Ich konnte leider nicht selbst die Vorstellung besuchen, deswegen hier der Bericht der Volksstimme.de – abgerufen 2.3.2025
(Von Konstantin Kraft Aktualisiert: 11.02.2025, 07:24)
Der Bürgermeister (vorne) sieht sich nicht nur gegenüber dem Stadtrat (hinten) in Erklärungsnot. Die Fabrik braucht immer mehr Wasser, daür leiden die Menschen unter Durst. Foto: Gia Huy Dinh |
Die neue
Stückentwicklung „Und sie träumten von der Sonne“ der Gruppe „bühnenfrei“ aus
Magdeburg beleuchtet die Schattenseiten großer Industrieansiedlungen. Intel
wird zwar nicht direkt genannt, aber zwischen den Zeilen scheint vieles durch –
bis zum bitteren Abgesang.
Magdeburg -
Neu-Olvenstedt. Am Anfang ist die Euphorie. „Ey, sie kommen“, schallt es in
Freudenschreien von der Bühne herab. Dazu erklingt das Lied „Love is in the
air“ (Liebe ist in der Luft).
Statt „Ey, sie
kommen“ könnte es auch „Chip, Chip, hurra“ heißen. Aber in der neuen Produktion
„Und sie träumten von der Sonne“ der freien Theatergruppe „bühnenfrei“, die am Wochenende
ihre Premiere im Familien- und Jugendzentrum (FaJu) in Neu-Olvenstedt gefeiert
hat, bleibt dieser Bezug abstrakt.
Es ist nie
direkt von Intel oder Tesla die Rede, die sich ansiedeln
wollen, sondern von der „Fabrik“.
Allerdings
kann vieles, was von dem mitreißend spielenden Laienensemble dargestellt wird,
als eine Allusion auf Ansiedlungsprozesse großer Industrieunternehmen im ostdeutschen
Raum gesehen werden.
Und – so viel
sei schon vorweggenommen – von der Ekstase der ersten Szene wird am Ende nichts
mehr übrig sein. Aus dem Traum von der Sonne wird ein Albtraum vom fehlenden
Wasser.
Symbol für Strukturwandel
Schauplatz der
fiktiven Handlung, die von der Theatergruppe komplett selbst entwickelt wurde,
ist die Kleinstadt Bad-Neustadt. Wo genau diese liegt, bleibt offen.
Man erfährt
jedoch, dass Potsdam und Berlin nicht allzu weit entfernt sind, weil die
jüngste Tochter des Bürgermeisters mehrfach vergeblich versucht, dorthin zu
flüchten. Das Bühnenbild – eine Bushaltestelle – wirkt da symbolhaft. Hier sind
alle abfahrbereit, aber keiner kommt wirklich weg.
Der besagte
Bürgermeister – „Demokrat und Familienvater“ – heißt Bernd Schlother und wird
von Stefan Kolata verkörpert. „Hinter uns liegen Jahre der Stagnation“, sagt er
in seinem Einstiegsmonolog.
Die Fabrik,
die nun kommen soll, verspricht Wohlstand und Tausende Arbeitsplätze.
Strukturwandel für die Stadt. „Das ganze Land spricht über uns.“ Und auch die
Bürger sind in Jubelstimmung. Die Bäckerin, vorher fast pleite, verkauft jetzt
„süße Törtchen in Laptop-Form“.
Doch die
Fabrik ist nicht einfach da und betriebsbereit. Sie braucht eine Baugenehmigung
– das geht dank der kooperativen Behörden im Schnellverfahren – und sie braucht
finanzielle Unterstützung. Konkret braucht sie Subventionen, die wiederum aus
Steuergeldern stammen.
Hier ist dann
auch Bad-Neustadt gefragt. Bei einer Sitzung des Stadtrats wird unter anderem
eine Erhöhung der Hundesteuer sowie der Parkgebühren – außer vor dem Rathaus –
beschlossen. Die Mehreinnahmen aus dem Geldbeutel der Bürger sollen die Fabrik
bei ihrem Aufbau unterstützen.
Erste Zweifel
werden laut. Frank Wilke (gespielt von Yona Dehoop) – parteiloser Stadtrat und
langjähriger Freund des Bürgermeisters – meldet sich zu Wort und mahnt vor den
wahren Kosten, die mit der Ansiedlung einhergehen. Er bleibt dabei noch im
Ungefähren und wird vom Bürgermeister mit „Wir schaffen das“ zurechtgewiesen.
Es wird heiß in der Stadt
Wenig später
erfährt das Publikum, was es mit den Andeutungen von Wilke auf sich hat. „Es
geht um unser Wasser“, sagt der promovierte Biologe. Er hat gerade ein Buch
über eine Flussmuschel im heimischen Gewässer veröffentlicht. Nun soll ein
Gutachten über die „Fabrik und ihre Folgen“ erscheinen.
Was genau
dieses zum Inhalt haben könnte, wird nicht gleich gesagt. Aber es wird gezeigt.
Nach der Pause ist es heiß in Bad-Neustadt. 38 Grad. Die Einwohner ächzen unter
den Temperaturen und unter dem Wassermangel.
Die private
Entnahme musste gedrosselt werden, um die Abläufe in der Fabrik nicht zu
gefährden. Maria Schlother (gespielt von Martha König), die Frau des
Bürgermeisters, versucht, ihre geliebten Rosen zu retten. „Alles verdorrt,
jeden Tag ein bisschen mehr.“ Schließlich muss sie resignieren. „Alles
verendet, alles tot, tot.“
Für die
Schüler fällt der Unterricht aus. Hitzefrei. Ein allgemeiner Durst breitet sich
in der Bevölkerung aus. Es fühlt sich an, als hätte man Sand geschluckt. Eine
Flasche Trinkwasser wird für 7 Euro verkauft.
Auftritt des
Transparenzbeauftragten Smith der Fabrik, gespielt von Leon Junghans. Er
fordert noch mehr Wasser, um die Produktion aufrecht zu halten. Der
Bürgermeister stimmt zu. Es dürfe jetzt – so kurz vor dem Start – nicht alles
den Bach runter gehen. Die Ansiedlung der Fabrik ist sein politisches
Lebensprojekt. „Schlimmer ist, wenn es gar keinen Bach mehr gibt“, kontert
Wilke.
Bei der
Eröffnungsfeier kommt es zur Konfrontation – statt auf der Bühne geschieht dies
mitten im Publikum. Das Gutachten zur Fabrik und ihren Folgen liegt inzwischen
vor.
„Bad-Neustadt
wird austrocknen“, klagt der Wissenschaftler. Doch das will keiner hören. Die
Bürger schimpfen Wilke als „Verräter“ und treiben ihn fort. Die Fabrik hat
Priorität. „Wir brauchen jetzt Kundschaft, jetzt Arbeit, jetzt Hoffnung“, heißt
es.
Abend bleibt in Erinnerung
Also bleibt
die Fabrik, doch der Durst der Bevölkerung wird immer schlimmer. Eine neue
Filteranlage soll helfen, die das Wasser aus der Produktion neu aufbereitet.
Der Bürgermeister trinkt davon und übergibt sich.
Dazu stimmt er
einen bitterbösen Abgesang an, der nachhallt. Es ist eine Abwandlung vom „Lied
der Partei“ aus DDR-Zeiten. Er singt: „Die Fabrik, die Fabrik, die hat immer
recht.“ Was nutzen Tausende Arbeitsplätze, wenn die Bevölkerung dafür Durst
leiden muss?
Das neue Stück
„Und sie träumten von der Sonne“ von der Theatergruppe „bühnenfrei“ (Regie hat
die Leiterin Angela Mund geführt) zeigt die Schattenseite von technologischen
Großansiedlungen.
Das Thema
könnte kaum aktueller sein, gerade für Magdeburg. Bei aller politischen Brisanz
wartet der Abend aber zugleich mit grotesk-komischen Szenen auf.
Für
Zwischenapplaus sorgte etwa die Pantomime einer „Brandmauer“ oder der Tanz der
Wirtschaftsbeigeordneten Liebeknecht (gespielt von Anja Kreft) mit dem
Transparenzbeauftragten der Fabrik.
Auch dank der
immensen Spiellaune des ehrenamtlichen Ensembles bleibt dieser Theaterabend
lange in Erinnerung.
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