Sonntag, 30. April 2023

# 012 Volksstimme Schlagzeilen im April 2023


  •         Vier Scherenschnitte für einen Tunnel
  •         Kommentar: Ein erster Schritt Ansiedlung von Intel nicht berücksichtigt
  •         Hat Internationale Schule eine Chance?
  •         25 ICE stoppen pro Tag in Magdeburg
  •         Intel: Bis Sommer wird gegraben
  •         Zurückhaltung beim Eigenheim
  •         Glücksfall oder Sündenfall? Ein Gastbeitrag von Joachim Weimann
  •         Starke Geschichte, große Ideen
  •         Rekordsumme für Straßen im Land - Sachsen-Anhalt investiert 
  •         Millionen in Zufahrt für künftiges Intel-Werk
  •         Unternehmertreff zum Thema Intel-Ansiedlung
  •         Ein neuer Stadtteil für den Südosten
  •         Intel putzt den Hegelspielplatz
  •         Zusätzliche Milliarden für Intel Magdeburg? 
  •         Bund soll US-Konzern Deal angeboten haben
  •         CDU: Land soll Ost-Spitze werden
  •         OB Borris und Ministerin Hüskens fordern weiter ICE-Halt
  •         Wirtschaftsminister Schulze reist in die USA
  •         Streitgespräch über die Rolle von Unis
  •         Auf dem Radar von Silicon Valley - Intel-Ansiedlung: 
  •         Sachsen-Anhalt-Delegation auf USA-Reise
  •         Kommentar: Überfällige Entscheidung
  •         Rolle rückwärts in Sachen Intel-Ausschuss
  •         Lesermeinung: „Um das mögliche Milliardengrab Intel zu vermeiden
  •         Weniger ist oft Mehr’
  •         Bauprojekt will auf Wohnmix setzen
  •         Arbeiten und wohnen im Hafen
  •         Was bringt die Intel-Ansiedlung?
  •         Mehr als 5 Millionen Euro für neue Intel-Straße 
  •          Land finanziert künftige Zufahrt vor
  •         Ein Magdeburger auf der Leipziger Buchmesse
  •         Uni zieht 111 Nationen an
  •         Umsatzeinbruch bei Intel
  •         Leserbrief: AfD-Äußerungen sind harter Tobak
  •         Intel macht größten Verlust in der Konzern-Geschichte - 
  •         Was bedeutet das für Investition in Magdeburg?
  •          Die Krise der Chip-Riesen
  •          Intel und Samsung fahren im ersten Quartal Milliardenverluste ein
  •          PC-Markt nach Corona schwach

Samstag, 29. April 2023

# 011 Verwandeln – Verbergen – Gesundbeten: Intel-Mania im April 2023

 Als ob er auf uns gewartet hätte, er gewusst hätte, dass wir drei in der Hotelbar aufschlagen. Dass ich mitkomme, konnte er nicht ahnen, es war doch meine spontane Entscheidung und mir erst zum Ende der Lesung im Schauspielhaus in den Kopf gekommen, weil wir immer mal ein Bier zusammen zischen wollten.

Erst auf dem Rückweg die Nacht war kalt, ich trug nur ein Jackett und mein Künstlerschal rettete mich wurde mir klar, dass hier zu viele Zufälle aufeinandergetroffen sein mussten.

Das Vorstellung des Buches „Die Verwandelten“ war vom Moderator gut vorbereitet worden, der Ablauf mit der Autorin Ulrike Draesner, für den Buchpreis der Leipziger Buchmesse nominiert, abgestimmt.

Der Moderator, mit dem ich befreundet bin, spielte in seiner Einführung auf die vielen Verwandlungsgeschichten in der Literatur an, besonders auf die eine, ohne jedoch Gregor Samsa selbst zu benennen. So fühlte sich das Publikum gleich abgeholt, weil natürlich alle wussten, worauf er anspielte und er ihnen das auch zugetraut hatte.

Verwandlung ist auch ein Synonym für „Transformation“. Das war ein weiterer Grund für mich, die Veranstaltung zu besuchen. In dem vorgestellten Roman geht es um das Leben von Frauen aus drei Generationen, mit dem Blick vom heutigen Deutschland aus, zurück in das Polen der Kriegs- und Nachkriegszeit mit der Schilderung traumatischer Einzelschicksale und Erzählungen von Gewalt, Flucht, und Vertreibung. Metamorphosen werden beschrieben, sogar zum Guten. Heute spricht man von Resilienz. Parallelen zum neuen, andauernden Krieg in fast der gleichen europäischen Region, drängten, ja zwangen sich auf.

Einladung

„Und, trinken wir noch ein Bier zusammen?“, fragte ich meinen Freund, bei dem sich so allmählich die Moderations-Anspannung löste. Er hatte sich für das Gelingen verantwortlich gefühlt, war auf der Bühne darauf angewiesen, dass die ihm bislang nur aus ihren Büchern bekannte Autorin sich an die Abstimmungen hielt. Einer seiner Einfälle war, die Autorin damit zu überraschen, an passender Stelle und im Kontext des gerade vorgelesenen Kapitels den Song „Dziwny jest ten świat“ (Seltsam ist diese Welt https://youtu.be/kVp0BB6J-HI ) des einst populären polnischen Sängers Czesław Niemen einzuspielen, der Ende der 60er Jahre der wichtigste Protestsong und eine Hymne der polnischen Jugend war und auch auf die DDR ausstrahlte.

In der Lesung war also alles gut gelaufen, die Schlussworte waren gesprochen, der Buchverkauf der örtlichen Buchhändlerin brummte und eine kleine Warteschlange bildete sich auf dem Weg zur Signierung. Auf besonderen Wunsch der Autorin wurde „Dziwny jest ten świat“ im Hintergrund in Dauerschleife wiederholt.

„Ja, können wir gerne machen,“ war seine Antwort, seine Frau käme auch mit. „Nur wo?“, wurde ich als Ortskundiger von ihm gefragt. Zu dieser Stunde unter der Woche eine Lokalität zu finden, die noch neue Gäste empfangen würde, war in Magdeburg eine Herausforderung. Da war für mich die Bar des Hotels in der Innenstadt, in dem sie untergebracht waren, noch die zuverlässigste Adresse.

Das bestätigte sich, als wir nach unserem Fußweg durch die Frische der Nacht dort einen Barkeeper und noch mehrere Gäste vorfanden. Für uns kam so nur  eine etwas versteckte Ecke mit wulstig gepolsterten Sitzbänken an einem Vierer-Tisch infrage, wo wir unsere erste Bierrunde orderten.

Ich kannte das Hotel, weil ich dort vor einigen Jahren einen Film produziert hatte, der die fast 100-jährige Geschichte des Gebäudes im Wandel der Zeiten und der drastischen politischen Veränderungen zum Thema hatte. Schon wieder Transformation. Der rote Faden war die Vita des Architekten und seines Sohnes, die ihren Anfang in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen hatten. Schon wieder Krieg.

Meine Erkundigungen beim Barkeeper, als er die Biere brachte, nach den damaligen Kollegen, mit dem wir eine ausführliche Bar Szene gedreht hatten, lief ins Leere. Er sei vier Jahre weg gewesen und erst seit  Kurzem wieder in Magdeburg.


Druckbetankung

Zufrieden reflektierten wir zu dritt die gelungene Veranstaltung im Theater, als wie aus dem Nichts der Hotelmanager auftauchte, auf uns zusteuerte und mich begrüßte. Ich versuchte, meine Gesprächspartner am Tisch vorzustellen, aber er ging kaum darauf ein, sondern stieg direkt mit mir in einen Small Talk ein.

Wir kannten uns noch von der Filmaktion. Die Hotelorganisation wurde damals auf unsere nächtlichen Arbeiten angepasst. Im Gegenzug war die spätere öffentliche Präsentation des filmischen Ergebnisses eine gute Werbung für das eher schlichte, unauffällige Gebäude, das mit unserem Film eine Seele erhielt.

Nachdem wir die Veränderungen in der Hotelbranche durch die Corona-Eskapaden abgehandelt hatten, er die dadurch weggefallenen, mehrere tausend zählenden, Übernachtungen je Jahr chinesischer Gäste auf immer verloren gab, steuerte er auf die Situation zu, die sich für Magdeburg durch die Intel-Ansiedlung ergeben würde.

War unser Gespräch anfangs ein noch Dialog gewesen die Gesprächsbeteiligung meiner beiden Begleiter, die als Auswärtige mit dem Intel-Thema nicht so befasst waren, bestand darin, hin und wieder zustimmend zu nicken und ihre Blicke zwischen dem Hotelmanager und mir hin und her wandern zu lassen so entwickelte es sich zu seinem Monolog. Daran war ich nicht ganz unschuldig, weil ich kurz erwähnte, dass ich gerade einen Blog zur Intel-Ansiedlung schreibe.

Da legte er richtig los: „Ich sage Ihnen, auf Magdeburg kommen Veränderungen zu, die sich noch keiner so richtig vorstellen kann. Die Stadt wird in ein paar Jahren eine andere sein. Wir müssen uns umstellen, wollen wir das richtig machen. Die Verwaltung, vor allem in der Stadt, muss noch viel schneller, flexibler und pragmatischer werden, wenn diese Riesenchance nicht vertan werden soll. Die Wohnungsbau -und Immobiliengesellschaften sind ja schon dabei. Da werden speziell möblierte Wohnungen eingerichtet, mit typisch amerikanischem Inventar. Das ist wichtig! Auch verkehrsmäßig muss viel getan werden. Und überhaupt die Gastro-Szene, die muss sich komplett umstellen. Wir sind auch schon dabei. Die sind Service gewohnt, guten Service, Service rund um die Uhr und Büroflächen brauchen die, jede Menge.“

„Stimmt, ich habe vor ein paar Tagen in der ‚Volkstimme‘ gelesen, dass Intel am Hassel im ‚Plättbolzen‘ Büros für 30 Leute bezogen hat,“ bestätigte ich. Meine beiden Mitgäste nutzen die kurze Atempause und signalisierten wortlos dem Barkeeper hinter der Theke durch Hochhalten eines leeren Halbliterglases und einer kreisenden Handbewegung die Bestellung einer weiteren Runde.

Wir saßen brav in der Ecke in unseren Polstern. Er dozierte weiter an der Kopfseite unseres Tisches und versperrte so unseren Ausweg und legte nach: „Ach, am ‚Plättbolzen‘ sind die doch schon länger, seit ein, zwei Monaten schon, am Hasselbachplatz. Ja, ja, die ‚Volksstimme‘. Da steht zuerst alles in der ‚Bild‘-Zeitung und drei Tage später zieht die ‚Volkstimme‘ nach. Die wissen doch alle nicht, was so richtig läuft und was das bedeutet. Die Stadt ist im Wandel und man wird sie in ein paar Jahren nicht mehr wiedererkennen. Das sag ich Ihnen.“

Der Barkeeper brachte die nächste Runde Bier. Ich fragte mich kurz, ob ich in meinem Blog anstatt der bisherigen „Volksstimme“-Schlagzeilen lieber die überdimensionierten Überschriften der „Bild“-Zeitung zitieren sollte. Aber dann müsste ich die ja lesen. Ob die in der Sachsen-Anhalt-Ausgabe schon „Wir sind Intel!“ getextet haben?

„Zum Wohl,“ stieg der Hotelier wieder ein und schweifte etwas jovial ab: „Ich komme auch gerade von einer schönen Runde. Wir machen am Gründonnerstag immer unser Betriebsfest. Das ist der ruhigste Tag im ganzen Jahr, mit nur ganz wenigen Gästen. Wir haben dann nur eine kleine Besetzung an der Rezeption, das Restaurant ist geschlossen, so dass die meisten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mitmachen können. Wir waren schön essen im „Enchilada“, man muss ja auch mal schauen, was die anderen so machen, und anschließend bei „Holiday on Ice“ in der Getec-Arena. Alles auf Firmenkosten natürlich, kostet ganz schön, aber einmal im Jahr muss das sein, gehört dazu.“

„Wir waren im Theater, das war auch beeindruckend, eine Lesung. Hier übrigens der Moderator des Abends und seine Frau“, schob ich ein, wies dabei auf meine beiden Tischgenossen, um Gesprächskreis und Thema zu erweitern.

Damit war ich nur sein Stichwortgeber für den nächsten Exkurs: „Ja, auch das ganze Entertainmentgeschäft wird in Zukunft auf ein ganz anderes Niveau gehoben werden müssen. Die neue Stadthalle, die Hyparschale, das wird nicht reichen, wir brauchen eine richtige große Musikhalle, auch optisch wird sich die Stadt total verändern. Hochhäuser werden in 10, 15 Jahren hier normal sein, darüber regt sich dann keiner mehr auf. Natürlich werden sich die Preise erhöhen, nicht nur wegen der Energie und Inflation, das gehört eben dazu, wenn die Nachfrage steigt. Die Magdeburger wollen doch alle, dass ihre Stadt prosperiert, aber mosern über Baustellen und Verkehrsstaus. Die sollten mal andere Großstädte kennenlernen. Wasch mich, aber mach mich nicht nass. Aber die meisten Leute ahnen ja immer noch nicht, wie sich alles verändern wird durch die Intel-Ansiedlung. Allein 7000 Menschen während der dreijährigen Bauphase, stellen Sie sich das mal vor, aber das bringt uns weiter. Ich bekomme schon die ersten Anfragen von großen internationalen Investoren, die unser Hotel kaufen wollen. Aber der Preis stimmt noch nicht, aber das wird. Ich will ja den damaligen Kaufpreis und die über die ganzen Jahre getätigten Investitionen raushaben, natürlich mit einem satten Aufpreis. Gewinn(?) Aber ich denke, vorher werde ich noch die Zimmer durchsanieren und modernisieren, wie vor Corona schon angefangen, jetzt natürlich auf internationales Niveau mit amerikanischem Outfit. Die Braut also ein bisschen aufhübschen und dann das Kleid etwas liften. Ich sage Ihnen, in einigen Jahren ist diese Stadt eine andere!“

Der Barkeeper brachte die nächste Runde. Die Bestellung hatte ich gar nicht mitbekommen, ich war anfangs baff über die Intel-Euphorie und Visionen des Hotelchefs, dann aber etwas unaufmerksam geworden. Ich mag es zwar, wenn Menschen für eine Sache richtig brennen, aber hier ging eine gewisse Bodenhaftung verloren. Oder lag es an meinem langen Tag und dem dritten Bier?

Am Tisch wendeten wir drei uns, als wäre es abgesprochen gewesen, einander zu, als ob wir etwas vertraulich besprechen wollten. Der Visionär verstand unsere Körpersprache: „Oh, jetzt habe ich mich ja ganz schön verquatscht. Ich muss auch rüber, zur Rezeption, die haben da irgendwelche Probleme, das ist ja mein Job, die zu lösen. Dann noch einen schönen Abend.“

„Ebenso“, antworteten wir drei fast im Chor, und weg war er. Erst da fiel mir auf, dass im Hintergrund das polnische Lied lief, das mein Freund auch im Theater hatte einspielen lassen.

 Allzu lange machten wir in der nun ruhigeren Dreierrunde auch nicht mehr. Die Bettschwere war erreicht, wir verabschiedeten uns. Ich machte mich durch die Fastfrostnacht zu Fuß auf den Heimweg, die Wort-Kanonade des Hoteliers als schweres Gepäck noch im Kopf.

 

Hidden Agenda - Intel-Mania

Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, ich zählte zwei und zwei zusammen und begriff, worum es kurz zuvor dem Hotelier gegangen sein musste. Seit einigen Wochen, genauer, seit dem Querschuss des hallischen Wirtschaftsinstituts, war mir aufgefallen, dass sich über die „Volkstimme“ nach und nach Persönlichkeiten des Magdeburger Lebens zum Thema Intel zu Wort gemeldet hatten. Alle gegen Halle, hieß es. Meist gestandene und anerkannte Männer, 50+, aus Wohnungsbau- und Immobilienunternehmen, von Wirtschaftsverbänden, aus Teilen der Finanzwelt, auch die Wissenschaft durfte nicht fehlen, fast nur alte weiße Männer. Ich gehöre selbst zu dieser Spezies und freue mich auch, wenn zum Beispiel über meinen Intel-Blog berichtet wird, auch wenn ich da nicht alles grundsätzlich gesundbete.

Aber hier erschien es mir anders. Als ob es da eine verschworene Gemeinschaft, eine Art Männergeheimbund geben könnte, vereint unter dem Slogan: „Sind wir nicht alle ein bisschen Intel?“, die der Intel-Mania frönen, die in einer konzertierten Aktion auf breiter Front, jeden auch noch so kleinen Intel-Gegenwind in Windstille verwandeln wollen. Der Hotelier gehörte auch dazu. Ja klar, auch mich hatten sie ausgemacht, als potenziell kritischen Influencer, der deswegen von ihm bearbeitet werden musste.

Da waren heute Abend zu viele Widersprüche: Warum waren trotz des ruhigsten Auslastungstages gleich mehrere Bartische besetzt? Das waren doch bezahlte Komparsen, die die Plätze so besetzt hatten, dass wir uns in die Polsterecke zwängen mussten, die er dann so geschickt blockierte, dass wir nicht einfach wegkonnten. Wieso konnte er schon um halb elf an unserem Tisch sein, wenn „Holiday on Ice“ doch bis elf dauerte? Das stimmt doch vorne und hinten nicht. Dann kommt er „rein zufällig“ auf das Thema Intel zu sprechen. Zufällig! Wer das glaubt, wird selig. Er gehört doch auch zu der geheimen Intel-Mania-80-Prozent-Schnittmenge aus Mitgliedern der Lions-, Rotary-, Marketing- und Golfclubs. Nicht zu vergessen die Herren von der IG Innenstadt und dem Pro Magdeburg Verein. Abgekartet war unser Treffen, nicht zufällig, alles konstruiert. Von wegen Betriebsfest, er hatte den Auftrag, mich anzustecken mit seiner euphorischen Intel-Mania und dann als kleine Warnung, unterschwellig, die gleiche Musik aus dem Theater, von der vorher nur der Moderator und ich wussten. Die Botschaft klar: „Wir haben dich im Auge, wissen, was du machst und was du denken sollst“.

Dagegen gibt es auch eine nicht geheime Intel-Mania-Frauenpowerriege: Angefangen mit unseren beiden Magdeburger Wirtschafts- und Kulturbeigeordneten sowie der Oberbürgermeisterin, weiter mit den drei Frauen der Geschäftsleitung der Intel Deutschland GmbH, bis hin zur deren Aufsichtsratsvorsitzenden.

Ab Ende stimmt die Quote wieder. Die Ausgewogenheit der Meinungen auch?

Okay, vielleicht habe ich das Barerlebnis etwas ausgeschmückt, mich da reingesteigert, auch Erinnerungen sind schon Transformationen. Bier hatte ich getrunken, kalt und windig war es auch. Und die „Verwandelten“ spukten herum. Auch mein Lektor meinte, dass vielleicht meine Assoziationen mit mir durchgegangen seien, wie so oft.


Beten für Intel

Das Intel-Projekt kann man auch spirituell begleiten. Jetzt ohne Ausschmückungen beschrieben: Neulich, in einem frei-evangelischen Gebetsraum, entdeckte ich ein kleines Refugium, ein Tischchen mit Intel-Logo, Blumen und Kerze, und mir wurde bestätigt, dass man hier regelmäßig für Intel betet mit dem Wunsch, dass die Intel-Ansiedlung zum Nutzen der Magdeburger abläuft.

Ein weiterer Anlass ist die Solidarität unter Christen. Der jetzige CEO des amerikanischen Intel-Mutterkonzerns, Pat Gelsinger, wird an dem Tischchen auf einem Blatt aus seinem Buch „Balancing Your Family, Faith & Work“ von 2003 zitiert. Dort hat er über ein Schlüsselerlebnis geschrieben, wie er als junger Mann zu seinem Glauben an das Evangelium gefunden hat. Eine etwas andere Art des heutigen „Life, Work, Balance“? Wer weiß, vielleicht ist die Stadt in einigen Jahren wirklich eine andere.

Freitag, 31. März 2023

# 009 Volksstimme Schlagzeilen im März 2023

  •         Hochhausträume für die Innenstadt
  •         Bauchlandung für den Intel-Ausschuss
  •         Gelingt der Umbau? Diskussion am IWH in Halle:
  •         Mikrochip-Experten kommen bald aus Magdeburg
  •         Die neue Willkommenskultur
  •         Große Pläne für den Wohnungsbau in Magdeburg
  •         Noch mehr Bauland in Ottersleben?
  •        1993 Der Chip-Produzent Intel beginnt mit der Auslieferung des Pentium Prozessors.
  •         Uni stellt Weichen für Intel
  •         „Niemand steht Schlange“, Intel-Miesmacher des IWH
  •         Intel-Streit: CDU stellt IWH in Frage
  •         Ostbeauftragter rügt Intel-Aussage des IWH
  •         Karl Gerhold, geschäftsführender Gesellschafter der Getec-Gruppe, kritisiert „fragwürdige Thesen“
  •         Intel-Streit: Kritik am IWH spitzt sich weiter zu
  •         Wohnungsgenossenschaft kontert Kritik zur Intel-Ansiedlung
  •         Bördeboden besser nutzen
  •         Intel: Oberbürgermeisterin kritisiert Wirtschaftsforscher. Harsche Replik von Borris
  •         Dubiose Ausschreibung für Intel-Posten
  •         IWH-Chef plädiert für einen Wirtschaftsbeirat
  •         Magdeburg genau richtig
  •         Wirtschaft im Land kritisiert das IWH
  •         „Intel-Förderung ist sinnvoll“
  •         Von einem, der alles weiß
  •         Chip-Pionier Gordon Moore gestorben
  •         Intel-Streit: IWH und Minister im Gespräch
  •         In Magdeburg werden Büroräume knapp
  •         Intel sitzt und putzt jetzt am Hassel
  •         Land offen für höhere Intel-Hilfen
  •         Intel-Ansiedlung ist wie die Mondlandung

Donnerstag, 30. März 2023

# 010 Die zweite Meinung in einem Zuge - März 2023

 

Steht man vor einer wichtigen Entscheidung, wie zum Beispiel einer Operation oder anderen medizinischen Maßnahme, soll man eine zweite Meinung, neudeutsch „second opinion“, von kompetenter Seite einholen.

So geht es mir beim Thema „Wasser“, oder, genauer gesagt, mit der „Wasserbilanz“ im Hinblick auf den Klimawandel und im Kontext der Intel-Ansiedlung. Neben dem Gespräch mit Jörg Claus war meine Hauptquelle eine Broschüre aus den Jahre 2021: Klimamodellauswertung Sachsen-Anhalt 1961 – 2100“, herausgegeben vom LAU, dem Landesamt für Umweltschutz des Landes Sachsen-Anhalt in Halle.

Die zweite Meinung hole ich am vorletzten Märztag ein, im letzten Wagen des IC 2446 von Halle nach Magdeburg. Ich sitze darin, von Chemnitz kommend, und warte beim Halt in Halle auf meinen Gesprächspartner: Dr. Karsten Rinke vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung, kurz UFZ genannt. Wir hatten vor einigen Tagen beim Telefonieren festgestellt, dass wir auf dem Rückweg von Veranstaltungen heute zufällig im gleichen Zug sitzen würden. Ja, solche Zufälle gibt es wirklich. Er wird gleich aus dem ICE von Erfurt umsteigen. Da wir uns noch nicht persönlich begegnet sind, haben wir diesen Wagen als Treffpunkt und wie für ein konspiratives Rendezvous Erkennungszeichen vereinbart. Er: leuchtend hellblaue Jacke. Ich: breitkrempiger schwarzer Hut.


Ich komme

aus Chemnitz, von einem von mir initiierten Treffen von Vertretern und Vertreterinnen der freien Kulturszenen der ehemaligen Bewerberstädte für die europäische Kulturhauptstadt 2025.

Ja genau, da war doch etwas, das Magdeburg bis vor zwei Jahren auch sehr stark bewegt, viel Aufwand und Energie gekostet hat. Ein großes Anlaufen im Versuch, als Stadt wieder in europäische Dimensionen vorzudringen und weithin wahrgenommen zu werden. Auch damals gab es Für und Wider, Zweifler, Optimistinnen, Hoffnungsträger und Miesmacherinnen. Damals – es fühlt sich an, als wäre das schon 10 Jahre her – bekamen die Desillusionisten ihre Bestätigung. Wir hätten, trotz Euphorie nach dem Erreichen der Endrunde, nie eine Chance gehabt. Danach erlebten die schnell geschmiedeten „B“-Pläne, die bis 2030 reichten, eine nachhaltige Bruchlandung. 

Alle Pläne? Nein! Da gibt es, versteckt in den noch freien kulturellen Nischen der damaligen Bewerberstädte, den Plan „C“ der unerschrockenen und resilienten Aufrechten, die sich an den Schwur der freien Szenen von 2018 erinnern: Egal, welche Stadt den Zuschlag erhält, die freien Kulturszenen der unterlegenen Städte und Regionen, sollen, unterstützt von der lokalen freie Szene der dann ernannten Kulturhautstadt Europas, die Möglichkeit bekommen, sich gemeinsam, also jetzt, bei „Chemnitz 2025“, einzubringen. Dafür wurde nun am Vortag der Anfang in Chemnitz mit den ersten Projektideen vollzogen.

 

Exkurse

Mein IC wartet immer noch auf den etwas verspäteten ICE aus Erfurt. Im Zugabteil arbeitet sich am benachbarten Viererplatz mit Tisch eine junge Frau in einem exotisch, aber modern wirkenden Hosenanzug, vielleicht eine Studentin, an einem Schriftstück ab. Plötzlich kommt sie zu mir und fragt in gebrochenem Deutsch, ob ich ihr helfen könne. Sie würde gerade einen Deutschkurs, Stufe C2 machen. Sie müsse Textlücken mit den richtigen Pronomen füllen, die sie einer Liste entnehmen soll. Sie weist auf eine Lücke, ich zögere, weil ich erst aus dem Kontext ableiten muss, ob Plural oder Singular gemeint ist, entschuldige mich, dass ich nicht so sicher in der Grammatik bin, obwohl ich Texte schreibe, dafür aber von einem versierten Lektor unterstützt werde. Ich weiß nicht, ob sie das versteht. Sie schaut mich verwundert an, als ich schnell meinen Hut aufsetze, denn der Erfurter ICE ist angekommen. Viele Passagiere queren eilig den Bahnsteig in unseren Zug. Ich halte Ausschau nach einer leuchtend hellblauen Jacke. Karsten Rinke und ich finden und begrüßen uns, während der Zug anrollt und eine längere Lautsprecherdurchsage die Kommunikation erschwert. Gleichzeitig bittet die Studentin, höflich, aber bestimmt, um weitere Hilfe, jetzt von uns beiden. Unser Tipp „ihren“ einzusetzen, funktioniert nicht, weil sie diese Pronomina schon „verbraucht“ hat. Also muss ein Fehler vorliegen. Sie radiert alles aus, um mit uns den ganzen Text durchzugehen.

Karsten Rinke versteht es, mit der Frau ins Gespräch zu kommen. So erfahren wir, dass sie aus Venezuela kommt und in einigen Tagen die Prüfung ansteht. Er macht ihr freundlich klar, dass wir eine Besprechung geplant haben, die wir bis Magdeburg zu Ende bringen müssen und dass wir sie leider nicht weiter unterstützen können.

Karsten Rinke ist ein sportlicher, drahtiger Typ, er wirkt offen und sympathisch, vielleicht um die 50, eher jungenhaft als väterlich. So überzeugt er unsere ratsuchende Mitreisende, die zuerst etwas hilflos lächelt, sich aber dann mit ihrem Heft auf ihren Platz zurückzieht und sich wieder über das Aufgabenheft beugt.

Ich entledige mich meines Hutes und Karsten Rinke seiner Jacke. Er berichtet, dass er von einem Kongress zum Thema „Seen“ kommt. Das wäre sein Spezialgebiet, nicht das Grundwasser, aber er will mir trotzdem gern bei dem Thema helfen. Ich schildere ihm, was ich in Sachen Landwirtschaft und Wasser erfahren und sonst noch recherchiert habe. Er hört sich alles an. Als ich kurz innehalte, fragt er, ob ich fertig sei. Ich bin etwas verdutzt. Er klärt mich freundlich auf, dass ich ruhig weitersprechen, aber mich nicht wundern solle, dass er nur zuhöre und so erfahre, auf welchem Stand ich bin und welche Fragen für ihn daraus folgen.

Fakten, Fakten, Fakten

In der Zugdurchsage wird schon Köthen angekündigt, so beende ich erstmal meinen Vortrag. Was sagt er dazu? Er reiht Vergleichszahlen und zeigt Zusammenhänge in schneller Folge, relativiert die eine oder andere meiner Einschätzung, weiß auf viele meiner Fragen Antworten, bei einigen, die nicht in das Tagesgeschäft seiner Expertise gehören, lässt er Fragezeichen stehen. Ich kann gar nicht so schnell mitschreiben. War das vorhin Liter pro Tag oder pro Kubikmeter je Monat? Waren 500 Millimeter Jahresniederschlag früher oder jetzt?


Ich resümiere: Der genaue Intel-Wasserbedarf ist ihm nicht bekannt, aber ausgehend von der Größe, die für den Wasserverbrauch der wohl vergleichbaren Intel Chip-Fabs in Irland genannt wird, also ca. 600.000 m³ je Monat in der ersten Ausbauphase, wäre das eine
beherrschbare Größenordnung. Das bestätigte schon sein Institutskollege im letzten Sommer gegenüber dem MDR. Die Kapazitäten im Wasserwerk Colbitz wären allerdings dafür nicht ausreichend, so dass man perspektivisch ein Wasserwerk an der Elbe bauen sollte, mit Wasserentnahme aus dem Uferfiltrat. Die Entnahme, selbst bei extremem Niedrigwasser, wäre weniger als ein Prozent vom Elbdurchfluss, also unproblematisch.

Das Problem für der Elbe besteht nicht in der zusätzlichen Wasserentnahme durch Intel in Magdeburg - das Problem ist vielmehr, dass die Elbe von vorn herein einen viel zu geringen Pegel hat, der Menschen-gemacht ist. Dieser Menschen-gemachte Wassermangel verstärkt die Probleme, die der Klimawandel uns bringt und daher müssen wir unser Wassermanagement anpassen. Zu verhindern gilt es, dass Wasser schnell aus der Landschaft abfließt (z.B. durch hohe Flächenversiegelung, Entwässerungssysteme, Drainagen, ... auch auf dem Intel-Gelände), sondern eher in den Grundwasserspeicher der Landschaft infiltriert. Aus diesem Speicher rekrutiert sich ja der Niedrigwasserabfluss der Elbe. Ein weiterer Punkt ist der Flussverbau. Durch die Buhnenfelder und die Aufrechterhaltung der Schiffbarkeit hat sich die Elbe mancherorts über zwei Meter in die Landschaft eingetieft und lässt dadurch die Auen vertrocknen und entzieht der Landschaft noch tiefere Grundwasserschichten.

Grundwasserentnahmen an anderen Stellen in der Region käme nicht in Frage, da seit 2010 der Grundwasserspiegel zusätzlich durch die aufeinander folgenden trockenen Jahre insgesamt um ca. einen Meter abgesunken ist. Dass solche trockenen Jahre so gehäuft und mit diesem Effekt auftreten, hätten er und seine Wissenschaftskollegen und -kolleginnen sich noch vor ein paar Jahren nicht träumen lassen.

Karsten Rinke wird konkret: Durch weitere Maßnahmen, wie geschlossene Wasserkreisläufe mit Reinigung und Wiederverwendung und Gebrauch von Wasser mit unterschiedlichen Qualitäten für verschiedene Nutzungen, könnten die Wasserressourcen insgesamt effektiver genutzt werden. Die Investitionen in Wasser- und Abwasserwerke mit den Leitungen seien natürlich erheblich, aber würden die Wasserkosten trotzdem in wirtschaftlichen Grenzen halten. Die Resilienz der Wasserversorgung für Magdeburg wäre, mit einem zusätzlichen Wasserwerk an der Elbe, in schwierigen Situationen, wenn es z.B. in Colbitz mal knapp werden würde, größer.

Nach diesem stürmischen Wellenritt durch die Wasserwelt der Börde rauschen wir schon durch Schönebeck und haben sogar noch Zeit, uns über unsere Herkunft und Lebensumstände zu unterhalten, auch darüber, und wie wir beide als Magdeburger Neubürger mit der Mentalität der Magdeburger klarkommen.


IC – ICE – ICCE

Eine endliche Fahrzeit für Besprechungen wirkt effektiv. Bis zum Zielbahnhof muss man fertig sein:

Vielleicht könnte man daraus ein Geschäftsmodell machen. Sonderwagen mit unterschiedlich großen Besprechungsabteilen einsetzen, eine KI-Anwendung analysiert durch Data-Mining Gesprächs- und Kontaktbedarfe innerhalb von Konzernen und zwischen Unternehmen, kombiniert diese mit ohnehin anstehenden Dienstreisen und bringt so die Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen auf ICE-Strecken zu Konferenzen zusammen. Ein ICE würde so zum ICCE – einem Intercity Conference Express. Der würde dann auch in Magdeburg halten, weil die Intel-Ansiedlung über Jahre nicht nur konzernintern viele Gesprächsrunden erfordert. Was ist bei Verspätungen? Die geben Raum für gruppendynamische und teambildende Additional-Events. Zeit für Protokolle braucht man nicht. Die Tonaufzeichnungen werden von der KI automatisch transkribiert und schnell in kompakte, schnörkellos formulierte Dokumente verwandelt. Noch bevor die Konferierenden aussteigen, haben sie automatisch das Protokoll im Postfach, die verteilten Aufgaben und Termine in ihren ToDo-Listen und das nächste Treffen in den Terminkalendern.

Karsten Rinke und ich sind beim „Du“ und auf dem Magdeburger Bahnhofsvorplatz angelangt. Wir verabschieden uns. Er fährt mit dem Fahrrad weiter, Richtung Ostelbien, jenseits des Umflut-Kanals.

 Ich absolviere meinen Abendgang nach Hause und tangiere dabei den Hasselkreisel. „Intel sitzt und putzt jetzt am Hassel“, stand gestern groß in der „Volksstimme“, „mit 30 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im spitz zulaufenden ‚Plättbolzen‘ “. Hier wird die Intel-Mitarbeiterin ihren Arbeitsplatz haben, die ich neulich in München vermutet habe. Der „Plättbolzen“ ist so etwas wie der kleine, aber drei Jahre ältere Bruder des ikonografischen Flatiron Building in New York. Ich werde für meine Führung „Check den Hassel“ nun meine Ode an den Hassel ergänzen müssen.

 

Vorbehalte dahingeschmolzen

Intel-Office startet im „Plättbolzen“

Sieht aus wie das Flatiron Building

Little New York mit Hassel-Feeling

 

… oder so ähnlich.