Für mich ein Pflichttermin. Ich
konnte meine Teilnahme an diesem heißen Sommertag kurzfristig einrichten.
Es war eine gelungene und sehr
gut besuchte Veranstaltung im angenehm kühlen Kaiser-Otto-Saal des Magdeburger
Kulturhistorischen Museums.
Ein Vertreter des städtischen
Wirtschaftsdezernats eröffnete kurz und bündig, danach folgte ein lockerer und
erfrischender Vortrag von einer Stunde Dauer, gehalten von der zuständigen
Abteilungsleiterin vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt.
Sie verstand es, ihre Begeisterung über die Grabungsergebnisse auf dem
Eulenberg, dem zukünftigen Ansiedlungsgebiet von Intel, zu vermitteln und mich und
andere Besucher und Besucherinnen damit „anzustecken“.
Ich war einer der mehr als hundert,
meist älteren Zuhörer und Zuhörerinnen im Publikum, die den spannenden Ausführungen,
ergänzt durch Bilder von den Fundstücken im „Intel-Acker“, folgten.
Worum geht es mir nicht? Selbstvergewisserung I
Nicht um die Wiedergabe der
erstaunlichen Ergebnisse und die wertvollen Funde. Immerhin kam hier ein in
Europa sehr seltenes Ensemble von mehreren Gräbern, einem Prozessionsweg und zwei
künstlichen Hügeln (der letzten 5000 Jahre!) wieder ans Tageslicht. Spuren aus
verschiedenen Epochen der frühen Besiedlung unseres Landes.
Über die Funde wird es noch
ausführliche Darlegungen und auch Ausstellungen geben. In der „Volksstimme“
wurde schon am Tag nach dem Vortrag im überregionalen Mantelteil „Kultur und
Leben“ unter der Schlagzeile „Die Rinder vom Intel-Acker“ von der Toten-
und Grabkultur unserer Vorfahren aus dem Vorderorient berichtet.
Ich habe mich im Blog-Beitrag schon
Anfang 2023 in gewiss laienhaften archäologischen Betrachtungen versucht. (Aufwärtskompatibel? Neue Industriekultur in Magdeburg durch Intel?: # 001
Archäologie vom Ende zum Anfang – Januar 2023
(herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com) Alles
andere sei nun den Fachleuten überlassen.
Worum geht es mir? Selbstvergewisserung II
Warum ist die Museumsveranstaltung
zu den „Intel-Funden“ auf wesentlich größeres Interesse bei den Magdeburgern
und Magdeburgerinnen gestoßen, im Vergleich zu zwei anderen Veranstaltungsformaten
zum Thema Intel, obwohl dafür viel mehr Werbung gemacht wurde?
Der Kaiser-Otto-Saal füllt sich |
Werbung für andere Formate |
Das zweite Beispiel: Ende Mai
2024 gab es in der Magdeburger Johanniskirche die öffentliche Anhörung zu den
Einwendungen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens der ersten Teilgenehmigung
zur Errichtung der Intel-Chipfabrik. Selbst dort waren im Vergleich zur
Museumsveranstaltung weniger „Normalbürger“ im Publikum, wenn man die dienstlichen
Vertreter der Verwaltungen und der Politik im Publikum nicht berücksichtigt. (Aufwärtskompatibel? Neue Industriekultur in Magdeburg durch Intel?: # 055
Ja und Amen? Die Anhörung. (herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com)
Erklärungsversuche
Das Thema „Intel“ rückte im
Museum in den Hintergrund. Das Interesse des Publikums lag überwiegend im
Bereich der Archäologie. Und ich habe mich auch dabei erwischt: Die heutigen
Fragen zum Intel-Areal wurden vergessen, und ich verlor mich in Fantasien, was
da vor 5000 Jahren wohl stattgefunden haben könnte.
Die Thesen der Steinzeitexpertin
könnten dazu verleiten, sich von gegenwärtigen Unsicherheiten, Problemen und
möglichen Überforderungen ablenken zu lassen. Erkenntnisse und Spekulationen, was
sich dort in grauer Vorzeit abgespielt haben könnte, bringen einen nicht in die
Gefahr, sein Selbst- und Weltbild korrigieren zu müssen.
Zukünftige Folgen von KI-Anwendungen,
Klimawandel, Energie-, Wirtschafts- und Sozialpolitik haben auch mit der Magdeburger
Intel-Ansiedlung zu tun. Es ist aber anstrengend, sich mit den Themen auseinandersetzen,
zu recherchieren, Veranstaltungen zu besuchen und zu diskutieren. Trotzdem sind
viele Magdeburger skeptisch, weil aus ihrer Sicht die Folgen der
Intel-Ansiedlung nicht nur positiv sein können. Ein Widerspruch!
Vielleicht deshalb lieber sechstausend
Jahre zurück, anstatt 50 Jahre vorausschauen? Aber was sind schon 50 Jahre, wenn
man zum Beispiel an die Ewigkeits-Chemikalien oder andere Altlasten denkt?
Hätten die Steinzeitmenschen diese damals auf dem Eulenberg schon hinterlassen,
könnten die Archäologen sie auch heute noch finden.
Interessiert die Transformation zu
Zeiten des Neolithikums, also der Wandel des Menschen vom Jäger und Sammler zum
sesshaften Bauern, mehr als die Veränderung im Hier und Jetzt? Müsste es nicht
viel reizvoller sein, sich mit den Umständen der Gegenwart zu beschäftigen,
dabei zu sein und die Möglichkeiten zu nutzen, sie mitzugestalten?
Im Moment läuft gerade die Fußball-Europameisterschaft
in Deutschland. Da schaut man sich doch auch lieber das gerade laufende Spiel
live an und flüchtet nicht aus der Realwelt, indem man sich stattdessen eine
Aufzeichnung eines alten Spiels ansieht. Obwohl: Regionalfernsehkanäle wärmen
ständig Fußballereignisse von vor 50 Jahren auf. Publikum gibt es auch dafür.
Eskapismus
Lässt
sich die ausführliche Beschäftigung mit der Archäologie auch mit Eskapismus erklären?
Heraus aus der komplizierten und ambivalenten Jetztwelt, rein in die
aufbereitete museale Vergangenheit. Bot die Teilnahme an der Veranstaltung im
Kaiser-Otto-Saal nicht nur die Chance, vor der Hitze des Tages zu flüchten?
Ich
wünschte mir größeres Interesse und die Beschäftigung der Magdeburger mit der Intel-Ansiedlung.
Warum ist es noch nicht zu spüren? Drei Thesen:
- Man verlässt sich auf die Heilsversprechungen der Politik und Technologie-Protagonisten, die verheißen, dass mit der sich immer weiterentwickelnden Technik alle Probleme gelöst werden, die Welt dadurch besser und gerechter wird.
- Es könnte Resignation im Spiel sein: „Andere“ kümmern sich schon, man hat ja wie auf anderen Feldern der Politik letztlich keinen Einfluss, scheinbar sind schon alle Weichen gestellt. Der Eindruck wird vielleicht verstärkt durch mehr als 700 „Volksstimme“-Artikel mit Intel-Bezug, die zwischen vom Januar 2023 bis zum Juni 2024 erschienen sind. Ein Teil der Schlagzeilen suggeriert, dass eigentlich alles „in trockenen Tüchern“ sei. Und wer nicht aufmerksam weiterliest, bei dem müsste sich ein Gefühl entwickeln, dass alles schon „gelaufen“ ist.
- Transformation „zu machen“ – das ist das Berufsfeld von führenden Frauen und Männern aus der Magdeburger Wirtschaft und Wissenschaft. Technische und gesellschaftliche Transformation „passiert einfach“. Das ist nachzulesen in der aktuellen 30-teiligen, täglich erscheinenden Artikelserie „Otto ist Transformation“ in der „Volksstimme“, initiiert von „Pro M Stadtmarketing“. In der Regel wird dort von den „Transformationsprofis“ durchweg die „Intel-Ansiedlung“ positiv im Kontext mit den zu erwartenden Veränderungen betrachtet.
Lebt das Transformations-Pferd im Museum? |
Die
nächste Transformation ist immer die schwierigste. Ich gestehe: Beim
Public-Viewing neulich, nach dem 2:0 Sieg im Achtelfinale, umschlungen vom
schwarz-rot-goldenen Meer, hat es mich auch erwischt. Ich war weit weg von
meinem Thema Transformation: Ein temporärer Eskapist bin ich auch.
Transformation
und Eskapismus – Ein Paar mit Zukunft?
Ich
habe, ähnlich wie die Archäologin bei ihrem Vortag im Museum, in meinem o. g.
Blogbeitrag vom Januar 2023 auch darüber spekuliert, was die Archäologen in
tausend oder zweitausend Jahren auf dem heutigen Intel-Acker am Eulenberg noch
finden könnten. Man tappt dann vielleicht im Dunkeln, weil durch die Verluste
der elektronischen Dokumentationen – das Schicksal droht auch diesem Blog –
nicht auf physische Dokumente für Erklärungen zurückgegriffen werden kann. Man
wird sich womöglich fragen. Was bedeutet der seltsame, komplizierte
Kult-Gegenstand? Was diese langen Säulenreihen? Heute wissen wir (noch), dass
es die komplexe Lithographie-Maschine ist und die Säulen die Stützpfeiler im
Reinraum der Chip-Fab.
Südlich
von hier, in Halle an der Saale soll in den nächsten Jahren das
„Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“
entstehen. Vielleicht sollte dort eine Abteilung über die Spielarten des „Transformations-Eskapismus“
eingerichtet werden.
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