Archäologie
vom Ende zum Anfang – Januar 2023
Der Januar
ist ein Ruhemonat, die Natur rastet, in der Erde des Bördeackers schläft noch
die Kraft und Energie des Frühlings, an den Sommer ist noch nicht zu denken.
Wie tief
haben sich hier die Engerlinge vergraben, in Erwartung eines harten Winters,
der sich aber auch als mild erweisen könnte?
Archäologen gehen
auf dem Bördeacker, wo die Intel-Fabriken entstehen sollen, nicht so weit
zurück. Zehntausend Jahre reichen, es geht hier um menschliche
Hinterlassenschaften. Sie müssen auch nicht so tief schürfen, nur systematisch einen
halben Meter, an "verdächtigen" Stellen ein, zwei Meter tief, um dieses Feld für
die Zukunft freizugeben. Zurückgelassenes, Verstecktes, wie die mit Goldplättchen
belegte Himmelsscheibe von Nebra, findet sich oft nur durch Zufall.
Weißes Gold
war früher Porzellan, aber auch Salz wurde noch bis vor 200 Jahren als knappes
Gut so bezeichnet, wird aber heute in dieser Region als günstiges Massengut gefördert.
Heute ist weißes Gold auch sauberster Quarzsand, das zu reinstem Silizium
weiterverarbeitet, in silbrig-grau glänzende Siliziumscheiben gesägt wird, so als
Vorprodukt hier ankommen soll, um dann in der Zwei-Nano-Technologie zu
High-Tech-Computerchips, quasi veredelt zu Gold, also zu viel Geld verwandelt werden
soll.
400 Hektar bester
Börde-Schwarzboden dürfen nicht verloren gehen, also soll er abgetragen und in
Gegenden verbracht werden, die es landwirtschaftlich nötiger haben. Als
Ingenieur muss ich das gleich überschlagen, rechnen: Die Mutterbodenschicht ist
hier circa einen halben Meter stark, macht zwei Millionen Kubikmeter oder ungefähr
400 LKW-Ladungen: Ein Jahr lang an jedem Arbeitstag.
Ein Verlust?
Hier wurde bislang großflächig konventionelle Landwirtschaft betrieben. Monokultur,
Wechsel von Weizen und Zuckerrüben, auch mal Kartoffeln, begleitet von Gülle,
Dünger und Agrochemie. Die Frage "Intel statt Bio-Dinkel" stellte sich nicht.
"Die ersten
Intel-Vorboten: Bagger haben bei Magdeburg auf dem zukünftigen Firmengelände
Flächen freigelegt, damit Archäologen auf Spurensuche gehen können", heißt es
am 28. Januar 2023 in der "Volksstimme". Im Bild ein Bagger, der einen Streifen
des Geländes von Mutterboden blankgezogen hat.
Das will ich
auch tun.
Selbst in
Vergangenem schürfen?
Ich mache
mich von der Magdeburger Stadtmitte mit dem Fahrrad auf den neun Kilometer langen
Weg: Durch den Sudenburger Kiez, immer die „Halber“ (Halberstädter Straße) entlang,
die zur Chaussee wird. Am Ende des aufgelockerten, dörflichen Stadtteils
Ottersleben schräg rechts in die Wanzleber Chaussee, über die Autobahn: Schon von
der Autobahnbrücke aus kann ich gut das links liegende weitläufige, von
schmalen Wirtschaftswegen durchzogene ebene Gelände überblicken. Ich nehme
gleich den ersten Feldweg links in das Gebiet hinein, wo, der Jahreszeit gemäß,
fast nichts mehr wächst. Aber dafür die Hoffnung auf eine der deutschlandweit
größten Industrieansiedlungen durch den amerikanischen Intel-Konzern.
Am Wegrand: Auf
den Stock gesetzte Baumstümpfe, aus denen sich ein- oder zweijährige, kahle Schösslinge
hochrecken. Man könnte ihnen andichten, dass sie ihr Dasein noch einmal
demonstrieren, sich melden oder verzweifelt mit langen Fingern in die Luft
greifen, als ob sie ahnen, dass sie nie wieder auf den Stock gesetzt, sondern mit
Stumpf und Stiel entwurzelt werden. Eine andere Deutung könnte sein, dass sie
sich nochmal strecken, locker machen, um dann stilvoll das Feld dem Fortschritt
zu überlassen.
Ich sehe die
von den Baggerschaufeln blankgezogenen Schneisen, wie in dem Zeitungsbild,
drei- vier Meter breit, knapp einen halben Meter tief, bis zur Grenze, wo der
Mutterboden auf hellen Unterboden trifft, einige dieser Erdlichtungen sind hundert
Meter lang oder länger, an anderen Stellen schon wieder verfüllt, planiert, so
dass nur noch eine Erdnarbe zu sehen ist. Wie nach einer OP: „Alles in Ordnung“,
sagt die Operateurin, „kein Befund, wir haben nichts gefunden“.
Ich will nicht den gleichen Weg zurückfahren, verirre mich aber.
Irgendwo frage ich einen älteren Herrn, der mich gleich duzt, nach dem Weg nach.
Ich sei in Langenweddingen, erklärt er mir und dann umständlich den Weg nach
Magdeburg. Als ich ihn verstanden habe und losfahre, fragt er noch, wo ich denn
herkäme. Ich rufe, schon ein Stück entfernt, dass ich mir das Intel-Gelände
angeschaut habe. Er ruft mir irgendeine Bemerkung zu Intel nach, die ich aber
nicht mehr verstehe. Ob sie positiv oder negativ war? Egal. Ich muss noch vor der
Dunkelheit zurück sein, weil ich meine Fahrradlampe nicht dabeihabe.
Aber: Eine verpasste Gelegenheit – das wird mir schnell klar, bin ich
doch auf der Suche nach verschiedenen Aspekten zur Intel-Ansiedlung. Hätte er
sie begrüßt, ob der wirtschaftlichen Impulse, oder verflucht, weil er die
dörfliche Ruhe bedroht sieht? Ich brauche andere Sichtweisen zu den Themen High-Tech,
KI und Solutionismus – die mich gerade beschäftigen – seine Einschätzung, ob er in Intel auch das sieht, was von vielen
als Problemlösung erwartet wird. Die
Meinung des alten Mannes, seine Einschätzung dazu wären ein Umkehren wert
gewesen. Wir gehören der gleichen Generation an und wären uns vielleicht einig
geworden. Bei einer ähnlichen Gelegenheit werde ich es tun.
Doch jetzt:
Archäologie im Buckauer Boden
Buckauer
Lametta
Erdlichtungen
werden in den Bördeboden gezogen, um Zeitadern zu entdecken, die hier schon vor
tausenden Jahren unter den heutigen Zuckerrübenäckern erstarrt sind.
Suchgräben wie
auf dem Acker sind hier nicht notwendig, Reste von Bodenkanälen sind zu
erkennen, ehemals für Ver- und Entsorgungsprozesse. Mit der Erinnerung an meine
eigene Metallberufsausbildung vor 50 Jahren habe ich plötzlich den typischen
Geruch von dampfendem Bohröl in der Nase, sehe die Späne beim Bohren und Drehen
wegspritzen, an der Hobelmaschine einen Arbeiter mit einem Wedel die angesammelten
Späne von seiner Maschine wegfegen.
An den
mehrreihigen, im Spalier aufgestellten Pfeilern sind trotz der Verwitterungen
noch Kennzeichnungen zu erkennen. In Längsrichtung hat jede Reihe am Anfang
einen Buchstaben, in Querrichtung jeder Pfeiler eine fortlaufende Zahl. Ich
stelle mir vor, wie einer der Tausenden im SKET arbeitenden Menschen einst
diese Zeichen als Orientierung und Navigation zu den Arbeitsplätzen in der
riesigen Werkhalle brauchte. Jetzt ist wieder der trockene, kalkige Bauschuttmief
zu riechen. Ob hier vor 150 Jahren die Maschinen über von Dampfmaschinen
angetriebenen und oben angebrachten Transmissionswellen über Riemen angetrieben
wurden?
Es ist nicht
gestattet, dass hier jeder einfach herumstochert, fotografiert. Aber ich habe
die Erlaubnis des Verwalters, der die Vision hat, dieses Areal auch mit Kultur zu
revitalisieren, zu retransformieren. Neben einigen kleinen Dienstleistungs- und
Logistikfirmen ist neuerdings ein Künstler, zugleich Maler und Bildhauer, mit
seinem Atelier in einem sanierten Gebäude in der Nachbarschaft ansässig. Metall
ist sein Lieblingskunstwerkstoff.
Etwa 80 % der
alten Gebäude auf dem ehemaligen, 200 Hektar großen SKET-Gelände, sind abgerissen.
Im ehemaligen, jetzt schick sanierten und restaurierten SKET-Hauptverwaltungsgebäude,
ist seit über 10 Jahren die „regiocom“ eingezogen. Das europaweit tätige Magdeburger
Unternehmen bietet IT-Services durch elektronische Abrechnung für die Energie-
und Telekommunikationsbranche.
In der großen
Eingangshalle ist ein umlaufender Fries gezeichnet, mit ungefähr 100 zivilen
und militärischen Produkten, die hier seit Mitte/Ende des 19.Jahrunderts hergestellt
wurden.
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