Montag, 22. Juli 2024

# 058 Intel in Magdeburg - Chance oder Challenge? Eine Podiumsdiskussion

Wollen wir oder wollen wir nicht? - Eine Podiumsdiskussion

Am Dienstag, dem 9. Juli 2024, wurde diese Frage von einer Studentin und einem Studenten der Hochschule Magdeburg-Stendal in der gleichnamigen Veranstaltung an die Podiumsgäste gestellt. Die beiden Studierenden des Master-Studiengangs Journalismus versuchten, die vier Antwortgeber auf der Bühne in die Zange zu nehmen, von links und rechts.

Dort saßen, wie auf den Bildern zu sehen,

  • Jan Schumann, Korrespondent der Mitteldeutschen Zeitung,
  • Susanne Wiedemeyer, DGB-Landesleiterin Sachsen-Anhalt,
  • Mathias Grabow, Sozialkombinat Ost,
  • Dr. Jürgen Ude, Staatssekretär für Strukturwandel und Großansiedlungen in der Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt.

Der Saal war mit etwa 80 - 90 Personen bis auf den letzten Platz besetzt. Etwa die Hälfte des Publikums bestand aus jungen Menschen, wahrscheinlich Studierenden der Hochschule. Ich entdeckte auch ältere Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die ich schon bei ähnlichen Veranstaltungen gesehen hatte. Neben Privatleuten auch Vertreter der (Wohnungs-)Wirtschaft, der Politik und der Hochschulen. Ich konnte noch in der letzten Reihe neben einem jungen Mann einen Sitzplatz ergattern.

Ein „Kreuzverhör“ wurde es auf der Bühne nicht. Eine Gruppe von Studierenden um die beiden Moderatoren hatte die Veranstaltung im Rahmen eines Seminars vorbereitet und die naheliegenden Fragen zusammengestellt. Anfangs etwas holprig, aber dann lockerer und spontaner werdend, nahm die Veranstaltung ihren Lauf. Viel sachlich Neues zur Intel-Ansiedlung war für mich nicht zu erfahren. Für den einen oder die andere mag aber auch Neues dabei gewesen sein.

Falsch war die Aussage der Moderatorin, dass die Chips zwei Nanometer groß wären. Dieses Maß betrifft die kleinsten Strukturen in den zukünftig in Magdeburg zu produzierenden Chips. Die Chips selbst sind „nackt“ und unverpackt einige Hundert Quadratmillimeter „groß“. Mehrere Quadratzentimeter groß in einem Chip-Gehäuse mit Anschlüssen, nachdem sie anschließend in Polen „verpackt“ worden sind.

Als richtig empfand ich die Besetzung des Podiums – nicht als so typisch wie bei vielen anderen Intel-Veranstaltungen. So wurden verschiedene Perspektiven auf das Projekt möglich. Intensiv wurden die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt diskutiert– speziell auch die Lage auf „Nebenschauplätzen“ des Fachkräftemangels, etwa in Schulen und Kitas. Dazu passte auch die Forderung nach „ordentlichen“ Tarifabschlüssen und angemessener Bezahlung, nicht nur für die Intel-Beschäftigten.

Auf dem Podium: Visionen, Befürchtungen, Fragen, Trost, Hoffnungen, Zweifel, Antworten und Widersprüche - in Stichworten

  • Schon wahrzunehmende Preissteigerungen im Wohnungs- und Immobilienmarkt.
  • Zu langsamer Ausbau der Nahverkehrs-Infrastruktur und überregionalen Verkehrsanbindungen, inklusive einer witzig gemeinten ICE-Anspielung.
  • Das Problem Arbeitsplätze kontra Fachkräftemangel kann man lösen. Aber wie?
  • Kommen die kleinen und mittelständischen Unternehmen „unter die Räder“?
  • Kann die Stadtplanung das Tempo mithalten?
  • Die neue Mobilitätsstudie mit Blick in die Zukunft soll am 19. September von der zuständigen Ministerin vorgestellt werden.
  • Die Frage nach den tatsächlichen Inhalten der bislang geheim gehaltenen Verträge mit Intel wurde nicht beantwortet.
  • Zieht Intel das in der jetzigen, unsicheren Marktsituation durch?
  • Könnten durch höhere Steuereinnahmen auch mehr Sozialleistungen ermöglicht werden? 
  • Das Gehaltsniveau steigt, Ostdeutschland ist nicht mehr abgehängt.
  • Willkommenskultur hat noch Luft nach oben.
  • Durch mehr Englischkenntnisse in der Bevölkerung ist auch mehr Öffnung möglich.
  • Intel soll bei Wasserverbrauch und Kommunikation kein Tesla 2.0 werden.
  • Blick nach Leipzig zeigt, was dort mit den Ansiedlungen von DHL, BMW und Porsche gelungen ist.
  • Bevölkerungszuwachs und Ausbau der Hochschul- und Institutslandschaft.
  • Das sind Probleme, die nicht an der Intel-Ansiedlung festgemacht werden dürfen, denn die gelten für ganz Deutschland.
  • Gefahr einer Zweiklassen-Ausländer-Gesellschaft.

Verständnisschwierigkeiten: Im Gespräch mit dem jungen Mann neben mir erfahre ich, dass er Ausländer ist und Maschinenbau an der Hochschule Magdeburg-Stendal studiert. In der Hochschule wurde viel Reklame für die Veranstaltung gemacht. Er findet das Thema sehr interessant. Aber die Tonqualität der Lautsprecheranlage ist schlecht, auf der Bühne wird obendrein oft undeutlich und sowieso zu schnell gesprochen. Obwohl mein Nachbar gut Deutsch spricht, kann er kaum folgen und ist etwas verärgert. Ich selbst kann auch nur mit Mühe folgen.   

Was sagt das Publikum?

Zum Ende der Veranstaltung wurde auch dem Publikum die Gelegenheit gegeben, Fragen an das Podium zu stellen. Dabei stand, wie zu erwarten, das Thema Wasser, Boden und Energie im Mittelpunkt. Der Staatssekretär verwies auf das Konzept – als wäre das alles schon endgültig – wie über die Elbe, den Mittellandkanal und die Ohre der nötige Nachschub für das zusätzlich beanspruchte Grundwasser in der Colbitz-Letzlinger Heide und somit für das Magdeburger Wasserwerk gewährleistet werden kann.

Ich erinnere mich an die Verhandlung der Einwände zur Teilgenehmigung der Intel-Ansiedlung vom 29. Mai 2024 in der Johanniskirche. Da wurde das vom Staatssekretär vorgestellte Wasserkonzept als noch nicht ausgereift diskutiert und bedurfte noch weiterer Untersuchungen und Genehmigungen. Eine der offenen Fragen war auch die noch nicht einschätzbare Beeinflussung des Feuchtgebietes und Biosphärenreservates Drömling. Siehe dazu auch- Aufwärtskompatibel? Neue Industriekultur in Magdeburg durch Intel?: # 055 Ja und Amen? Die Anhörung. (herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com)

Als die kritischen Stimmen sich mehrten und mit Applaus bedacht wurden, stellte der Staatssekretär die ultimative Frage, die etwa so klang: Wollen wir Intel oder wollen wir Intel nicht? Er versuchte, so einen Konsens im und mit dem Publikum herbeizuführen.

Konsens oder Konsent?

Dass man mit einem „Brechstangen-Konsens“ nicht immer gut fährt, war bereits Andrew Grove, einem der Intel-Gründer, bewusst. Er propagierte, als einer der ersten in der Wirtschaft, das Prinzip des Konsents. Es bedeutet, dass zwar eine Konsensentscheidung angestrebt werden soll, wenn es aber schwerwiegende Einwände gibt, darf man sich nicht einfach darüber hinwegsetzen. Wie man einen „Konsent“ in der Wirtschaft managt, hat Andrew Grove schon in den 70er-Jahren mit dem Prinzip „Disagree and commit”, also: „Nicht einverstanden sein und sich trotzdem verpflichten“ beschrieben. Das wurde und wird gewiss bei Intel gelebt, es gehört also gewissermaßen zur DNA von Intel. (Infos zum „Konsent“ findet man auch unter: https://digitaleneuordnung.de/blog/konsent/ )

Mit dem Konsent hat man in der Wirtschaft gute Erfahrungen gemacht, man findet ihn auch in der „Agilen Methode“ in der Software-Branche. Warum sollte das Prinzip nicht auch für die Politik bei der Durchsetzung der Intel-Ansiedlung gelten? Bei einem „erzwungenen“ Konsens – also entweder oder! Vogel, friss oder stirb! – besteht die Gefahr, dass die Politik früher oder später doch von den schwerwiegenden Einwänden eingeholt wird, obwohl man offiziell alle Genehmigungen durchgepaukt hat.

Andrew Grove hat noch andere verblüffende Überlegungen angestellt. Dazu ein Gastbeitrag hier im Blog: https://herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com/2023/12/25-ein-gastbeitrag-von-dr-franz-will.html

Am Ende

Der Student neben mir verabschiedete sich Mein Nachbar verabschiedete sich kurz vor Ende der Veranstaltung plötzlich mit einem bedauernden Kopfschütteln und deutete an, dass er wohl nicht viel verstanden habe. Schade, ich wollte ihn nach der Veranstaltung noch fragen, ob er sich vorstellen könnte, nach seinem Studium in Magdeburg eine Arbeit bei Intel oder den Zulieferern aufzunehmen. Diese Chance war dahin.

Die finale Frage: Chance oder Challenge? Die wurde abwechselnd  von der Moderatorin und dem Moderator an die vier auf der Bühne gestellt. Sie sollten sich für das eine oder andere entscheiden. Das Ergebnis: 3:1 für die Chance!

Mein Vorschlag: Die zukünftige Chance für Magdeburg durch die Intel-Ansiedlung ist auch zugleich eine große Challenge, also eine riesige Herausforderung. Das „oder“ sollte durch ein „und“ ersetzt werden: „Chance UND Herausforderung?“ So hätte die Antwort auf der Bühne 4:4 heißen können.

Weitere Herausforderungen:

Beim Verlassen des Forums Gestaltung fotografierte ich noch die Kleinbusse der gerade abrückenden Polizei auf der Brandenburger Straße. Wir hatten wohl Polizeischutz. Da sind meine Gedanken schon weiter bei der regionalen, deutschen und weltweiten Politik. Es ist derzeit vieles in Bewegung, was auch das Intel-Projekt betreffen kann. So wurde ich in den letzten Tagen von einem ausländischen Journalisten gefragt, ob ich nach den Europawahlen ein zunehmendes Zittern in Intel-Kreisen spüre, und zwar wegen der Möglichkeit einer AfD-Regierung in Sachsen-Anhalt. Um kompetent antworten zu können, bin ich zu weit von den „Intel-Kreisen“ entfernt, war meine Antwort. Ich glaube auch, dass man ein mögliches „Zittern“ unter der Decke halten würde.

Fakt ist, dass das endgültige „Go“ noch an viele Voraussetzungen gebunden ist. Nicht nur an die Freigabe der deutschen Subventionen in Brüssel, sondern auch von weiteren Genehmigungen zu den Themen Wasser, Boden sowie für den eigentlichen Betrieb der Intel-Gesamtanlage.

Als Unsicherheitsfaktor kommt ein weiterer Aspekt dazu: Die Pläne des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump zu neuen Einfuhrzöllen, Steuererleichterungen für Unternehmen, zur Taiwan-Politik sowie seine extreme „America first“-Ideologie. So kann ich mir vorstellen, dass Intel die Landtagswahlen im Herbst abwartet sowie die Präsidentschaftswahlen im November, dann möglicherweise die Ansiedlung in Magdeburg noch einmal durchrechnet, um dann mit der Methode „Disagree and commit” zu entscheiden.

Dazu titelt das „Handelsblatt“ in Newsletter vom 18.7.24: „Down dank Donald: Trump-Äußerung lässt Chip-Kurse einbrechen.“ Siehe auch den Artikel: ASML, Nvidia, TSMC, AMD: Aktienkurse der Chiphersteller brechen ein (handelsblatt.com). Allerdings kommt die Intel-Aktie dabei gegen den Trend gut weg, weil Intel eigene Chipfabriken auch in den USA hat. Zu positive Intel-Einschätzungen verhindern dagegen Probleme im Alltagsgeschäft mit Intel-Prozessoren https://www.ntg24.de/Intel-Totalausfall-18072024-AGD-Aktien

Wie wird wohl die Kritik und die Auswertung der Seminargruppe aussehen, die die Veranstaltung vorbereitet und durchgeführt hat? Ob sie meiner Einschätzung folgen?

Noch zwei interessante Podcast-Links:

Wasser und Intel: https://www.deutschlandfunk.de/130-liter-4-6-wie-intel-mit-wasser-versorgt-werden-soll-dlf-7340224b-100.html

PFAS (auch bei der Halbleiterproduktion verwendet) PFAS im Rhein - Wie Chemikalien Wasser für immer verschmutzen (deutschlandfunk.de)

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