Unaufgeregt soll meine Begleitung
der Magdeburger Transformation sein. Das ist schwer. Ich beginne meine
März-Betrachtungen am 22. Tag des Lenzmonats. Die aktuelle Gemengelage ist
alles andere als unaufgeregt:
In Medien, die Köpfe und in die
ukrainische Erde gräbt sich der Krieg täglich tiefer ein, die Künstliche
Intelligenz wird gehypt und ist so präsent, dass man „KI“ nicht mehr erklären
muss. Die Inflation ist weiter auf hohem Niveau und wird zusätzlich vom Bankenkrisen-Gespenst
getrieben, das von der „Silicon-Valley-Bank“ losgelassen wurde. Der Stillstand
des Reiseverkehrs – Bahn, Bus und Flugzeug –für einen Tag ist da nur eine Petitesse am Rande und wahrscheinlich schon nicht mehr
in Erinnerung. Heute ist „Weltwassertag“, der spült den allgegenwärtigen
Klimawandel wieder zurück in das natürliche Gewissen. Die Sinnfrage der
Intel-Subventionen schwappt über die Grenzen von Sachsen-Anhalt und verwickelt
Politik und Wissenschaft in oft scharfe Wortgefechte und mediale Diskussionen,
die Kontrahenten tragen harte Bandagen. Man will aber jetzt auch miteinander reden.
Ein Aufregerthema, der
Magdeburger City Tunnel, als unendliche Baugeschichte empfunden, wird am
1.April eröffnet, er ist befahrbar und wird vielleicht neuen lokalen Schlagzeilen
Raum geben. Derweil läuft sich der
„Spiegel“ warm mit der Frage: „Intel: ist das >>Wunder von Magdeburg <<
in Gefahr?“
Der Frühlingsanfang zeigt sich
mit Leckeis-to-go-Flaneuren in einem „Volksstimmeaufmacher“. Der Frauentag und
Equal-Pay-Day wurde, mit Gleichberechtigungsblüten verziert gefeiert und hat
wieder für ein Jahr Pause.
Es ist gut, dass ich auf den
Anspruch verzichtet habe, die Gemengelagen rund um Intel in diesem Blog vollständig
durchdringen zu wollen.
Zurück zum reduzierten
Blickwinkel auf den Bördeacker, wo sich natürliches Wasser und Künstliche
Intelligenz treffen.
Und der Zug rollt …
Kleinstbahnhof, eingleisig, an nicht
elektrifizierter Strecke. Aber der kann ja noch wachsen.
Mein Rundblick vom Bahnsteig des
Osterweddinger Bahnhofes hält dort inne, wo die kilometerlange schnurgerade
Gleisstrecke sich scheinbar im Unendlichen auflöst. Von dort wird gleich mein
Zug kommen. Vielleicht wird dahinten, rechts, einmal ein Gleis zum Intel-Werk
abzweigen.
Eine neue Perspektive auf den Schienenstrang
gewinne ich mit meinem Fotoapparat. Durch das aufgezogene Zoom sehe ich alles zwanzigmal
näher. Auch wenn ich auf dem kleinen Display nicht alle Details erkenne. Ich kann
die Kamera nicht so ruhig halten, dass das Bild bei dieser Vergrößerung nicht verwackeln
würde. So werde ich zuhause mit KI das Verwackeln reduzieren und auf dem großen
Bildschirm viele Details entdecken. Zum Beispiel, dass der Schienenstrang nicht
im Unendlichen, sondern zwischen einigen Gehölzen und in einer Linkskurve verschwindet.
Ich lege die Kamera an einer Strebe des Wartehäuschens an, um eine stabile Videoaufnahme
meines Zuges zu erreichen. Ich halte fast die Luft an, um meine
Körperbewegungen nicht auf die Kamera zu übertragen. Da kommt der Zug, nicht mit
bloßem Auge, aber durch die Vergrößerung in Display der Kamera zu erkennen. Ich
sehe ihn lautlos auf mich zufahren, er hat etwas Bedrohliches.
Da rollt es, geisterhaft-lautlos,
unaufhörlich, weil nach Fahrplan, auf einer Zeitschiene, unaufhaltsam auf einen
zu, geht unweigerlich seinen vorgezeichneten Gang. Unaufhaltsam. Hier der „Abellio“-Diesel-Triebwagen,
dort das Intel-Projekt, man muss sich auf das Einsteigen einstellen, das Ticket
lösen und zur Kontrolle bereithalten.
Im herangezoomten Bild ist der
Zug scheinbar kaum in Bewegung, obwohl wahrscheinlich noch 80 bis 100 km/h
schnell. Der Lokführer hat vielleicht gerade den Motor mit einem
„Schnell-Aus-Knopf“ entkuppelt und gleichzeitig in den Leerlauf geschaltet.
Flash-back
Geschichten vom Dieselmonster V-200. Als Vierzehnjähriger durfte ich selbst damit „abfahren". 2200 PS „unter meinem Arsch" - mit ohrenbetäubendem Lärm, Schütteln und Vibrieren. Abgefahren!
Alte Geschichten vom Ende der 60er-Jahre. Aber so hat Lia ihren Urgroßvater besser kennengelernt. So eine Mitfahrt ist heute undenkbar. Erst als ich damals den Kumpels auf dem Schulhof davon erzählte, sie so viele Fragen hatten, jeder dieses schwere Eisenerzstück selbst wägend in der Hand haben wollte, ahnte ich, dass diese Mitfahrten etwas Besonderes gewesen sein mussten. Eigentlich wäre ich – wenn der Vater „auf Arbeit war“ – lieber zuhause geblieben, ohne ihn. Aber das werde ich meiner Enkelin später erzählen
Da kommt etwas auf einen zu
Auf dem Display meines Apparates wird
die Zugfront langsam größer. Ich höre die ersten Fahrgeräusche, das Anbremsen.
Ich verkleinere die Brennweite des Zooms. Hinter mir ertönen die Warnglocken
der automatischen Bahnschranken. Ich behalte den Zug im Auge, schwenke etwas
nach rechts, die nachfolgenden Wagen kommen ins Bild. Da Es sind sogar zwei
Triebwageneinheiten gekoppelt. Auch ohne Lautsprecherdurchsage mache ich mich bereit.
Wie kam ich nach
Osterweddingen?
Im Juli letzten Jahres
veranstaltete ich am Magdeburger Domfelsen ein „Open-Air-Public-Hearing“ meines
2021 entstandenen Hörspiels „Der Elbe-Ebbe-Algorithmus“. (http://www.herbertbeesten.de/Hoerspiel.mp3). Sein Inhalt ist
eine fiktive Reportage von einem Event, das anlässlich des Trockenfallens der
Elbe stattfindet
Es entwickelten sich an Ort und
Stelle Gespräche und Diskussionen. Unter anderen sprach mich Jörg Claus an, ein
sportlich großgewachsener Mann, Anfang 60, der mit einem Kollegen einen großen
landwirtschaftlichen Betrieb führt, für den Wasser eine wichtige Rolle spielt. Er
sprach davon, dass darüber nachgedacht werde, die 60% Wassergehalt der
Zuckerüben bei der Weiterverarbeitung zurückzugewinnen und wieder für Bewässerungszwecke
– genauer gesagt: zum Beregnen – zu verwenden. Mir kam gleich ein Bewässerungs-Perpetuum
mobile in den Sinn. Mit dem gleichen Wasser die nächste Rübengeneration aufzuziehen.
Aber dazu reicht wohl die Menge nicht.
Unser Gespräch war angeregt, und es stellte sich heraus, dass Jörg Claus in vielen Gremien und Gesprächskreisen mitarbeitet, in denen „Wasser in der Landwirtschaft“ immer wieder auf den Tagesordnungen steht, seit einem Jahr natürlich auch im Kontext mit der Intel-Ansiedlung. Es würde heißdiskutiert, intensiv beraten, und vieles müsste entschieden werden. Ich könne ihn gerne ansprechen, wenn ich noch Fragen hätte, und er überließ mir seine Visitenkarte.
Cruisen
Ich komme auf das Angebot vom
Sommer zurück: Wir treffen uns an einem frühlingshaften Märzmorgen in
Magdeburg, um gemeinsam nach Osterweddingen zu fahren, wo sich die Zentrale seines
landwirtschaftlichen Betriebes befindet.
Wir machen einen Umweg. Jörg
Claus kreuzt mit seinem SUV durch das Intel-Areal. Nicht alle Wege sind
befestigt, einige matschig, hier und da von Traktoren und Baggern zerwühlt. Dann
wieder fester Untergrund, der mit tiefen, regenwassergefüllten Schlaglöchern
übersät ist. Das Umfahren gelingt ihm nicht immer, das Auto schaukelt wie auf
Wellen. Ich begreife, dass ein SUV in der Landwirtschaft sinnvoll ist. Hier
braucht es ein „Schiff“.
Auf meine Frage, ob er Land- oder
Stadtmensch sei, antwortet er mit einem Lächeln: „Eher Stadtmensch“. Er ist studierter
Landwirt, kommt aus bäuerlichen Verhältnissen. Seine Eltern hatten einen, für
heutige Verhältnisse, kleinen Hof. Mit einem Partner hat er Teile einer LPG, den
Kern des heutigen Betriebs, Anfang der 90er-Jahre übernommen. Heute
bewirtschaften sie gemeinsam mit 10 Mitarbeiter*innen eine Gesamtfläche von 2.700
Hektar. Auch für heutige Verhältnisse ein großer „Hof“. 1.600 Hektar davon
liegen rund um Osterweddingen bis nach Schönebeck hinüber. Ein kleiner Teil
davon war bis vor Kurzem (auf dem Intel-Areal) noch ihr Eigen und wurde verpachtet.
Aber als das Intel-Projekt noch unter dem Codewort „Steuben“ geheim war, wurde
es der Intel-Fläche rechtlich zugeordnet.
Ich erfahre, dass das eigentliche
Intel-Areal auf Magdeburger Grund nicht 400, sondern 420 Hektar groß ist und
die angrenzenden Flächen in den Gemeinden Sülzetal und Wanzleben für die Zulieferbetriebe
weitere 600 Hektar ausmachen. Es geht also um insgesamt rund 1.000 Hektar!
Wir steigen hin und wieder für
einen Rundumblick aus. Ich bekomme auf alle Fragen freimütige Antworten von
Jörg Claus. Auf meine spontane Erkundigung nach dem Sinn und Zweck eines Betonsockels
mit Leitungsstutzen auf dem Intel-Gelände erfahre ich, dass es sich um einen
Auslass der Magdeburger Trinkwasserleitung handelt, die vom Wasserwerk aus der Colbitz-Letzlinger
Heide kommt und bislang den Landwirten der Beregnung diente, vor allem von
Kartoffeln und Rüben. Die Magdeburger Kapazitäten reichten bislang aus und
gleichzeitig war so der notwendige Wasseraustausch in den Leitungen gewährleistet.
Eine Win-Win-Situation. Beregnung mit Grundwasser ist in diesem Gebiet seit 2017
Jahren problematisch und waren zeitweise nicht mehr gestattet.
Der bäuerliche März im Wandel:
er pfleget und pflanzet all’ Bäume und Land.
Er ackert, er egget, er pflüget und sät,
und regt seine Hände gar früh und noch spät.
So heißt es im deutschen Liedgut seit
Mitte des 19.Jahrhunderts.
Meinen Kindern habe ich in den
80er Jahren des 20. Jahrhunderts die Variation von Frederick Vahle von der
Schallplatte vorgespielt:
„Im Märzen der Bauer den Traktor abschmiert.
Der Bauer ist sauer, wenn er ausgenutzt wird.
Der Traktor, der ist nützlich und der Traktor, der ist
stark,
doch kostet das Stahlvieh fast achtzehntausend Mark.“
Das muss dann wohl ein kleiner
„Trecker“ gewesen sein, so Jörg Claus, und er meint, dass so ein „Stahlvieh“ heute
zweihunderttausend Euro koste, und das sei nicht der größte und teuerste, und
dass sich auch sonst viel geändert habe. Software und KI spielen eine große
Rolle.
Das regt mich Anfang des 21.
Jahrhunderts zu folgender Textvariante an:
Im Märzen der Bauer das Update einspielt.
Der Traktor von selbst fährt, zum GPS schielt.
Beim Düngen und Ernten, da hilft ihm KI,
so spart er auch Kosten und bei der Chemie.
Szenen heutiger
Landwirtschaft:
Die Traktorfahrerin erhält,
nachdem sie sich mittels Tablet eingeloggt hat, einen Auftrag, z.B. eine
bestimmte Ackerfläche mit einem Grubber zu bearbeiten. Ein Grubber funktioniert
wie eine Egge, arbeitet aber tiefer im Ackerboden. Sie gibt ein, welches Gerät sie
benutzt, fährt mit dem Navi-System zum Acker und schaltet auf GPS um. Nachdem
sie eine Grundlinie abgefahren hat, fährt der Traktor autonom stundenlang über
den Acker. Hin und her, inklusive der Wenden an den Ackerrändern. Die Fahrerin
ist nur bei Störungen und für die Rückfahrt gefordert. Die übergeordnete
Software und KI hält alle Personal- und Maschinenkosten für jeden einzelnen
Hektar der Fläche fest. Das gilt auch für weitere Bearbeitungsschritte, wie
Düngung und Einsatz von Herbi- und Fungiziden, bis hin zu den Ernteerträgen von
Weizen, Kartoffeln, Zuckerüben, Raps, Roggen und Mais. So ist der genaue Ertrag
in Tonnen und Gewinn oder Verlust für jeden einzelnen Hektar dank KI feststellbar.
In Euro und Cent.
Der landwirtschaftliche
Unternehmer und die Unternehmerin kann so die Auswirkungen von
unterschiedlichen Bodenqualitäten und Feuchtigkeit innerhalb eines Ackerstückes
untersuchen.
Saisonal ist die Technik in
längeren Phasen rund um die Uhr in Zwölfstundenschichten im Einsatz, damit sich
der hohe Kapitaleinsatz rechnet.
Dass der Betrieb von Jörg Claus
und seinem Geschäftspartner reine Pflanzenproduktion betreibt, war für Intel
wichtig, denn „abgehende Gase“ von Tieren in der Umgebungsluft könnten die Chip-Produktion
erheblich stören.
Wünsche-Route
Mein Gesprächspartner nimmt mich,
den landwirtschaftlichen Laien, gedanklich mit in die tieferen Erdschichten des
Bördeackers auf der Suche nach Wasser. Er erklärt mir anschaulich das
flächendeckende Problem von zu wenig Feuchtigkeit. Der Grundwasserstand ist generell
in dieser Region niedrig und hat sich seit dem sehr trockenen Sommer 2018 immer
noch nicht erholt. Ich erfahre, welche Pflanzen damit besser oder schlechter zurechtkommen
und dass die Erträge je Hektar insbesondere bei den Kartoffeln und Zuckerrüben trotz
Beregnung in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen sind. Andere landwirtschaftliche
Unternehmungen mussten deswegen, denn die Pachtpreise sind hoch, schon aufgeben.
Im Moment sei an der Oberfläche zwar alles nass und matschig, aber das Drama
spiele sich in ein bis zwei Metern Tiefe ab. Dort hat sich der Boden durch die
Trockenheit verfestigt, ist quasi fest zusammengebackt, und von den
wassersuchenden Wurzeln kaum mehr zu durchdringen. Andererseits ist die Kapillarwirkung
in dieser Schicht gestört, und so funktioniert die Verbindung vom tieferen
Grundwasser noch oben nicht mehr richtig. Auf meine Frage, ob das durch länger
anhaltende Niederschläge, mehrere feuchte Jahre, wieder in Ordnung kommen
könnte, wenn es sie denn geben sollte, also, ob diese Störung reversibel sei,
zuckt Jörg Claus die Schultern. Eine Frage, die er nicht beantworten kann.
Bevor wir auf das Gelände seines
Betriebes zum ersehnten Kaffee einbiegen, cruisen wir noch durch das bei Osterweddingen
entstandene Industrie- und Logistikgebiet. Mit ca. sechshunderttausend
Quadratmetern überbauter Lager- und Produktionsflächen ist das Industriegebiet
– in etwa so groß wie das Intel-Areal – quasi ausgebucht. Verständlich, dass für
Intel-Zulieferbetriebe weitere neue Flächen in den Nachbargemeinden Sülzetal
und Wanzleben dazukommen sollen.
Landwirtschaft muss heute neu
gedacht werden, so mein Gastgeber. Damit meint er nicht nur die modernen
Maschinen oder Software- und KI-Anwendungen. Auch im landwirtschaftlich
konservativen Umfeld ist der Klimawandel nicht mehr zu leugnen. Das Thema
Wasser/Feuchtigkeit hat gerade in Sachsen-Anhalt höchste Priorität. Mein
Gesprächspartner zählt sich zu der ersten Generation, die eindeutig die Folgen
des Klimawandels erlebt und wirtschaftlich spürt und sieht sich zugleich als die
letzte Generation, welche die schlimmsten Folgen noch mildern kann, bevor der
Kipppunkt erreicht wird.
Wie geht es für meinen
Gesprächspartner weiter? Mit Luthers Wort vom Bäumchenpflanzen? So ähnlich,
denn ich erfahre, dass seine Tochter sich anschickt, in seine Traktorspuren zu
fahren, wie auch der Sohn des Kollegen. Das hört sich bodenständiger und
traditioneller an als in der Hightech-Industrie. Da kenne ich keinen Fall, auch
nicht aus meiner nächsten Umgebung, wo die Firmengründer und Gründerinnen eine
Nachfolge in der Familie gefunden hätten.
Etwas hinkt meine zeitgemäße
Metapher von den Traktorspuren allerdings. Als wir von dem modernen
Maschinenpark sprachen, erzählte Jörg Claus die Anekdote, dass er die modernen
Traktoren eigentlich gar nicht mehr fahren könne, dass er einmal, als er
einspringen sollte, schon Probleme hatte, die Maschine überhaupt zu starten.
Von Kartoffelchips zu Computerchips
Der Grund ist, dass je aufgetragener Schicht auf den Silicon-Wafers mehrfach und ausführlich mit sehr reinem Wasser - unter Zusatz chemischer Mittel - die Oberflächen gespült werden müssen. Anschließend erfolgt eine Trocknung. Das wiederholt sich bei bis zu 200 Schichten.
Zur Quelle
Woher kommt unser Magdeburger Trinkwasser? Aus dem Wasserwerk in Colbitz. Was wird da angezapft? Über viele Förderbrunnen das Grundwasser. Woher kommt das Grundwasser? Aus versickerndem Regenwasser und dem umgebenden Flusssystem der Ohre.