Von der uralten gusseisernen Presse zum modernen CNC-Holz-Bearbeitungszentrum
- Handwerkliche Produktion und Tradition nebeneinander
im Stadtfeld
Herbert
Beesten für „Mein Stadtfeld“: Ich habe den Eindruck, dass das, was Sie hier im
Stadtfeld machen, nicht so viele machen.
Frank H.: Ja,
wir sind damit hier fast allein. Es haben viele Handwerker aufgegeben, so sind
insgesamt nur noch wenige da, und wir sind hier in Stadtfeld-Ost, glaube ich,
die letzten, die auch noch produzieren. Viele Tischlereibetriebe machen
heutzutage nur noch Montagen.
Wie
schaffen Sie das, es ist ja bestimmt nicht einfach?
Frank H.: Wir
haben rechtzeitig investiert, auch in moderne CNC-Maschinen und produzieren
hier im Hinterhaus in eigenen Räumen, die unsere Altvorderen und wir bereits
seit 1900, also in der 5. Generation, als Tischlerei nutzen. So können wir noch
einigermaßen mit dem Handel konkurrieren, außer, wenn z.B. die Tischlereien der
Justizvollzugsanstalten oder der Behindertenwerkstätten – wie beim neuen
Justizzentrum an der Halberstädter Straße – als Wettbewerber auftreten. Die
können wegen des Lohngefüges natürlich günstiger anbieten.
Wo ich
herkomme, da sagt man Schreiner, nicht Tischler. Was ist der Unterschied?
Gerlinde H.:
Ich habe gleich an Ihrer Aussprache gehört, dass Sie von woanders kommen. Aber
da gibt es keinen Unterschied. Wir sagen hier ja auch Fleischer und Sie dagegen
vielleicht …
… Metzger! Und
unsere Frikadelle ist bei Ihnen …
Gerlinde H.: …
die Bulette, genau!
Also alles
sind Meatballs, stellt Sam fest. Anderorts auch Klops oder Fleischpflanzl,
ergänze ich. Aber wir kommen vom Thema ab.
Frank H.: Ich
weiß auch nicht, von wo sich das Wort „Schreiner“ begründet, bei Tischler ist
es ja klar, weil er Tische baut.
Gerlinde H.:
Das kommt wahrscheinlich von „Schrein“, also von Schrank.
Schrein
könnte auch auf Sarg hindeuten, die haben die Schreiner früher auch hergestellt,
auf dem Dorf zumindest. Bauen Sie auch Särge, also Totenschreine?
Frank H.:
Nein, Erdmöbel haben wir noch nie gemacht.
Auf Ihrer
Homepage habe ich gesehen, dass die Holzverkleidungen, außen am neuen Hotel
„Das Elb“ im Stadtpark, aus Ihrem Hause kommen. Das sieht ja architektonisch
beeindruckend aus, wie ein auf Stelzen stehendes Kreuzfahrtschiff.
Tim H.: Ja,
und auch im Innenausbau haben wir einiges gemacht.
Da fällt mir
mein Projekt „Kulturfrachtschiff“ ein, das ich zur Kulturhauptstadtbewerbung
als Bühne für die freie Kulturszene auf dem Domfelsen vorgeschlagen hatte. Das
Thema Kulturhauptstadt ist ja leider passé. Aber vielleicht wird das
Kulturfrachtschiff früher oder später mit Hilfe eines Sponsors doch noch
Realität. Aber da braucht man jemanden, der so etwas auch bauen kann. Trauen
Sie sich so etwas zu?
Frank H.: Wie
soll das denn aussehen?
„Rein
zufällig“ habe ich hier auf meinem Handy einige Zeichnungen, Bilder, sogar ein mit
Virtual Reality animiertes Video und in meinem Atelier auch ein reales Modell
aus Holz im Maßstab 1:100. Sie können sich das auch alles unter www.kulturfrachtschiff.eu genau
ansehen.
Tim H.: Sehr
interessant und visionär, das wäre wirklich ein tolles Projekt und eine
Herausforderung. Aber Schiffe bauen wir nicht.
Es hat nur die
futuristische Form eines Schiffes, genau besehen, ist es ein Bühnenraum, der
auf kleinen Stelzen auf dem Domfelsen stehen soll.
Frank H.: Ach
so. Dann braucht man einen Architekten, der das plant, dann trauen wir uns das
zu und hätten Spaß daran: Unten ein Stahlrahmen, den Baukörper als
Holzständerwerk und lackierte Holzflächen außen. Und bei drohendem Hochwasser
kann man es, wie die alten Rayon-Häuser hier im Stadtfeld, abbauen, danach
wieder aufbauen. Aber wenn das Kulturfrachtschiff circa 50 Meter lang werden
soll, kostet das einiges, aber dafür bringen wir gerne als Sponsoren-Schild
„Intel“ an.
Kommen wir gedanklich
zurück in die Arndtstraße. Auch wenn hier offiziell baurechtliches Gewerbe
zugelassen ist, ist das doch gefühlt eher ein Wohngebiet. Gibt es dadurch
Probleme?
Gerlinde H.:
Nein, eigentlich nicht. Sicher gibt es ab und zu Maschinengeräusche, aber die
Nachbarschaft kennt und akzeptiert das, immerhin ist unsere Tischlerei seit 123
Jahren hier ansässig und der Schallschutz moderner Isolierfenster hilft auch.
Wir betreiben schon seit 30 Jahren eine nachhaltige Heizungsanlage für die
Werkstatt und das große Wohnhaus – also lange vor der aktuellen
Energiediskussion – preis- und umweltgünstig mit unseren Holzspänen. Der
Schornsteinfeger und das Umweltamt überwachen regelmäßig alle Anlagen und
Emissionen.
Für welche
Kundschaft arbeiten Sie?
Frank H.: In
der letzten Zeit öfter überregional für Arztpraxen und medizinische
Einrichtungen. In diese Branche sind wir durch Empfehlungen gut eingeführt.
Gerade statten wir eine Radiologie Praxis in Nürnberg aus.
Und hier in
Magdeburg selbst?, will Sam wissen.
Gerlinde H.:
Ja auch, vor allem ältere und langjährige Kunden hier aus dem Stadtfeld können
wir als Stammkunden bezeichnen, weil wir noch Sachen in Ordnung bringen. (Sie
weist auf einige Gegenstände am Eingang.) Da, sehen Sie, dieser Schubkasten
und Nähschrank warten auf eine Reparatur, typisch sind die beiden alten Stühle,
die aus dem Leim gegangen sind. Das macht sonst fast keiner mehr.
Wir arbeiten
auch alte Möbel auf, wie z.B. diesen alten wuchtigen Schreibtisch, an dem wir
hier sitzen.
Was
erwarten Sie von der Intel-Ansiedlung?, will Sam weiterwissen.
Frank H.: Wir
sind auch Wohnungsvermieter und wissen, dass die Nachfrage nach günstigen
Wohnungen gerade hier im gewachsenen Stadtfeld mit dem guten Wohnumfeld
zunehmen wird. Wir sind durch unsere über 120-jährigen Firmengeschichte auf
Veränderungen und neue Einflüsse gleichsam „genetisch“ vorbereitet. Die Gründerzeit
und die Weltwirtschaftskrise
wurden durchlebt, wir konnten auch in DDR-Zeiten privatwirtschaftlich bleiben.
Dann die Wende, da hat sich auch technisch viel verändert. Wir haben schon
früher mit Materialengpässen und einer schwierigen Stromversorgung zu kämpfen
gehabt.
Tim H.: Schöne
Beispiele dafür sind unsere über 123 Jahre alte gusseiserne Holzpresse, die
Furniere aufbringt, und unser neustes CNC-Holzbearbeitungszentrum zum
automatischen Bohren, Fräsen und Sägen in einem Arbeitsgang, das zeige ich
Ihnen, wenn Sie möchten.
Gern.
So machen wir uns auf den Weg. Es geht vorbei an den Meisterbriefen der Vorbesitzer Arthur und Wolfgang und auch des heutigen Meisters Frank Heine, an einem Schwarz-Weiß-Bild von 1934, auf dem genau diese drei – Frank ist noch ein kleiner Junge – zu sehen sind, in das Werkstattgebäude im Hinterhof und erhalten kurze Vorführungen der beiden Arbeitsgeräte, die unterschiedlicher nicht sein können.
Hier arbeiten neben Tischlergesellen auch zwei Auszubildende. Einer davon macht gerade seine Prüfung und wird übernommen. Ein neuer Lehrling beginnt im September seine Ausbildung. Er hat vorher ein Praktikum im Betrieb gemacht, damit er ein realistisches Bild vom Tischlerberuf bekommt und durchhält. „Nur: ‚Ich will irgendwas mit Holz machen, reicht bei uns als Berufsmotivation nicht aus‘“, so Tischlermeister Frank Heine.
Wir bedanken
und verabschieden uns. Ich glaube, Sam hat einen authentischen und
überzeugenden Blick ins deutsche Handwerk erhalten.
Weitere Infos
zum Tischler-Betrieb: siehe auch www.tischlerei-heine-magdeburg.de
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