Mittwoch, 25. September 2024

# 068 Der Intel-Blues – Eine Stadt auf der Couch

Nach den Schlagzeilen ab Mitte September 2024 braucht eine Stadt wie Magdeburg durchaus psychologische Betreuung:

Volksstimme: Intel macht sich vorerst vom Acker
Bild: Chip-Flop ‒ Intel stoppt Bau von Mega-Fabrik in Magdeburg
MDR: Halbleiterwerk ‒ Intel verschiebt Bau von Chipfabrik in Magdeburg
Handelsblatt: Halb leider - Intel verschiebt Magdeburger Chipfabrik
Süddeutsche: Chipfabrik ‒ Intel stößt Bundesregierung vor den Kopf
ZDF: Werk in Magdeburg  Intel legt Bau von Chipfabrik auf Eis 
Spiegel: Krise bei US-Konzern ‒ Intel verschiebt Bau von Chipfabrik
Zeit: Auch beim Chiphersteller gilt „America first"
Manager Magazin: Kahlschlag und Baustopp ‒ Der Intel-Schock für Magdeburg
Heise.de: Intel pausiert Chipfabrik in Magdeburg ‒ Intel hält den Geldsack zu
Golem.de: Intel in Magdeburg ‒ Lieber ein Ende mit Schrecken als ...
Finanzmarktwelt.de: Intel-Aktie hebt ab ‒ Intel setzt Magdeburg-Werk aus
Volksstimme: Chip-Großprojekt auf Eis gelegt ‒ Intel stoppt Mega-Fabrik 
Berliner-Zeitung: Intel zieht überraschend die Reißleine
Finanzen.net: Intel-Aktie springt hoch ‒ Intel legt den Bau auf Eis
TAZ: Intel stoppt Chipfabrik ‒ Erstmal keine Chips aus Magdeburg

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Therapiesitzung: Eine Stadt auf der Couch

(Beachten Sie auch unten im Text die Einladung zur „Intel-Blues-Selbsthilfegruppe")

Psychologin: Guten Tag, Frau Magdeburg. Schön, dass Sie gekommen sind. Wollten Sie nicht auch mit dem Kollegen, dem Herrn Sachsen-Anhalt kommen?

Magdeburg: Ja, das war so geplant, aber es gab eine kurzfristige Absage. Man war wohl verdrängt.

In der Therapie-Sitzung nach Image Creator in Bing

Psychologin: Verdrängt?

Magdeburg: Sorry. Ich meinte verhindert. Das war ein Freud‘scher Versprecher von mir.

Psychologin: Meine Patientencouch ist leider zu klein für Sie. Ich habe schon etwas umgeräumt. Legen Sie sich doch auf dem Teppich. Entspannen Sie sich. Kommen Sie zur Ruhe und schließen Sie die Augen.

Wie fühlen Sie sich heute?

Magdeburg: Ach, schwer zu sagen. Ich habe so viele Hoffnungen und Träume gehabt, aber jetzt fühle ich mich enttäuscht und unsicher. Am 17. September bin ich in ein tiefes Loch gefallen.

Psychologin: Das klingt sehr belastend. Möchten Sie mir mehr darüber erzählen, was passiert ist?

Magdeburg: Ja, es geht um die geplante Ansiedlung des Intel-Konzerns. Es sollte ein großer Schritt für mich sein, ein wirtschaftlicher Aufschwung. Meine Politiker und Wirtschaftsleute waren begeistert, aber jetzt wurde das Projekt verschoben, und vielleicht kommt es gar nicht mehr zustande.

Psychologin: Das muss ein großer Schock für Sie gewesen sein. Wie hat sich denn Ihre Bevölkerung grundsätzlich zum Projekt gestellt?

Magdeburg: Die Reaktionen waren gemischt. Einige freuten sich über die Aussicht auf neue Arbeitsplätze und auf wirtschaftliches Wachstum. Andere hatten Bedenken wegen der teureren Wohnungen, der Wasserversorgung und wegen des Bördebodens. Jetzt sind viele enttäuscht und besorgt um die Zukunft. Andere sind froh, dass erst mal alles so bleibt.

Psychologin: Das klingt, als ob Sie zwischen Hoffnung und Sorge hin- und hergerissen wären. Haben Sie das Gefühl, dass diese Unsicherheit Ihr Identitäts- und Ihr Selbstwertgefühl beeinflusst?

Depression

Magdeburg: Ja, unbedingt. Ich habe schon so viele Rückschläge in meiner Geschichte erlitten, und jedes Mal hoffe ich, dass es besser wird. Aber diese ständigen Enttäuschungen machen es schwer, optimistisch zu bleiben.

Psychologin: Es ist verständlich, dass Sie sich so fühlen. Doch es ist wichtig, diese Gefühle anzuerkennen und zu verarbeiten. Gibt es etwas, das Ihnen in der Vergangenheit geholfen hat, mit solchen Rückschlägen umzugehen?

Magdeburg: Ich denke, die Gemeinschaft der Menschen, die hier leben, hat mir immer wieder Kraft gegeben. Ich habe eine starke Geschichte des Wiederaufbaus und der Resilienz.

Psychologin: Was fällt Ihnen dazu aus der jüngeren Vergangenheit als Beispiel ein?

Magdeburg: Na ja, von der Wende habe ich mich immer noch nicht ganz erholt, die wirkte wie ein Aderlass. Aber das letzte Hochwasser, 2013, das hat gezeigt, was mich zusammenhält.

Psychologin: Das ist sehr positiv. Vielleicht können Sie sich auf diese Stärke und Gemeinschaft besinnen, um auch die neue Herausforderung zu meistern. Es könnte auch hilfreich sein, sich auf kleinere, erreichbare Ziele zu konzentrieren, um wieder ein Gefühl der Kontrolle und des Fortschritts zu gewinnen.

In der Therapie-Sitzung nach Image Creator in Bing

Magdeburg: Das klingt alles schön und gut, aber es ist nicht so einfach. Kleine Ziele? Was sollen die schon bewirken, wenn ein riesiges Projekt, wie das von Intel, scheitert? Wer nimmt mich denn jetzt noch ernst?

Psychologin: Ich verstehe Ihre Frustration. Manchmal können unkonventionelle Ansätze helfen. Zum Beispiel: Besinnen Sie sich auf Ihre kulturellen und historischen Stärken, und benutzen Sie diese als Grundlage für neue Projekte.

Magdeburg: Kulturelle Stärken? Historische Stärken? Das klingt nach dem Tropfen auf den heißen Stein. Oder nach Hochglanzprospekt und Jubelprosa: Immer schön positiv denken, dann klappt es schon.

Denkste! Ich brauche konkrete wirtschaftliche Lösungen, nicht nostalgische Rückblicke.

Psychologin: Das ist ein berechtigter Einwand. Aber denken Sie daran, dass wirtschaftlicher Erfolg oft auf einer starken kulturellen und sozialen Basis beruht. Vielleicht könnten Sie innovative Startups und kleine Unternehmen fördern, die von Ihrer einzigartigen Geschichte und Kultur inspiriert sind.

Magdeburg: Startups? Kleine Unternehmen? Einzigartige Geschichte? Damals hat schon die Ansiedlung von Porsche nicht geklappt, ich bin erst mal ein gebranntes Kind, was große Ansiedlungen betrifft. Ein Leuchtturmprojekt ist mir nun abgesoffen. Das klingt alles sehr vage, was Sie vorschlagen. Ich brauche etwas Greifbares, etwas, das wirklich einen Unterschied, eine Veränderung ausmacht.

Psychologin: Träumen Sie manchmal Derartiges? Von Veränderungen, Transformationen? Also nicht idealistisch am Tag, sondern tatsächlich in der Nacht, im Schlaf?

Träume

Magdeburg: Ja, schlafen, einfach mal nur ein paar Nächte durchschlafen, anstatt immer wieder diese Träume zu erleben.

Psychologin: Erzählen Sie, was fällt ihnen dazu ein?

Magdeburg: Ich war im SKET. Nein, ich war SKET, war komplett aus Edelstahl, der nie rostet, und es ging mir sehr gut. Das war im Traum so, als wäre es gestern gewesen. SKET hatte die Wende doch sehr gut überstanden, und ich wuchs und wuchs. Wir bauten die modernsten und besten Großbagger für den Silizium-, Lithium- und Kobaltabbau. Wir waren konkurrenzlos und weltweit Monopolist. Und plötzlich …

Psychologin: … und plötzlich? Wie ging der Traum weiter?

Magdeburg:  Da wollte ein anderer Industriebetrieb Raum in mir beanspruchen. Aus einer ganz anderen Branche. Ich verlor viele Angestellte, die Besten. Ich musste in mir Platz machen für andere. Aber etwas sperrte sich in mir, obwohl es mir ja eigentlich egal sein sollte, Hauptsache, mir ging es wirtschaftlich gut, egal, durch welchen Platzhirsch. Ich hatte Schmerzen im Brustkorb, als wenn es mich zerreißen würde.

Psychologin: Hatten Sie Angst?

Magdeburg: Ja, fürchterliche Angst. Ich musste bitterlich weinen, auch als ich wach wurde. Hatte eine große Trauer in mir. Ihnen kann ich es ja sagen. Aber das bleibt unter uns, oder?

Psychologin: Selbstverständlich. Wovor hatten Sie Angst?

Magdeburg: Ich weiß nicht. Als SKET ging es mir gut, ich liebte mich. Aber da war etwas Neues in mir, das ich nicht kannte, mir fremd blieb. Ich konnte diesen Teil nicht in mich aufnehmen.

Psychologin: Was war denn das „Neue“?

Magdeburg: Das war ja das Absurde. Die fertigten Spezialtextilien, aus denen Segel für moderne Segelschiffe produziert wurden. Das passte gar nicht in meine Welt. Segelschiffe! Was man sich so alles so zusammenträumt.

Psychologin: Warum hat Ihnen das Angst gemacht?

Magdeburg: Weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass so etwas funktioniert. Weil es keine modernen Segelschiffe als Frachtschiffe oder als Kreuzfahrtschiffe gibt. Ich hatte doch schon die beste SKET-Technik. Aber die Neuen machten so viel Werbung, segelten damit auf allen Kanälen mit dem Spruch von Saint-Exupéry: „Wenn du ein Schiff bauen willst, beginne nicht damit, Holz zusammenzusuchen, Bretter zu schneiden und die Arbeit zu verteilen, sondern erwecke in den Herzen der Menschen die Sehnsucht nach dem großen und schönen Meer.“ Die neue Firma wuchs und wuchs. In mir, mit mir, und auch außerhalb von mir, so dass ich große Beulen davon bekam.

Psychologin: Ich verstehe, das hätte mir auch Angst gemacht.

KI-Traummaschine nach Image Creator in Bing

Magdeburg: Es kam noch schlimmer: Die konnten aus ihren Stoffen große Maschinen formen, und wenn sie die Stoffe mit einer speziellen Flüssigkeit tränkten, wurde der Stoff fester als Stahl, war aber leicht, wie Stoffe eben sind. Und dann haben sie aus ihren Stoffen auch große Maschinen gebaut. Die konnte man zusammenfalten, einfach transportieren und wieder auseinanderfalten! Da stand ich als SKET schön blöd da.

Psychologin: Wofür könnte Ihr Traum stehen?

Magdeburg: Sie sind doch die Psychologin, ich bin nur eine geschundene ostdeutsche Großstadt, die von alten Zeiten träumt.

Psychologin: Ihr Traum enthielt aber auch ein Stück Zukunft.

Magdeburg: Meinen Sie?

Psychologin: Wie wäre es, wenn Sie sich auf die nachhaltige Entwicklung von neuen Technologien konzentrieren? Es muss ja nicht gleich dieser innovative Super-Konstruktionsstoff aus Ihrem Traum sein. Aber diese Bereiche haben großes Potenzial. Man kann neben der SKET-Seele auch noch andere Seelen in sich zulassen, ohne dass es gleich weh tun muss.

Magdeburg: Nachhaltige Entwicklung. Das klingt schon besser, aber wie soll ich das allein schaffen? Ich brauche Unterstützung von außen, auch Investitionen und klare Strategien, erst recht für unkonventionelle Ansätze. Sorry, nach den Erfahrungen mit Intel habe ich richtig Schiss davor, wieder etwas Neues anzufangen.

 

Selbsthilfe

Psychologin: Natürlich, das Risiko bleibt. Transformation kann auch weh tun. Aber Sie, Frau Magdeburg, sind doch kein Schisshase, oder? Es ist wichtig, dass Sie die Unterstützung suchen und einfordern, von allen Ihren städtischen Gliedmaßen, dass Sie aber diesmal auch alle mitnehmen. Vielleicht könnten Sie neue und andere Partnerschaften eingehen. Darauf könnte dann exklusiv „Made in Magdeburg“ stehen.

Magdeburg: Das klingt nach einem Ansatz, den ich verfolgen könnte. Aber es bleibt die Frage, ob die Menschen in mir bereit sind, diesen Weg mitzugehen. Ich habe das Gefühl, dass letztlich viele Teile von mir zwar meckern, wenn es nicht vorangeht, aber am Ende nicht böse sind, dass doch vieles bleibt, wie es ist.

Psychologin: Es wird sicherlich nicht einfach, aber mit klarer Kommunikation und Einbindung der Gemeinschaft könnten Sie die Menschen überzeugen. Es ist wichtig, dass alle an einem Strang ziehen.

Magdeburg: Ja, das stimmt wohl. Wie beim Hochwasser 2013. Ich werde darüber nachdenken und versuchen, einen Plan zu entwickeln. Danke für Ihre unkonventionellen Vorschläge. Vielleicht können wir unsere Therapie als Coaching fortsetzen?

Aufruf zum "Selbsthilfegruppentreffen" am 7.10.2024

Psychologin: Gern. Denken Sie daran, dass Sie nicht allein sind und dass es Wege gibt, die Mut verlangen, um aus schwierigen Situationen herauszukommen. Sie heißen ja nicht „Bangeburg“. Für ein Transformationscoaching bin ich immer zu erreichen. Aber verlassen Sie sich nicht nur auf andere. Machen Sie selbst etwas.

Magdeburg: Ich könnte eine Demo veranstalten: „Intel muss kommen!“ Damit die auch sehen, dass ich das doch unbedingt will.

Psychologin: Kann man machen, aber denken Sie auch an die Ihre Psyche. Nach meiner Diagnose haben Sie eindeutig den „Intel-Blues“. Gründen Sie eine Selbsthilfegruppe, vielleicht mit Frau Halle zusammen, die hat ein ähnliches Problem mit dem Zukunftszentrum. Dann sind Sie schon zu zweit. Auch die KI bietet neuerdings erstaunlich gute Selbsthilfeunterstützungen.

Ich mache mir Sorgen, wie sicher mein Job noch ist.

Magdeburg: Möchten Sie mir mehr darüber erzählen?

Psychologin: Nein, möchte ich nicht.

Magdeburg: Gut, dann quäle ich Sie jetzt auch nicht noch mit QUALCOMM.

Psychologin: Das ist freundlich von Ihnen.

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