Dr.in-Dipl.-Ing.in Liane Müller-Utsch
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Vorausblick auf die Achse der Zukunft bis 2042
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Silicon-Börde – Allee der Kommerzbauten –
Hasselbachplatz
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Stadtplanung heute. Im Spannungsfeld von
Wirtschaft, Kultur und Politik
Am
Klinketeich Nr. 1 in 39116 Magdeburg-Ottersleben. Dort treffe ich die neue
Stadtplanerin Liane Müller-Utsch in der obersten Etage des neuen 48-stöckigen
Klinke-Hochhauses. Noch unter ihrem Vorgänger haben mutige Architekten durch
die beiden obersten, 100 Meter über die Halberstädter Chaussee frei herauskragenden
obersten Stockwerke, dem Gebäude die Silhouette einer stilisierten Türklinke
gegeben. Freilich meinen böse Volksmundstimmen, das sähe eher wie ein Galgen
aus. Die Schöpfer sahen unter dem Motto: „Die Klinke in die Hand geben!“, den
Turmbau als Synonym für Begegnungen, Kommunikation und Transformation. Zugleich
steht er als Leuchtpylon und Kristallisationspunkt für Magdeburgs Zukunft, hier,
auf halbem Wege zwischen der traditionellen Innenstadt und der Silicon-Börde.
Es ist
der Vorabend des Aschermittwochs und schon fast dunkel. Der Rundblick von hier
oben ist fantastisch. Am noch etwas hellen westlichen Horizont zeichnet sich
das Profil des Brockens ab. Mein Blick folgt den hier vom obersten Stockwerk
fächerförmigen ausgehenden grünen Laserstrahlen, die wie Trageseile einer
riesigen, ausladenden Hängebrücke südwestlich von den Chips-Fabs an der
Autobahn in die nordöstlich liegende Innenstadt bis zum Hasselbachplatz
reichen. Dahinter der angeleuchtete Dom, etwas rechts davon das Leuchtfeuer des
Albin-Müller-Turms im Stadtpark und dazwischen der angestrahlte Pylon des
Strombrückenzuges. Der Halbmond darüber komplettiert das Panorama, fast schon
kitschig, wäre es nicht echt. Frau Müller-Utsch sitzt mir entspannt in einem
der stilechten, freischwingenden Bauhaussessel, Marke „Thonet“, bei dämmrigen
Licht gegenüber, durch die bodentiefen, umlaufenden Fensterbänder unser
heutiges Thema immer vor Augen.
Hasselbachplatz-Blog:
Frau Doktor Müller-Utsch, Sie sind nun seit Anfang 2032 verantwortliche
Stadtplanerin für den Bereich des Hasselbachplatzes bis hinüber in die Silicon-Börde
bei Ottersleben. Von hier aus haben Sie das ja alles im Blick. Was werden wir
sehen, wenn wir in 10 Jahren, also 2042, von hier runterschauen? Was haben Sie
sich vorgenommen?
Müller-Utsch:
Heutzutage muss man „Stadtplanung“ neu denken, wurde sie vor 10 Jahren eher als
„Satt-Planung“, also mit zwei „t“, gelebt (lacht). Gerade für Magdeburg
ist nicht erst heute, da Intel bereits die vierte Fabrik auf die grüne Wiese
gestellt hat, eine neue Zeit angebrochen. Die Eröffnung der neuen Werke von
Infineon und Apple zeigen, wohin es geht. Wenn Sie dann noch die Ankündigung
der chinesischen Investoren im Hinterkopf haben, das neue KI-Großlabor in
Langenweddingen anzusiedeln, wissen Sie, warum damals die Eingemeindung von
Sülzetal ein genialer Schachzug war. „Sülzetal goes silicon valley“, war nicht
umsonst 2029 der entscheidende Wahlslogan im OB-Wahlkampf.
Was ist neu an Ihrer
Stadtplanungsdenke?
Noch genauer darauf schauen, was Magdeburg braucht. Unsere Stadtgesellschaft wird noch internationaler werden, als sie jetzt schon ist. Da müssen wir uns Gedanken machen, was für typische und ausschließliche Magdeburger Merkmale wir haben, um uns von anderen deutschen, aber auch internationalen Standorten, abzuheben.
Also lieber klein-klein
anstatt international business?
Geht das auch genauer?
… ich war
ja noch nicht fertig! Das heißt, von den HighTech-Tempeln in der Silicon-Börde
aus, in Richtung Innenstadt, sollen entlang der 4-spurigen Wanzleber- und
Halberstädter Chaussee sowie der innerstädtischen Halberstädter Straße rechts
und links Fast-Food-Ketten und gehobene Systemgastronomie verschiedener Couleur
angesiedelt werden, kombiniert mit One-Stop-Shopping-Malls und
Mega-Outlet-Centern. Da fühlt sich das internationale Publikum schon mal
heimisch und sicher.
Also doch so gesichtslos
wie überall?
Bis hier.
Aber es geht ja weiter zum Hasselbachplatz. Break. Cut. Plötzlich eine andere
Welt: Alt, rustikal, Vintage, Kiez, Chaos, Clochards, kleine Läden, rumhängende
junge Menschen, Bettler, das volle Programm. Der Gegenpol zur hypermodernen
geordneten High-Tech- und Business-Welt: Die Gründerzeitfassaden,
Alleinstellungsmerkmale schlechthin, und die Namen: Hasselbachplatz,
Plättbolzen, Goldbroiler und so weiter sind Premium-Marken, die es an keinem
anderen Ort der Welt gibt. Und wenn unser Publikum dann noch diese Begriffe im
richtigen Machteburjer-Slang spricht, und das wird es zweifellos wollen, dann sind
die Leute hier angekommen und wollen nie wieder weg.
Am Hassel soll alles so
bleiben, wie es schon seit vielen Jahren war?
Bitte
nicht nur „Hassel“ sagen, sondern das richtige Wording beachten:
„Hasselbachplatz“ unbedingt komplett aussprechen, sonst verwechseln die Leute
das noch mit dem englischen Wort „hustle“, also „Eile“. Die Leute sollen am
Platz verweilen.
Sorry, … der
Hasselbachplatz soll also bleiben, wie er ist?
Nein, der hat sich ja zum
Leidwesen vieler Leute in den letzten 40, 50 Jahren immer wieder verändert.
Dann die Mode, vielen der Geschäfte und Läden englischen Namen zu geben. Das
kennt doch das internationale Publikum aus allen Ecken der Welt zur Genüge.
An der
Angebotsstruktur müsste gefeilt werden, weg von den Spätis, Shisha Bars, Barbershops,
Imbiss- und Dönerbuden.
Das hört sich nicht nach
„Feilen“ an, eher nach „Absägen“.
Wir
wurden seit 20 Jahren immer wieder von vielen gedrängt, endlich dort in die
Strukturen einzugreifen. Aber wenn das nicht klappt, sollte es wenigstens
unverwechselbar auf Deutsch bezeichnet werden.
Haben Sie da ein paar
Vorschläge?
Ja gerne:
„Wasserpfeifengaststätte“ statt Shisha-Bar zum Beispiel, oder für Spät-Shops
passt „Spätverkaufsstellen“ besser.
„Curry 54“ könnte „Gaststätte mit Hausnummer
54 für Fleischspeisen mit ausländischen Gewürzmischungen“ heißen. Ein Nightclub
ist wieder ein „Nachttanzvergnügungslokal“ und „Under-Cover-City-Shoe-Shop“
wieder der „Schuhmachermeister mit angeschlossenem Schuhladen im Hinterhof“.
Und die Dönerbude?
„Blitz-Gastronom
für südländisches Drehspießfleisch nach Rezepten aus der türkischen Provinz
Bingöl“.
Klingt kompliziert.
Deutsch
ist kompliziert. Nach all dem vereinfachenden, gleichmachenden Populismus der
letzten beiden Jahrzehnte brauchen die Menschen Begriffe, über die sie
nachdenken, an denen sie sich inhaltlich orientieren können.
Ich wusste gar nicht, dass
Stadtplanerinnen auch noch den Job der Landeszentrale für politische Bildung
machen.
Sie haben
Recht, ich komme vom Thema ab, ich wollte nur den älteren Magdeburger Bürgern
und Bürgerinnen helfen.
Vom Populismus wegzukommen?
Nein, weil Englisch für viele
immer noch ein Problem ist.
Vielleicht sollte man die guten alten früheren Kneipennamen wieder einführen: Am „M2“ würde „Weinstudio Grün-Rot“ stehen, das „Drugstore“ wird wieder „Zum Alten Dessauer“, „Delicata“ zum „Goldbroiler“ und das „Flower-Power“ könnte „Impro“ heißen.
„Impro“ klingt aber nicht
so richtig deutsch.
Aber ostdeutsch. Das war die
legendäre DDR-Kultkneipe mit Blues- und Rockmusik in der Liebigstraße, hat mir
mein Opa erzählt.
Aber Sie
bringen mich auf eine Idee: Wir machen daraus einen NeOssi-Kiez. Extra für die
Neu-Ossis, die hier jetzt wohnen und sich mit unserer Region identifizieren,
aber eine andere Biografie als die Alteingesessenen haben. Auf der grünen Wiese
am Magdeburger Prämonstratenserberg bauen sie gerade einer mittelalterlich
anmutenden Altstadt als Neu-Nachbau aus der Beton-Retorte nach. Da ist unser
NeOssi-Hassel-Kiez um Längen bzw. um 150 Jahre authentischer!
Hasselbachplatz!
Hasselbachplatz?
Ja, es muss „NeOssi-Hasselbachplatz-Kiez“
heißen! Ihre Rede.
Stimmt.
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