich sein kann, wobei sie auch unabhängig von der Intel-Ansiedlung schwieriger werden wird. Es wird ein stärkerer Wettbewerb um Fachkräfte entstehen, dem sich auch die mittelständische Wirtschaft stellen muss. Es wurde deutlich, dass Intel überregional und international Ausschau hält. Unter Bauern könnte man sagen: „Das Gras beim Nachbarn ist immer grüner.“

Vom 11. bis zum 15. März veranstaltete die Microtec Academy in der Handwerkskammer Magdeburg das Seminarprogramm „Einführung in die Fertigungs- und Prozesstechnologien der Halbleitertechnik“. Das war zugleich die Einstiegsveranstaltung der Uni Magdeburg in die überregionale und überbetriebliche Berufsbildungsakademie, speziell für die Mikro- und Nanotechnologien. Ich konnte am 14. März einen interessanten, auf Deutsch gehaltenen Vortrag, der Intel-Mitarbeiter Werner Ertle und Peter Baumgartner mit dem Titel „The world of semiconductor“ verfolgen. Die Überschrift hörte sich zwar allgemein an, es war aber keine Marketingveranstaltung, sondern es wurden realistisch (man war unter Fachleuten) viele Details erläutert, und man verwies auf die hohen Ansprüche, Möglichkeiten, aber auch Grenzen und Probleme der Halbleiterfertigung. Zum Teil auch mit Bezug auf die Pläne für Magdeburg. Natürlich wurde das Moore’sche Gesetz als „Chip-Bauer-Regel“ zitiert, aber Gordon Moore (noch) nicht in den Himmel gehoben.

In der Pause traf ich Giulia Bolognesi (Aufwärtskompatibel? Neue Industriekultur in Magdeburg durch Intel?: # 043 Giulia und Latte macchiato am Hassel, EDTA bei Intel (herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com) und auch Jörg Vierhaus (Aufwärtskompatibel? Neue Industriekultur in Magdeburg durch Intel?: # 026 Artikel über Partikel aus der Grauzone im September 2023 (herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com) wieder.

Beim Lunch am Stehtisch waren, neben Peter Baumgartner von Intel, ein weiterer Referent des Seminars, Gerfried Zwicker, vom Fraunhofer-Institut für Siliziumtechnologie in Itzehoe, sowie zwei junge Frauen aus süddeutschen Chip-Zulieferbetrieben meine Gesprächspartner. Meine spontane Frage an eine der jungen Damen, ob sie sich demnächst einen Job bei Intel in Magdeburg vorstellen könnte, beantwortet sie freiweg mit: „Auf jeden Fall!“ Gerfried Zwicker konnte ich mit der Vermittlung eines Kontaktes zu einer Human-Resources-Ansprechpartnerin bei Intel helfen, weil er einen taiwanesischen Doktoranden betreut, der einen Job in der Halbleiterindustrie sucht. Ich wies auch auf die aktuellen und sich in letzter Zeit häufenden Stellenanzeigen bei LinkedIn und XING hin, mit denen Intel Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen weltweit schon jetzt für den Standort Magdeburg gesucht werden. Die strategische Personalsuche für Magdeburg setzt bei Intel also schon frühzeitig ein.

Die Bauernregel am 15. März, am Ende der Veranstaltung: „Lukretia feucht, Kornsäcke leicht.“ Da das Wetter an diesem Tag sonnig und trocken war, müssten also perspektivisch die Säcke der Chip-Bauer schwer werden.

Am 22. April 2024 endet*) die öffentliche Auslege- und Einspruchsfrist zum Intel-Bauvorhaben „Errichtung einer Halbleiterfabrik“. Für den 21. März lautet die Bauernregel: „Soll das Korn gar üppig stehen, soll man es an St. Benedikt säen.“ Dann schauen wir doch mal, wie die Saat am 29. Mai 2024 bei der öffentlichen Verhandlung von Einsprüchen in der Magdeburger Johannis-Kirche aufgeht. Auch hier hilft eine Bauernregel: „Mai kühl und nass, füllt's dem Bauern Scheun und Fass.“ Ja, Wasser ist wichtig!

Eine Regel für den Chip-Bauer könnte heißen: „Sind der Einsprüche nicht zu viel, so ist dann Intel bald am Ziel.“

Am 25. März 2024 fand im Rahmen der Vortragsreihe „Wissenschaft im Rathaus" die Veranstaltung „Intel und die Magdeburger Hochschullandschaft“ statt.
Tino Grosche moderierte ein Gespräch mit der Rektorin der Hochschule Magdeburg-Stendal, Prof. Dr. Manuela Schwartz, und dem Rektor der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Prof. Dr.-Ing. Jens Strackeljan. Die Veranstaltung war gut besucht, 80 bis 90 Personen, und wenn ich mich umschaute, war es eine bunte „Besuchermischung“. Es gab eine Menge Fragen aus dem Publikum. Es überraschte nicht, dass der Rektor und die Rektorin die Ansiedlung insgesamt positiv sehen und davon ausgehen, dass alles glatt läuft. Die Rekrutierung von qualifiziertem Personal wird als die größte Herausforderung gesehen, die die Hochschulen nicht allein bewältigen können. Meine Frage, wie die notwendige Transformationsfähigkeit der Magdeburger gesehen wird, wurde von der Rektorin sinngemäß so beantwortet: Das könnte in zwei Phasen geschehen. Einmal durch Toleranz und Verständnis bei der unmittelbar anstehenden Errichtung der Fabriken mit Baustellen und Verkehr sowie Angebote an das internationale Baustellenpersonal. Zum anderen, in der zweiten Phase, wenn die Fabrik steht, mit der notwendigen Entwicklung einer internationalen Willkommenskultur. Zugleich wurde klar, dass die Hochschulen von Intel „nichts geschenkt bekommen“, dass also Gegenleistungen erwartet werden. Die Investition in die Ausbildung von Mikrotechnologen, z. B. für das Lehrpersonal, auch viele Millionen Euro für Gebäude mit einem großen Reinraum, muss wesentlich von der Uni, sprich aus den Landeskassen von Sachsen-Anhalt erbracht werden.

„Kann das Projekt noch scheitern?“, fragte eine ältere Dame aus dem Publikum. Wenn das geschähe, dann wäre Magdeburg als großer Industrieproduktionsstandort auf Jahrzehnte „verbrannt“. Von der Erwartung, dass Magdeburg einmal 300.000 Einwohner haben könnte, müsste man sich dann verabschieden, meinte der Rektor.  

Die Bauernregel für diesen hellen und klaren 25. März klingt für das Intel-Projekt hoffnungsvoll: „Mariä Verkündigung hell und klar, ist ein Segen fürs ganze Jahr.“ Also schließen wir uns den optimistischen Äußerungen der beiden Hochschulvertreter an, die sie am Anfang der Veranstaltung äußerten.


Welches Werkzeug ist das richtige für den ersten Spatenstich?

Der erste Spatenstich für die Intel-Ansiedlung sollte natürlich stilvoll, dem Bördeacker angemessen, mit einem Rübenspaten oder. einem Rübenheber vollzogen werden. Das ist ein spezielles Werkzeug, mit dem früher die Bauern in der Börde die Zuckerrüben einzeln aus dem Boden heben konnte. Diese Werkzeuge gab es für Rechts-, Links- oder Beidfüßler, so dass sich die Politiker und Politikerinnen die richtigen Rübenspaten entsprechend ihren politischen Orientierungen aussuchen könnten.

Rübenspaten und Rübenheber - www.alltagskulturen.lvr.de 

Wann ist der richtige Zeitpunkt für den ersten Spatenstich?

Mit meiner Chip-Bauer-Regel nach vorn schauen: „Sind Magdeburg und Umland im April und Mai sich einig, wird der Weg zur Silicon-Börde nicht weit, nicht steinig.“

Nach den eingereichten, öffentlichen Unterlagen für die Teilgenehmigung soll ab dem 1. Juni der Bau beginnen, also ist im Juni der offizielle „Erste Spatenstich“ zu erwarten. Aber an welchem Tag? Welche Bauernregel sollte zur Anwendung kommen, um der Sache einen gesegneten Verlauf zu verschaffen?  

Die Lösung in zwei Schritten: Mittels KI sollte eine Wetterprognose für den Juni erstellt werden und in einem zweiten Schritt sollte das mit Bauernregeln korreliert werden.

Alte Bauernregeln für den Juni

·         13. Juni: „Wenn an St. Anton gut Wetter lacht, St. Peter viel Wasser macht."

·         15. Juni: „Hat St. Veit starken Regen, bringt er unermesslichen Segen.“

·         20. Juni: „Hat Margarete keinen Sonnenschein, dann kommt das Heu nie trocken ein.“

·         24. Juni: „Regnet es am Johannistag, regnet es noch 14 Tag."

·         29. Juni: „Peter und Paul hell und klar, bringt ein gutes Jahr.“

 

Ein guter Zeitpunkt wäre zwischen St. Anton und St. Veit, also der 14. Juni, der „Basilius-Tag“, weil sowohl bei lachender Sonne am 13. Juni als auch bei Regenwetter am 15. Juni die Auswirkungen in den Bauernregeln jeweils positiv beschrieben werden. Außerdem hat einer der voraussichtlichen Spatenstecher, Kanzler Olaf Scholz, am 14. Juni Geburtstag, Intel-CEO Pat Gelsinger, dessen zweiter Vorname Paul ist, der am 13. Juni gefeiert wird. Das alles könnte man mit „Reiner“ kombinieren, dem Namenstag unseres Ministerpräsidenten am 17. Juni.

St.Basilius - Bild: Wikipedia

Basilius (330 - 379) auch „der Königliche oder der Große“ genannt, ist ein wichtiger Heiliger und hat auch zu seiner Zeit Transformationsprozesse vorangetrieben (siehe auch Basilius der Große – Wikipedia). Damit ist er ein guter Patron für diesen Tag.

 

Neue Chip-Bauer-Regeln zum Basilius-Tag

Alles konzentriert sich auf die Zeit um den Basilius-Tag, also den 14. Juni. So möchte ich, damit alles gut läuft, für diesen Tag einige neue innovative Chip-Bauern-Regeln zur Auswahl stellen:

·         Regnet‘s auf Basilius, wird‘s für den Chip-Bauer ein Genuss.

·         Ist‘s Wetter auch beim Spatenstich rau, stört‘s nicht den Semiconductor-Bau.

·         Scheint zu Basilius die Sonne auf den Spaten, kann der Chip-Bauer durchstarten.

·         Bringt zu Basilius Olaf Millionius zum Pat-Paulinius,

Bördebezwinger Gelsinger, wird zum Chip-Fab-Bringer.

·         Der Landesvater Reiner, präsidial wie keiner

hält Reden, groß wie Basilius,

schippt Bördeboden, mit Genuss,

lässt sich loben, preisen, schlägt im Boden Schneisen.

·         Erster Spatenstich bei Strich-Regen? Werter Basilius, bring trotzdem Chip-Segen!

Vielleicht wird noch später im Hundertjährigen Intel-Kalender der Spatenstichtag nur rot angestrichen? Denn bis zu einem St.-Gelsinger-Day oder einen St.-Simone- oder gar einem St. Olaf-Tag – das ist ein weiter und harter Weg. Und wer will in Zeiten des Klimawandels schon wetterprognostische Regeln aufstellen?

Obwohl… wenn das von Pat Gelsinger formulierte Ziel, dass die Intel Corporation weltverändernde Technologien entwickelt, um das Leben aller Menschen auf dem Planeten zu verbessern, erreicht wird, dann wird er sich der Aufnahme in höhere Sphären wohl kaum entziehen können.

*) Am 6.4.24 korrigiert: Irrtümlich stand hier der 22. März 2024