Freitag, 30. Juni 2023

# 016 Erst wenn du im Verein bist, bist du in Deutschland richtig angekommen … Juni 2023

Wie man einem Amerikaner die deutsche Kleingartenwelt erklärt

  • ·        Von Subbotniks, Teambuilding und Gierschem Gesetz
  • ·        Vision im KGV Prießnitz e.V.

Gartensparten, auch Klein- und Schrebergärten genannt, bezeichnen städtische Gebiete mit konzentrierten Ansammlungen von Gartenparzellen, auf denen dazu Lauben, Gartenhäuschen, Datschen oder sogenannte Bungalows gebaut sind. Diese speziellen, naturnahen Freizeitareale sind auch im Stadtfeld gleich mehrfach zu finden. Ein schönes Beispiel dafür ist der Kleingartenverein Prießnitz e.V., eine von drei Gartensparten am östlichen Rand der Liebknechtstraße.

War das Gebiet Anfang des 20. Jahrhunderts ein Freizeit- und Sonnenbad noch zu erkennen an den ältesten Gebäuden am Platz, den ehemaligen Umziehkabinen wurde es ein Schrebergartengebiet und in den 70er-Jahren durch den Bau der vierspurigen Tangente (B 71) durchschnitten und aufgeteilt. So befinden sich hier heute drei Gartensparten, quasi mit eigener Tangentenausfahrt. Vincenz Prießnitz (1799 – 1851), nach dem der Kleingartenverein benannt ist, war ein autodidaktischer Naturheiler und Protagonist von Kaltwasseranwendungen und Gartenarbeit. Heutige moderne Naturphilosophen würden das vielleicht als „Gartenbaden“ bezeichnen, ähnlich, wie sie einen normalen Waldspaziergang als „Waldbaden“ verkaufen. Allerdings sieht man selten lustwandelnde Kleingärtner, die meditativ auf ihre Flora und Fauna einwirken. Das Beackern und Pflegen eines Kleingartens ist kein lockerer Spaziergang.

Den KGV Prießnitz finde ich eingekeilt zwischen der Tangenten-Abfahrt im Osten und dem Kleingartenverein „Sonnenschein“ im Westen. So trete in eine Zwischenwelt ein, die ich bislang noch nicht kannte, auf der Suche nach meinen Gesprächspartnern.

Wir treffen uns bei bestem Frühsommerwetter mitten im blühenden Garten des Vorstandmitgliedes Ramona Huth (RH). Mit dabei sind Vorstandsmitglied Thomas Eckhoff (TE) sowie Vereinsmitglied Stefan Börner (SB). Alle sind offen, gut gelaunt und bereit, sich auf ein Rollenspiel einzulassen, der Einfachheit halber in deutscher Sprache, das ich folgendermaßen geplant habe:

Ich schlüpfe in die fiktive Rolle von Jack, einem Neubürger Magdeburgs, der zum erstmals in Deutschland, für ein großes amerikanisches IT-Unternehmen arbeitet, das sich hier ansiedeln möchte. Er ist naturverbunden, gläubig und sucht für seine „Work-Life-Balance“ in der Natur einen Ausgleich zu seinem verantwortungsvollen und stressigen Job. Er hat Gerüchte über die für ihn exotische Institution „Gartensparte“ gehört. Die meist dürftigen und ausschließlich auf Deutsch gehaltenen Homepages haben ihm auch nicht weitergeholfen, außer, dass dies wohl „typisch deutsch“ sein müsse, wie auch der seltsame Buchstabe „ß“ in Prießnitz.


Das Gespräch

Herbert Beesten (als Jack): Hello, ich interessiere mich für die deutsche Kultur und Gesellschaft und habe von diesen seltsamen Schrebergärten gelesen, von denen ich vorher noch nie gehört habe. So etwas gibt es bei uns in Amerika nicht. Können Sie mir einfach erklären, was das hier ist?

RH: Unser Verein verpachtet kleine Gärten, in denen verschiedene Dinge angebaut werden können, wie Gemüse, Blumen, wo auch Obstbäume stehen. Für viele hier ist es wichtig, auf kurzem Wege, vom Stadtzentrum aus, – Ihr Büro ist ja am Hassel, habe ich gelesen – sich in der Natur erholen und entspannen zu können.

Relaxen. Das ist gut, das kenne ich und danach suche ich auch. Aber was bedeutet „verpachtet“?

RH: Das ist: Wie ein Stück Land mieten, man könnte es als „rent a garden“ bezeichnen. Unser e.V.   hat das gesamte Areal gepachtet und verpachtet es dann weiter an unsere Vereinsmitglieder.

e.V.? Verein? Was ist das?

TE: Tja Jack, das gibt es in Amerika, glaube ich, so nicht und ist vielleicht „typisch deutsch“. Also, ein eingetragener Verein, abgekürzt e.V., ist eine rechtlich verbindliche Organisationsform, die oft, wie wir auch, gemeinnützig ist und keinen Profit erwirtschaften darf. Wir haben einen Sie würden sagen Präsidenten oder eine Präsidentin, oder so etwas Ähnliches wie einen „CEO“.

Oh, das klingt aber alles ziemlich strange für mich, also streng. Wie gesagt, ich suche etwas zum Relaxen.

RH: Es kommt darauf an, wie das Vereinsleben tatsächlich abläuft, das liegt auch an den Leuten selbst. Aber insgesamt gibt es natürlich Regeln und ein paar Vorschriften.

SB: Es gibt sogar die Deutsche Kleingartenverordnung mit Gesetzeskraft.

Verordnung, Gesetze … wissen Sie, wir Amerikaner mögen es eigentlich, wenn der Staat nicht alles bis in den privaten Bereich mit seinen Gesetzen regelt …

RH: … die Hauptregeln sind eigentlich ganz einfach und nachvollziehbar: Keine Zäune und Hecken höher als 80 Zentimeter, mindestens ein Drittel des Gartens muss als Nutzgarten dienen, Wohnen ist hier nicht erlaubt … fällt euch noch etwas ein …? (an die beiden KGV-Kollegen gerichtet)

TE: Wir wünschen uns auch eine aktive Beteiligung in der Gemeinschaft. Es gibt gemeinsame Arbeitseinsätze, früher nannte man das hier „Subbotniks“, heute eher auf Neudeutsch „Teambuilding- Events“.

Oh ja, ich verstehe. Wir Amerikaner veranstalten gerne Barbecues mit der Familie und Freunden, wenn das Wetter mitspielt. Kann man das hier regelmäßig machen?  

RH: Das ist auch bei den Magdeburgern beliebt, wir nennen es Grillparty. Im Sommer kommt das öfter vor, manchmal auch spontan, aber eine Partymeile ist das hier natürlich nicht.

Das hört sich doch cool an. Ich habe da hinten am Durchgang rechts einen Garten gesehen, der verwildert wirkt, oder ist das „Biodiversität“? Ein schweres Wort. Könnte ich den zum Beispiel pachten?

RH: Ganz so einfach ist das nicht. Aber bewerben Sie sich doch bei uns, wir freuen uns, wenn wir neben verschiedenen Nationalitäten auch einen Amerikaner in unserem Verein haben. Allerdings vergeben wir den Garten erstmal auf Probe für 2 Jahre und Sie müssten Vereinsmitglied werden.


Willkommenskultur

Jack, „The Vereinsmitglied"? Oh, dass es so schnell geht, habe ich ja nicht geahnt. Einige amerikanische Kollegen hatten mich schon vorgewarnt: Erst wenn du in einem Verein bist, bist du in Deutschland richtig angekommen ... meinten sie. Bin ich schon so weit?

SB: Sie sehen, Jack, wir freuen uns über eine Bereicherung, nicht nur in Flora und Fauna, und ich glaube, der Magdeburger Willkommenskultur würde eine internationale Durchmischung gerade hier guttun. Ich habe eine Vision: Das „Stars & Stripes-Banner" flattert neben unseren Deutschland- und FCM-Fahnen im Wind.


Aber vielleicht können Sie auch in unserem „Stadtgarten Sonnenbad", hier auf unserem Gelände, kleiner anfangen. Nicht gleich „Thing big - rent a garden", sondern erstmal „rent a field" oder „low level gardening". Dort können Sie zunächst in einem überschaubaren Gemüsebeet versuchen zu säen, zu pflanzen und zu ernten, in einem kleinen Umfang, noch nicht so arbeitsintensiv. Dann können Sie feststellen, ob Ihnen das wirklich gefällt. Sie müssen nicht gleich unserem Verein beitreten, sondern können unser Vereinsleben etwas aus der Distanz betrachten und einige Kleingarten-Vereinsrituale kennenlernen und dabei intensive Erfahrungen mit der deutschen Vereinskultur machen. Wobei wir in dieser Angelegenheit gemäßigt sind.

Okay, das ist eine gute Idee, dann übernehme ich so ein Testfeld. Erstmal ausprobieren, ich weiß ja auch noch nicht genau, ob ich in zwei Jahren noch hier bin.

TE: Ach ja, so etwas wie das „Mooresche Gesetz" gilt hier übrigens auch, allerdings in der Ausprägung des „Gierschen Gesetzes".


Das "Mooresche Gesetz" kenne ich natürlich, aber das „Giersche Gesetz"?

TE: Das geht so: Wenn du einmal das Unkraut Giersch in deinem Feld hast, verdoppelt es sich alle ein bis zwei Jahre.

Auch bei dieser Trockenheit?

TE: Unkraut wächst immer. Die gute Nachricht aber ist: Es gibt hier keine „Tumbleweeds", diese vom Wind verwehten Büsche, die kennen wir bisher nur aus den Western.

Aber wir sind ja auch im Land der Dichter und Denker, so kann ich Ihnen das Gedicht „Giersch“ von Jan Wagner sehr empfehlen.

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