Sonntag, 26. Februar 2023

# 005 Februar-Zweifel 2023

 

Die Magdeburger haben eine mehrschichtige Liebe zu ihrer Stadt, eine zögerliche Art auf andere Menschen zuzugehen und eine abwartende Haltung, wenn jemand große Töne macht, und die sich erstmal zurücklehnen, innerlich die Arme verschränken, um zu sehen, was der oder die andere draufhat, erst mal gucken, ob das wirklich alles so wird, wie er oder sie sich das vorstellt.“ Auf diese Weise charakterisiert ein Musiker seine Mitbürger*innen in einem Interview. Er selbst, vor gut zehn Jahren aus Schleswig-Holstein zugewandert, findet sich da auch wieder, das hat schon auf ihn abgefärbt und seine in Magdeburg geborenen drei Kinder seien in mehrfacher Hinsicht echte Magdeburger. Ein Grund zum Stolz.

Mir selbst ist der Spruch: „Da kannste ja nich meckern“ als eine der höchsten Magdeburger Lobeshymnen bekannt, gleich nach NICHTS. Das meint, wenn jemand gar nicht kommentiert, obwohl etwas offensichtlich gut ist. Auf meine Nachfrage zuckt der Magdeburger und die Magdeburgerin die Schultern und wenn es hochkommt, wird darauf hingewiesen, dass kein Meckern schon Lob genug sei.

Ich erinnere mich an Kalles Worte: „Die seh ich noch nicht, glaub erst dran, wenn es tatsächlich losgeht, mit der Baustelle“.

Ich bezeichne das als „Grundzweifel“. Ob das ein mentaler Ausgleich für zu wenig Selbstvertrauen ist? Dass der Magdeburger ganz anders kann, wird bei seinem FCM deutlich.

Good news are …

Wurde in der „Volksstimme“ gefühlt in jeder Ausgabe, seit dem Sommer 2022 oft mehrfach, im lokalen oder überregionalen Teil, über die Intel-Ansiedlung in vielen Facetten berichtet, so war das auch, bis auf eine Ausnahme, (nach meiner Recherche jedenfalls) ab dem Neujahrstag 2023 so. Bis zum 10. Februar.

Im Laufe des Januars wurde deutlich, dass Intel auf dem Weltmarkt der Gegenwind ins Gesicht bläst. Berichte über einen Umsatzeinbruch im gerade abgelaufenen Quartal machten die Runde, denen zufolge Intel in die Verlustzone gerutscht sei. Die Gründe waren vielfach: Unterbrechung von Lieferketten, die steigende Inflation, Krieg in der Ukraine und damit verbundene hohe Energiekosten, Nachfrageflaute. Überkapazitäten im weltweiten Marktgeschehen sind die neuen Schreckgespenster. Die angehenden Magdeburger Hobby-Hightech-Analysten lernen schnell, was unter einer „hohen Volatilität des Chip-Marktes“ zu verstehen ist. Der Zeitplan schwimmt. „Kein Projekt wird wie ursprünglich geplant umgesetzt“, heißt es von Lokalpolitikern beruhigend. „In Dresden und im Saarland werden auch neue Riesen-Chipfabriken gebaut!“, meldet die große Politik fast trotzig. Sind das die weiteren Überkapazitäten, die den Fortschritt in Magdeburg bremsen könnten? Die Landespolitik schiebt wieder an: „Eine schnelle ICE-Anbindung muss her und ein landeseigener Windpark, exklusiv für Intel“, verspricht Rückenwind in der Börde.


In das alles platzt die Nachricht: „Konzern braucht für Magdeburg weiteren Milliardenzuschuss“. Statt der in Aussicht gestellten knapp sieben nunmehr zehn Milliarden Euro.

Pause. Und siehe da… am Folgetag, dem 10. Februar, kein „Volksstimme“ Artikel, in dem, auch nicht e ansatzweise, in irgendeiner Form der Name „Intel“ eine Rolle spielt. Der von mir genutzte Suchalgorithmus schlägt nur bei „KI - künstliche Intelligenz“ an.

Müssen sich alle schütteln, das erstmal verdauen? Am nächsten Tag die Schlagzeile: „Lindner sieht Intel kritisch“. Der Finanzminister stellt grundsätzlich die Förderung der Chip-Industrie infrage.

Wieder zwei Tage Intel-Stille in der „Volksstimme“. Muss da jemand noch einmal schlucken, überlegen, wie man das Thema jetzt anpackt?

Die Intel-Stimmen setzen wieder ein, Turbulenzen: Leserbriefe mit Durchhalteparolen, in etwa pari mit: „Ich hab’s ja schon immer gewusst!“ Wieder zwei Intel-Ruhetage in der „Volksstimme“.

Am nächsten Tag zitiert die „Volksstimme“ aus der „Süddeutschen Zeitung“: Der Präsident des landeseigenen Leibniz-Instituts in Halle ist generell gegen Subventionierungen, wenn nur Chip-Produktionsstätten gebaut werden, weil dort keine Entscheidungen fallen.

Der sachsen-anhaltische Ministerpräsident kontert. „Haseloff liest IWH-Chef die Leviten“, heißt es in der „Volksstimme“ und er stellt die Finanzierung des IWH-Institutes infrage. Leser- und Leserinnenbriefe rücken das dringende Thema Wasser in den Mittelpunkt.

Dann noch ein Tritt vors Schienbein: „Haseloff watscht Wirtschaftsinstitut aus Halle ab“. Ein Leserbrief aus Gommern besänftigt mit der Überschrift: „Intel eine gute Investition“.

 

Mut zur Lücke

In den darauffolgenden 6 Erscheinungstagen, bis in den März hinein, ist die „Volksstimme“ zum Thema Intel stumm. Funkstille. Der anfangs monatelang wacker schnurrende Nachrichten-Motor stottert und stockt.

Solche Lücken füllen sich mit Zweifeln und führen zu einem Selbstgespräch:

Wenn plötzlich gar nichts mehr ist, fällst du durch bis auf den Boden, ohne dich an Schlagzeilen festhalten zu können. Als wenn in einem Ausstellungsraum plötzlich keine Bilder mehr hängen, du allein im Innern eines weißen großen hellen Raumes stehst. Du suchst Haltepunkte für deinen Blick, entdeckst Kratzer an der Wand, eine lädierte Sockelleiste, fühlst dich in der harten Akustik unsicher, kriegst kalte Füße, stellst Fragen. Du siehst nur die Lücke, nicht ihren Sinn, erkennst nicht ihre Logik. Was hat sich verändert? Brauchst du neue Bilder?


Die Nachrichtenmaschine läuft wieder an: Der Intel-Aktien Kurs büßte seit der offiziellen Ankündigung der Magdeburger Ansiedlung 42% ein. Das liegt aber nicht an Magdeburg.

Im letzten Quartal 2022 ging der Intel-Umsatz gegenüber dem Vorjahresquartal um 28% zurück, verbunden mit einem Verlust. 2022 wurde trotzdem insgesamt mit Gewinn abgeschlossen. Infineon erhöht trotz schwächelnder Weltwirtschaft seine Gewinnprognose und investiert in Dresden 5 Milliarden in neue Chipfabrik. Die erwartete 1 Milliarde Förderung ist noch nicht sicher. Infineon fängt trotzdem schon mutig mit dem Bau an.

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