Von Fragen aus dem Off und vom Bedürfnis nach Vertrauen
„Ich darf Sie fliegen, wo soll's denn
hingehen?“, fragte mich der großgewachsene Mittfünfziger, der tatsächlich eine
typische Piloten-Sonnenbrille trug. „Ich möchte mir gern das Intel-Gelände und
dessen Umgebung von oben ansehen und es fotografieren“, gab ich meine Wünsche
kund.
Wir rollten in der kleinen zweisitzigen
Propellermaschine zur Startbahn des Magdeburger Flugplatzes und erreichten die
Startposition. Wie der Pilot hatte ich einen Kopfhörer aufgesetzt, damit wir
uns trotz des lauten Motors und der zu erwartenden Windgeräusche via Bordfunk
unterhalten könnten. Ich entdeckte vor mir die Tankanzeige, die nur noch ein
Viertel-Füllung anzeigte. „Reicht das?“, fragte ich gespielt-ängstlich den
Piloten. Etwas ernst war meine Frage aber schon, es hätte ja sein können, dass
er das nicht gecheckt hatte. Er lächelte und rief: „Ja, ja, keine Angst, das
passt!“ Die Frage nach Fallschirmen verkniff ich mir.
Ich beschloss, dem mir bis eben völlig
unbekannten Menschen zu vertrauen. Was blieb mir anders übrig, wenn ich meinen
Rundflug-Gutschein endlich einlösen wollte? Früher war ich öfter als Passagier
in großen Maschinen in der Welt unterwegs gewesen, aber ich hatte mir nie die
Vertrauensfrage gestellt. Doch hier in der Magdeburger Sonne war das noch „richtiges
Fliegen": Nur der Pilot und ich in einem Leichtflugzeug, ausgeliefert den
Gesetzen der Physik, den Turbulenzen und dem zuverlässigen Funktionieren des „Aeroplans“.
Mein „Flying Trust Man" links, ich rechts.
Abgehoben
Ich hielt meinen Fotoapparat bereit, als
wir in westlicher Richtung starteten. Es war schönes Wetter an diesem Maitag,
kaum Wind, Sonne und nur vereinzelte Wolken am Himmel. Als wir aufstiegen, war
es etwas diesig, sodass uns die Fernsicht auf den Brocken verwehrt bleiben und
meine Fotos etwas milchig werden würden. „Die Stunde Flugzeit sollte für das
Intel-Gelände reichen, und wir schauen uns noch die Teufelsmauer bei
Ballenstedt an", tröstete mich der Pilot über Kopfhörer.
Gleich kam das Intel-Gelände rechts in
Sicht, aus tausend Meter Höhe gut zu lokalisieren, weil links davon die
ausgedehnten, weißen Dächer der Logistikfirmen im angrenzenden Langenweddinger
Industriegebiet auszumachen waren.
„Warum soll man nicht von den
Erfahrungen von Tesla profitieren?", sagte der Pilot unvermittelt. Ich
war irritiert. Flogen wir über Grünheide? Aber er war konzentriert, ruhig und
hatte einen schweifenden Adlerblick, den Horizont entlang. Wir waren ja im
Sichtflug. „Was haben Sie gesagt?", fragte ich ihn, um die Frage einordnen
zu können. „Ich habe nichts gesagt. Ich habe auch gerade im Kopfhörer etwas mitbekommen.
Das hatte ich in dieser Gegend schon einmal. Unter uns ist die Autoarena
Oschersleben, die haben in dem Hotel öfter Tagungen. Mir hat mal ein
Funkspezialist erklärt, dass, wenn sie bei den Veranstaltungen diese Funkmikros
verwenden, ein so genanntes Übersprechen auf unsere interne Verbindung hier im
Flugzeug möglich sein könnte."
Dann wieder im Kopfhörer: „... große
Unsicherheiten: Wie steht es denn jetzt um die Intel-Ansiedlung?" Sprach
da unten jemand über das Intel-Projekt? Ich konnte den Piloten dazu bewegen,
etwas tiefer zu gehen und über der Motorsport Arena eine Runde zu drehen. Ich
schnappte mir meinen Notizblock. Tatsächlich hörte ich etwas deutlicher Männer-
und Frauenstimmen, und so konnte ich einige Gesprächsfetzen, darunter viele Fragen,
festhalten:
… nicht nur bei uns viele Kritiker und Kritikerinnen, da spielt
natürlich der Umweltaspekt eine große Rolle … dann kam die gute Nachricht in
den MDR-Nachrichten, witzigerweise vom Wirtschaftsminister via Selfie-Video aus
Silicon Valley: Ja, es wird die Investition geben, der European Chips Act ist
beschlossen …
Ist es ein Risiko, nur auf einen
großen Investor zu setzen?
Was bedeutet eine Großinvestition für
unsere Region, welche Möglichkeiten …und ist sie Fluch oder Segen?
Was können Sie von dem Treffen in
Arizona berichten?
Die
Zusammenstellung der Delegation war schon intelligent … und alle konnten das
Haar in der Suppe suchen, nichts gefunden … immer die Gesprächspartner
gefunden, in St. Clara und Arizona. Das war so authentisch …
Kommt denn Intel nun oder nicht?
… fast wie
der Hype um Elon Musk?
Hier im
Lande? Bei den Leuten! Auch alle im High Five Gap? Hm, ach,
mehrheitlich ja, es gibt natürlich auch immer wieder … keinen gegenseitigen
Kannibalismus betreiben …
Aber Sie
kommen mit guten Nachrichten?
… viele
gute Leute kommen von außen. Die schlechte Nachricht: Die gehen wieder.
Wo wohnen
die Mitarbeiter? … aber ohne Palmen. Tesla war für Grünheide
wie ein Sechser … Wohnungsanfragen von Island bis Brasilien.
Wie sieht das heute aus? Wasser
spielt eine Rolle …
Private Gärten mit englischem Rasen, mindestens
ein Swimmingpool, … da wird auch viel Wasser verbraucht.
Erfahrung mit großen Arbeitgebern wie
SKET, von der Dimension her können wir das …
Profil „Mikroelektronik“, bislang
nicht vertreten … Halle hat da mehr Kompetenz.
… den Demographie-Trend können wir
nicht umkehren. Automatisierungstechnik, KI für Wissensberufe, neue Medien, neue
Tools in die Arbeitswelt und …
Wie optimistisch sind Sie, dass es
genug Fachkräfte für Intel gibt? Ich hab’s versprochen … das kriegen
wir hin.
Intel braucht euch in der Forschung nicht,
sonst hätten sie schon gefragt, Pat Gelsinger und seine Leute können das schon
…
Spüren Sie den Druck, weil es
schneller gehen muss? Wir sind langsam, aber dem Ministerium gegenüber
noch schnell, Berufsschullehrer kann man nicht backen.
Was ist an Intel sexy? Welche
gesellschaftliche Relevanz? … müssen Story erzählen. Diversität. Gelsinger will 50% Frauen! Good
luck!
… Haselhoff sollte das zur Chefsache
machen.
Deutschland: 4. Platz bei internationalen
Studies, aber 50. Platz bei: Wohin nach dem Studium …
… nicht hinter verschlossenen Türen
wuppen, das wäre letztlich ein Fiasko. Intel hat großes Interesse, dass sie gewollt
sind.
Kultur für Magdeburg eher schwierig,
von der Mentalität her, das Meckern …
Das geht so schnell, ich glaub, das
weiß hier noch keiner.
Welcher neue Wohnraum wird wann
gebraucht, was gibt es an Planungen …?
… wir wollen nicht an die Wand
gestellt werden, als die, die anderen … Wasser wegne...
Weiter
Die seltsamen Stimmen gingen im Rauschen unter. Schade, ich
hätte gerne noch mehr mitbekommen. Im Nachhinein wundere ich mich, was ich doch
alles aufschnappen und notieren konnte. Aber nach der dritten Runde gab mir der
Pilot ein Zeichen, tippte dabei auf den Tankanzeiger. Ich nickte zustimmend, so
dass er direkt Kurs auf Magdeburg nahm.
Er wirkte unentschlossen, zeigte mir jedoch mit seinem kreisenden
Zeigefinger, dass nur eine Runde möglich wäre. Ich griff wieder zu meinem
Notizblock und konnte einige Bruchstücke auffangen, wobei mir eine der Stimmen
irgendwie bekannt vorkam:
Was ist das denn da oben für eine
Fläche? Reservefläche neben dem Supplier Park in Sülzetal.
Der Krieg hat alles verändert, nicht
feiern, wenn woanders Krieg ist
… Bördeboden bedeutet Diskussionen.
Wenn das losgeht, werden Sie diese
Gegend nicht wiedererkennen, nicht erst wenn es fertig ist.
Wieso gehen die nach Magdeburg, in den
Osten?
…
und dann sagen die Leute: Glaube ich alles gar nicht … es geht aber im
Leben nicht ums Glauben, es geht um die Frage, was realistisch ist, ob das
alles so toll wird …
… sind noch in der Wackelphase.
… wenn man aus einer kleinen Stadt
kommt, aus der Enge, da war, über den Horizont zu schauen, wirklich ein Fest.
… Zusammenarbeit, wir sind ja nicht
schlecht, aber es reicht noch nicht aus … aber es kommt nicht von Null auf 100.
Man kann sich nicht vorstellen, was da
auf uns zukommt …
… da sollte man rechtzeitig dran sein, damit
unsere Leute daran teilhaben und nicht nur von außen einfallen.
Dass nicht alle dafür sind: klarer
Fall.
… was ist neu? Die
Strommenge wird zur Verfügung gestellt, das ist bei Intel nicht das Problem,
zentrales Thema ist Wasser.
… Wasser in der Elbe … kann genutzt
werden, die brauchen aber sehr reines Wasser … wird in Elbe zurückgehen … das
geht auf den Acker! … nein, das geht zurück in die Elbe!
Fakt ist aber, wir sind an einem
Punkt, wo es deutlich mehr Fragen als Antworten gibt.
Was ist mit meinem Acker? Brauchen die
mich überhaupt?
… Handwerker, wenn ich welche brauche
oder sind die alle bei Intel?
Was ist mit der Feuerwehr, wenn es
Verkehrsunfälle gibt?
Was ist mit den Kindergärten und
Grundschulen? Wanzleben hat nicht das Geld …
… Bürger an die Hand nehmen, um zu
klären, wenn das Wasser im Garten verschwunden ist.
Gibt es ein Konzept, wie die Erde
nicht über die Lindenpromenade abgefahren wird?
… von heute auf morgen ist nicht alles
umzusetzen … Intel war von keinem vorauszusehen, deswegen gibt es dafür auch
keinen Masterplan.
… Überdachung eines Fahrradweges von
Wanzleben nach Magdeburg. Soll das wieder was werden?
Wo ist der rote Faden der
Veranstaltung, die Bürger wollen eine Strategiekommission für Straßenverkehr,
Schienenverkehr, Flugverkehr?
Was ist im Moment hierarchisiert? Alles wabert auseinander. Da bin ich im Denken
bei Ihnen.
… finanzieren vor, am Ende
refinanzieren wir und bekommen nachher mehr raus.
Wenn Intel jetzt Ja sagt …
Mit der Geschwindigkeit, die wir jetzt
haben, wird es nicht reichen. Wir werden gegen die Wand fahren.
Eine Veranstaltung, auf der alles
beantwortet wird, kann man erst in zwei Jahren machen …
Wir sollten stolz sein auf die Intel
Ansiedlung und nicht immer alles negativ sehen.
… hier wurde nur gegengearbeitet, wir
hatten mal Kultur hier, aber der Radweg? Nichts, gar nichts, nur Ausreden,
denkt man an den Bördeboden, so durfte der für den Radwege nicht weggemacht werden,
jetzt kommt Intel und man haut alles weg.
Doch, wir haben Kultur: Osterfeuer am Feuerwehrhaus,
Maifeier, Stadtführung …zweimal in der Woche kann man teilnehmen, also nicht
immer sagen, dass nichts passiert, aber wir holen die Leute nicht vom Sofa ab,
aus der Haustür müssen sie schon mal kommen.
30 Jahre ist nichts passiert, das
liegt daran, das wir keinen Mut für die Investitionen haben, können … mitgestalten
… mitzumachen … Kommunalwa…
Wieder geerdet
Das Rauschen übertönte die Offstimmen. Der Pilot hatte den
Anflug auf Magdeburg begonnen. Der Wind hatte sich gedreht, und der Auftrieb
durch die Thermik machte es erforderlich, dass wir, von Westen kommend, mit
einer Slip-Landung sauber aufsetzten und wieder festen Boden unter den Füßen
hatten. Die kleine Kiste, Leergewicht nur 300 Kilo, war kein Spielball der
Lüfte mehr.
Ich bedankte mich und verabschiedete mich vom Piloten. Er
freute sich, dass es nicht nur ein Routine-Rundflug gewesen war, auch wenn er
etwas länger gedauert hatte. Dafür hätte ich ja Bilder und Aufzeichnungen
dieser „Geisterstimmen" machen können. Der nächste Rundflug wartete schon,
er musste nur noch schnell die Maschine auftanken.
Philosophisches
Nicht als „Geisterstimme“, sondern als Notiz in meinem
Schreibblock finde ich das Zitat: „Vertrauen reduziert Komplexität, und
Transformationsphasen sind immer Phasen, in denen alles höchst komplex ist, wo
also die Unübersichtlichkeit sozusagen der Normalzustand ist. Und da kommt dem
Vertrauen ein ganz, ganz wichtiger Wert bei, und zwar in allen möglichen
Bereichen. (...) Vertrauen heißt im ökonomischen Zusammenhang
Planungssicherheit.“
(Harald Lesch, Astrophysiker, Naturphilosoph,
Wissenschaftsjournalist) in Anlehnung an die Überlegungen des Philosophen und
Soziologen Niklas Luhmann (1927–1998)