Samstag, 9. März 2024

# 045 Literatur und Transformation

Albrecht Franke und Herbert Beesten im Gespräch, anlässlich der Lesung vom 4. März 2024 in der Stadtbibliothek Magdeburg

 

Herbert Beesten: Transformation ist das Thema meines Blogs. Passt dieses Wort überhaupt zur Literatur – denn erklärtermaßen kommen im Blog nicht nur Sachtexte, sondern eben auch literarische Texte vor.

Albrecht Franke: Wenn wir von der Grundbedeutung des Wortes ausgehen, von der transformatio, der Umwandlung, Umgestaltung, Umformung – unbedingt! In seinen „Vorlesungen zur Ästhetik“ erwähnt Hegel eine „Totalität einer Welt- und Lebensanschauung des Romans“. Es dürfte erlaubt sein, diese Totalität auf die Literatur im Ganzen auszudehnen. Besonders erzählende Techniken vermögen es, das geschichtliche Leben der Menschen bis in seine Alltäglichkeit, ja Banalität, und Intimität hinein ständig zu begleiten. Es können detaillierte, aber auch umfassende Bilder des Lebens gegeben werden. Das umfasst Historie, Geographie, Politik, Ethnologie, Geisteswissenschaft, Psychologie, Medizin, auch die Utopie, die Technik usw. Insofern spiegelt Literatur auch Veränderungen und Transformationen.

Zu denken wäre an den Bildungs- oder Künstlerroman, den Entwicklungsroman.

Ja. Wichtig für die Darstellung der Transformationsprozesse waren, besonders im 20. Jh., die Aufnahmen von dokumentarischen Materialien, Mitteln und Techniken. Wenn wir etwa an Dos Passos‘ „Manhattan Transfer“ denken. Oder, um in der Nähe zu bleiben, Edlef Köppens „Heeresbericht“, der auf faszinierende Weise Archivmaterialien verwendete und so die Aussage seines Romans gewaltig verstärkte. Das war aber vor hundert Jahren etwas ganz Neues, etwas Unerhörtes sozusagen in der Literatur. Tradierte Formen wurden umgewandelt und damit weiterentwickelt!

Hast du auch früher schon Literatur unter dem Gesichtspunkt der Transformation betrachtet?

Ich muss zugeben: So wie ich das eben gesagt habe: Nein!

Hat das mit deinem „DDR-Hintergrund“ zu tun?

Wohl nicht. Denn gerade die frühe DDR-Literatur hat ständig von Wandlungen der Menschen und Umstände gehandelt. Etwa von den Wandlungen in der Landwirtschaft, in der Politik. Interessanterweise war es vielleicht gerade diese Herangehensweise, die auch die Darstellung von Widersprüchen ermöglichte. Ich entsinne mich noch gut der zum Teil wütenden Reaktionen auf Strittmatters „Ole Bienkopp“. Oder dass man Werner Bräunigs Roman „Rummelplatz“ einfach verbot. Wie sieht das nun aber vor einem „westdeutschen“ Hintergrund aus?

Ich glaube, die Entwicklung verlief ganz ähnlich, wenngleich auch keine Bücher verboten wurden. Widersprüche in der Gesellschaft wurden gezeigt, die Nachwirkung des Dritten Reiches: Böll, Walser, Grass, Frisch; gar die „Literatur der Arbeitswelt“ tauchte auf, etwa bei Max von der Grün. Wenn das keine Transformation ist …

Jetzt erlaube mir eine Frage: In welchem Werk der Literatur findest du den Gedanken der Transformation beeindruckend verwirklicht?

Als junger Mensch hat mich das Buch „Haben oder Sein“ von Erich Fromm geprägt, so dass für mich bis heute der psychologische und gesellschaftskritische Aspekt der Transformation wichtig ist. Und wie sieht das bei dir aus?

Das großartigste Werk in dieser Hinsicht ist für mich Peter Weiss‘ „Die Ästhetik des Widerstands“.

HB Gut, jetzt aber zur ganz gegenwärtigen Transformation: Intel etc.

 

Nach einer Gesprächsidee von Albrecht Franke.

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