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Samstag, 29. Juli 2023

# 019 Im Juli 2023 nachgeschaut, gezeigt und erwischt … aber „inteln“ wir nicht alle?

 

19 Im Juli 2023 nachgeschaut, gezeigt und erwischt … aber „inteln“ wir nicht alle?

Beim Start zu einer Bördetour mit einem Freund hatte ich Anfang Juli die Gelegenheit, und zwar von der Wanzleber Chaussee aus, die aktuelle Lage auf dem Intel-Areal zu erkunden. Was mir gleich ins Auge fiel, das war ein neues, großes Verbotsschild: „Betreten der Baustelle verboten! Filmen und Fotografieren verboten! – Ländlicher Verkehr frei! – Landeshauptstadt Magdeburg“. Das alte Flachsilo, gleich rechts hinter der Einfahrt in das Intel-Gelände, wurde von zwei, mit großen Presslufthämmern bestückten Baggern angegangen, in Einzelteile zerlegt und entsorgt.

Ein Teil des Feldes war „schwarzgezogen“ und auf einem anderen Teil gedieh prächtig Zwischenfrucht. Ich hatte aus landwirtschaftlich gut unterrichteten Kreisen gehört, dass man den Acker nicht einfach so liegen lassen könne, weil sich dort sonst unkontrolliert Flora und Fauna entwickelten und sich möglicherweise wieder Feldhamster-Populationen heimisch fühlen könnten. Die hatte man doch mit vieler Mühe vor Kameras und mit Moderation der Magdeburger Wirtschaftsbeigeordneten ausgesiedelt.

Dazu passte auch der Hinweis in der „Volksstimme“ vom 17. Juli 2023 zu Änderungen von bisherigen Fahrradtour-Vorschlägen: 

„Im Süden Magdeburgs baut Intel eine Computer-Chip-Fabrik. (…). Teile der Strecke auf den Feldwegen zwischen der Baumschulensiedlung und Ottersleben sind aber inzwischen gesperrt. Diese Route hat also in Teilen eher historischen Wert.“  So schnell wird auch eine Radtour „Geschichte“.

Show, don‘t tell! Mitte Juli 2023

Sam Gurwitt, amerikanischer Journalist und Schriftsteller, ist über diesen Blog hier „gestolpert“. Er wollte mehr Hintergrundwissen dazu und Magdeburg und Magdeburger kennenlernen. So trafen wir uns an Ort und Stelle.

Was sollte ich ihm erzählen? Ich entschied mich fürs Zeigen. Wir waren auf Bikes unterwegs, da war ein ausführlicher Exkurs über Magdeburg und das Deutsche nicht möglich und auch nicht notwendig, da Sam, so um die 30 Jahre jung, schon seit einiger Zeit in Leipzig seine Fahrradrunden dreht. Ich platzierte gleich meinen autobiografischen Hinweis, dass ich gebürtig aus der Fahrradstadt Münster komme. Unsere Etappen sahen dann so aus:

„Il Capitello Espressobar“: Erstmal Tee und Cappuccino an der Ecke Domplatz/Kreuzgangstraße einnehmen und schauen, wer in Nachbarschaft des Hundertwasser-Hauses und des Landesparlaments aus Politik und Kultur just dort verweilt. Von da hatten wir den Rundumblick auf über tausend Jahre Architekturgeschichte. Dort schmiedeten wir die Agenda des Tages und ich bedachte die ersten Antworten auf Sams Fragen zu meinem Blog, wie zum Beispiel: Wie soll er die monatlich von mir zitierten Schlagzeilen aus der „Volksstimme“ verstehen, die inhaltlich scheinbar nichts mit Intel zu tun haben? Wir kreierten gemeinsam das Verb „inteln“ als Synonym dafür, wenn jemand einen in die Zeit passenden, vermeintlichen Grund vorschiebt – in diesem Fall die „Intel-Ansiedlung“ – um in seinem Sinne für eine Sache zu argumentieren, die eigentlich nichts, oder nur sehr wenig – mit dem vorgeschobenen Grund zu tun hat. So könnte nicht nur in diesem Fall „inteln“ zu einem treffenden Neologismus für solche Vorgänge werden.

Elbtreppe am Domfelsen: Blick auf die Elbe, ein Treffpunkt junger Menschen aus vielen Nationen. Der Niedrigwasserpegel bei ca. 60 Zentimeter, so waren wir gleich bei der Wasserproblematik und meinem Blogbeitrag vom März 2023: „Die zweite Meinung in einem Zuge“, ab Seite 10. Demnach soll – etwas vereinfacht ausgedrückt – selbst bei diesem niedrigen Wasserstand nach Expertenansicht das Wasserabzapfen für Intel aus dem Umfeld der Elbe nicht kritisch sein.

Der jemals gemessene Maximalpegel war im Jahr 2013 bei 753 Zentimetern – und ließ mich damals endgültig Magdeburger werden. Wie sich da der Fluss gefühlt haben muss, zeige ich Sam live mit meiner Performance „Ich, der Fluss“ („… die Ufer brechend, nicht mehr innehalten, nicht mehr aushalten können, die drückende Flut …“), die ich auch schon als „Me, the river“ bei Marc Kelly Smith, dem Godfather of Poetry Slam, in Chicago präsentiert habe.


Am Hassel: Am späten Donnerstagvormittag zeigt der Hasselbachplatz trotz der Ferien- und Urlaubszeit sein betriebsames Tagesgeschäft. Am Knotenpunkt für Busse, Bahnen und Autos –Fahrräder sind hier in der Minderheit – sind die verschiedensten Menschen emsig unterwegs. Zum Abend hin wechselt das Publikum fast komplett, nachts wird der Hassel zur Kneipen-, Restaurant- und Barmeile. Um Sam die Vielfalt zu zeigen, beginne ich, begleitet von Funky-Music aus meiner Bluetooth-Box, meine „Check-den-Hassel“-Performance („… Späti, Shisha, Delikata … Sushi, Tipco und Sitara …“ usw.), breche nach zwei Strophen ab, weil einige auf den Bänken rumhängende Männer und Frauen deutlich ihren Unmut zeigen: Wir sollten nicht abends wieder kommen, da könne man sich nicht mehr hertrauen, weil dann andere gefährliche Gestalten, gemeint sind wohl Menschen mit offensichtlichem Migrationshintergrund, alles unsicher machen würden. Mein Einwand, dass ich selbst sehr oft am Hassel bin und diese Erfahrungen nicht teile, hilft nichts. So zeigt sich live eine wenig schöne Facette der Magdeburger Willkommenskultur. Vielleicht wäre mein Text über die „Nachtschweißer am Hassel“ besser angekommen. Aber dazu fehlte mir dann der Mut, und Sam wird es sich auf YouTube https://youtu.be/VtmHHWjjJCc ansehen müssen.

Erich Weinert in Buckau: Wir radeln am Palais am Fürstenwall vorbei, heute Staatskanzlei und Amtssitz des Ministerpräsidenten. Bis 1989 „Haus der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft“, seit 1953 namentlich auch „Erich-Weinert-Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“. Im ehemaligen Arbeiter- und Industriestadtteil Buckau, im Hinterhof des jetzigen Literaturhauses und Geburtshauses des Schriftstellers und Kommunisten, Lyrikers und Politikers, steht sein Denkmal. Erich Weinert ist ein Symbol für die sozialistische Vergangenheit, für die Arbeiterklasse und zugleich für einen Teil der offiziellen DDR-Kulturpolitik. Das Denkmal stand früher an einem exponierten Ort in der Stadt. Dieses Für und Wider wird auch in Weinerts Gedicht „Vernunft“ deutlich, das ich für Sam im Schatten der Weinert-Statue rezitiere.


„Vernunft“

aus „Rhythmische Gespräche“ von Erich Weinert

aus „DIE KUGEL – ZEITSCHRIFT FÜE NEUE KUNST UND DICHTUNG“ 1920, Seite 10 - Magdeburg

Wohin ich mich auch wende,

immer fühl ich deinen sorglichen Tantenblick,

Begleiterin Vernunft! 

 

Aller Bewegung

schreibst du die Grenzen vor;

unendlichen Flug

biegst du zurück ins Endliche;

dem aufflügelnden Geist

legst du Fangschlingen.

Alles Ewige

zerschneidest du sorglich in Zeit,

alles Unendliche

in Räumlichkeit

Dem freien Gedanken schleuderst du,

wenn er über den Schlünden edel schwebt,

deines Neides sichere Pfeile nach.

 

Die Gottheit hat dich bestellt

zur Ordnerin

Du hast Maß gelegt an alle Dinge.

Du zerstachst der Ewigkeit

die stürmende Ferse

Feindin des Maßlosen!


SKET – Heavy Spurensuche:


Vorbei an ehemaligen Industriegebäuden, nun in schicke Eigentumswohnungen und Lofts transformiert, fahren wir durch ein inoffizielles, rückwärtiges Tor auf das alte SKET-Gelände in Buckau, „Schwermaschinen-Kombinat-Ernst-Thälmann“. Reste von verfallenen Fabrikhallen, Industriebrachen und Schuttberge, hier und da vereinzelte sanierte und genutzte Industriegebäude, weite freigeräumte Flächen als Bauerwartungsland. Wir streifen alleine durchs Gelände und ahnen vielleicht, wie hier 140 Jahre lang bis zur Wiedervereinigung bis zu 30.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf einer Fläche von ca. 100 Hektar ihre meist körperlich schwere Arbeit verrichtet haben. Mit körperlichem Einsatz klaube ich ein großes, zerklüftetes Stück Eisenschlacke vom Boden, das mit viel Fantasie Ähnlichkeit mit einem gondelartigen, surrealen Boot haben könnte. Oder doch eher ein Flugzeugträger? Das Zeugnis der Buckauer Vergangenheit fixiere ich mit Spanngummibändern auf meinem Gepäckträger, und es begleitet uns durch den weiteren Tag.

„Schau mal, da oben“, macht mich Sam aufmerksam darauf, dass wir beobachtet werden. Von einem der alten Gebäude schaut uns böse ein Eisen-Mann an. Will er in Ruhe gelassen werden?

Wir radeln weiter zum Technikmuseum, mit einem kurzen Blick auf die maschinellen Hinterlassenschaften des ehemaligen Magdeburger Schwermaschinenbaus. Bis in den Hinterhof, wo die große Ernst-Thälmann-Statue etwas versteckt steht, gelangen wir nicht, aber zum benachbarten ehemaligen, großen, jetzt sanierten SKET-Verwaltungsgebäude. Dort arbeiteten früher Hunderte Ingenieure in den Konstruktionsabteilungen. In der Eingangshalle können wir auf einem umlaufenden Wandfries lesen, welche großen und kleinen, zivilen und militärischen Produkte von Buckau aus in die Welt gingen. Heute ist hier der Hauptsitz der regiocom SE, eines IT- und Digitalisierungsunternehmens mit 6.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen an 25 europäischen Standorten. Magdeburg „kann“ also Transformation, und große Firmen sind nichts Neues.


Stadtfeld: Bürger und Handwerker-Szene: Kontrastprogramm. Über die „Fahrradautobahn“, also auf den gut ausgebauten Fahrradwegen des Grüngürtels entlang der alten Festungsanlagen, wie dem Glacis, transformieren wir uns in den Stadtteil „Stadtfeld“. Um 1900, zu Kaiser Wilhelms Zeiten erbaut, findet man hier noch viele der nicht im Krieg zerstörten großen Bürgerhäuser. Hier lebt heute der so genannte akademische Mittelstand, junge Familien mit Kindern, auch zum Teil die alternative Szene. Einen kleinen Überblick über diese Klientel erhalten wir am Eingang des großen Bioladens mit angeschlossenem Restaurant. In einer Auslage finden wir Flyer zu Yogakursen, Heilpraktikern und Naturheilkunde, Visitenkarten von Psychologinnen und Spezialtherapeuten, zu Selbsthilfegruppen, über alternative Medizin, vegane Ernährung etc.

Nach unserer Mittagspause will ich Sam im Antik- und Raritätenladen um die Ecke kurz den Temponauten Kalle vorstellen (siehe dazu den Blog-Beitrag vom Januar 2023, ab Seite 9), der aber zu meiner Verwunderung wegen eines Gespräches mit einem Kunden diesmal überhaupt keine Zeit für uns hat.

Anschließend interviewen wir einen bodenständigen Tischlermeister, der im Stadtfeld eine handwerkliche Produktion betreibt (siehe auch „123 Jahre handwerkliche Transformation“, im Juli-2023-Blog, wo auch das Thema Intel kurz aufblitzt). Eine spontane Umfrage unter Stadtfelder Passanten „Was halten Sie von der Intel-Ansiedlung“, schließt sich an, danach verabschiedet sich Sam, der mit dem Fahrrad Richtung Bahnhof muss. Weiterreise für ihn.

Allein gelassen, war mein Drive passé, die Luft raus, und ich fiel in eine melancholische Sommerstimmung (siehe auch „Intel-Umfrage kippt in die Sommerpausenstimmung“ im Juli-2023-Blog). Dabei hätte meine Da-Da-Performance „Das Klagelied einer einsamen Straßenbahnschiene“, die am unscheinbaren Olvenstedter Platz im Stadtfeld spielt, dort so gut gepasst, gerade im Gegensatz zu den Nachtschweißern am prominenten Hasselbachplatz.  

Jetzt habe ich auch mal etwas „geintelt“, um so meine Performances hervorzuheben. Ich lerne, dank Intel, täglich dazu.

 

 

 

 

Donnerstag, 30. März 2023

# 010 Die zweite Meinung in einem Zuge - März 2023

 

Steht man vor einer wichtigen Entscheidung, wie zum Beispiel einer Operation oder anderen medizinischen Maßnahme, soll man eine zweite Meinung, neudeutsch „second opinion“, von kompetenter Seite einholen.

So geht es mir beim Thema „Wasser“, oder, genauer gesagt, mit der „Wasserbilanz“ im Hinblick auf den Klimawandel und im Kontext der Intel-Ansiedlung. Neben dem Gespräch mit Jörg Claus war meine Hauptquelle eine Broschüre aus den Jahre 2021: Klimamodellauswertung Sachsen-Anhalt 1961 – 2100“, herausgegeben vom LAU, dem Landesamt für Umweltschutz des Landes Sachsen-Anhalt in Halle.

Die zweite Meinung hole ich am vorletzten Märztag ein, im letzten Wagen des IC 2446 von Halle nach Magdeburg. Ich sitze darin, von Chemnitz kommend, und warte beim Halt in Halle auf meinen Gesprächspartner: Dr. Karsten Rinke vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung, kurz UFZ genannt. Wir hatten vor einigen Tagen beim Telefonieren festgestellt, dass wir auf dem Rückweg von Veranstaltungen heute zufällig im gleichen Zug sitzen würden. Ja, solche Zufälle gibt es wirklich. Er wird gleich aus dem ICE von Erfurt umsteigen. Da wir uns noch nicht persönlich begegnet sind, haben wir diesen Wagen als Treffpunkt und wie für ein konspiratives Rendezvous Erkennungszeichen vereinbart. Er: leuchtend hellblaue Jacke. Ich: breitkrempiger schwarzer Hut.


Ich komme

aus Chemnitz, von einem von mir initiierten Treffen von Vertretern und Vertreterinnen der freien Kulturszenen der ehemaligen Bewerberstädte für die europäische Kulturhauptstadt 2025.

Ja genau, da war doch etwas, das Magdeburg bis vor zwei Jahren auch sehr stark bewegt, viel Aufwand und Energie gekostet hat. Ein großes Anlaufen im Versuch, als Stadt wieder in europäische Dimensionen vorzudringen und weithin wahrgenommen zu werden. Auch damals gab es Für und Wider, Zweifler, Optimistinnen, Hoffnungsträger und Miesmacherinnen. Damals – es fühlt sich an, als wäre das schon 10 Jahre her – bekamen die Desillusionisten ihre Bestätigung. Wir hätten, trotz Euphorie nach dem Erreichen der Endrunde, nie eine Chance gehabt. Danach erlebten die schnell geschmiedeten „B“-Pläne, die bis 2030 reichten, eine nachhaltige Bruchlandung. 

Alle Pläne? Nein! Da gibt es, versteckt in den noch freien kulturellen Nischen der damaligen Bewerberstädte, den Plan „C“ der unerschrockenen und resilienten Aufrechten, die sich an den Schwur der freien Szenen von 2018 erinnern: Egal, welche Stadt den Zuschlag erhält, die freien Kulturszenen der unterlegenen Städte und Regionen, sollen, unterstützt von der lokalen freie Szene der dann ernannten Kulturhautstadt Europas, die Möglichkeit bekommen, sich gemeinsam, also jetzt, bei „Chemnitz 2025“, einzubringen. Dafür wurde nun am Vortag der Anfang in Chemnitz mit den ersten Projektideen vollzogen.

 

Exkurse

Mein IC wartet immer noch auf den etwas verspäteten ICE aus Erfurt. Im Zugabteil arbeitet sich am benachbarten Viererplatz mit Tisch eine junge Frau in einem exotisch, aber modern wirkenden Hosenanzug, vielleicht eine Studentin, an einem Schriftstück ab. Plötzlich kommt sie zu mir und fragt in gebrochenem Deutsch, ob ich ihr helfen könne. Sie würde gerade einen Deutschkurs, Stufe C2 machen. Sie müsse Textlücken mit den richtigen Pronomen füllen, die sie einer Liste entnehmen soll. Sie weist auf eine Lücke, ich zögere, weil ich erst aus dem Kontext ableiten muss, ob Plural oder Singular gemeint ist, entschuldige mich, dass ich nicht so sicher in der Grammatik bin, obwohl ich Texte schreibe, dafür aber von einem versierten Lektor unterstützt werde. Ich weiß nicht, ob sie das versteht. Sie schaut mich verwundert an, als ich schnell meinen Hut aufsetze, denn der Erfurter ICE ist angekommen. Viele Passagiere queren eilig den Bahnsteig in unseren Zug. Ich halte Ausschau nach einer leuchtend hellblauen Jacke. Karsten Rinke und ich finden und begrüßen uns, während der Zug anrollt und eine längere Lautsprecherdurchsage die Kommunikation erschwert. Gleichzeitig bittet die Studentin, höflich, aber bestimmt, um weitere Hilfe, jetzt von uns beiden. Unser Tipp „ihren“ einzusetzen, funktioniert nicht, weil sie diese Pronomina schon „verbraucht“ hat. Also muss ein Fehler vorliegen. Sie radiert alles aus, um mit uns den ganzen Text durchzugehen.

Karsten Rinke versteht es, mit der Frau ins Gespräch zu kommen. So erfahren wir, dass sie aus Venezuela kommt und in einigen Tagen die Prüfung ansteht. Er macht ihr freundlich klar, dass wir eine Besprechung geplant haben, die wir bis Magdeburg zu Ende bringen müssen und dass wir sie leider nicht weiter unterstützen können.

Karsten Rinke ist ein sportlicher, drahtiger Typ, er wirkt offen und sympathisch, vielleicht um die 50, eher jungenhaft als väterlich. So überzeugt er unsere ratsuchende Mitreisende, die zuerst etwas hilflos lächelt, sich aber dann mit ihrem Heft auf ihren Platz zurückzieht und sich wieder über das Aufgabenheft beugt.

Ich entledige mich meines Hutes und Karsten Rinke seiner Jacke. Er berichtet, dass er von einem Kongress zum Thema „Seen“ kommt. Das wäre sein Spezialgebiet, nicht das Grundwasser, aber er will mir trotzdem gern bei dem Thema helfen. Ich schildere ihm, was ich in Sachen Landwirtschaft und Wasser erfahren und sonst noch recherchiert habe. Er hört sich alles an. Als ich kurz innehalte, fragt er, ob ich fertig sei. Ich bin etwas verdutzt. Er klärt mich freundlich auf, dass ich ruhig weitersprechen, aber mich nicht wundern solle, dass er nur zuhöre und so erfahre, auf welchem Stand ich bin und welche Fragen für ihn daraus folgen.

Fakten, Fakten, Fakten

In der Zugdurchsage wird schon Köthen angekündigt, so beende ich erstmal meinen Vortrag. Was sagt er dazu? Er reiht Vergleichszahlen und zeigt Zusammenhänge in schneller Folge, relativiert die eine oder andere meiner Einschätzung, weiß auf viele meiner Fragen Antworten, bei einigen, die nicht in das Tagesgeschäft seiner Expertise gehören, lässt er Fragezeichen stehen. Ich kann gar nicht so schnell mitschreiben. War das vorhin Liter pro Tag oder pro Kubikmeter je Monat? Waren 500 Millimeter Jahresniederschlag früher oder jetzt?


Ich resümiere: Der genaue Intel-Wasserbedarf ist ihm nicht bekannt, aber ausgehend von der Größe, die für den Wasserverbrauch der wohl vergleichbaren Intel Chip-Fabs in Irland genannt wird, also ca. 600.000 m³ je Monat in der ersten Ausbauphase, wäre das eine
beherrschbare Größenordnung. Das bestätigte schon sein Institutskollege im letzten Sommer gegenüber dem MDR. Die Kapazitäten im Wasserwerk Colbitz wären allerdings dafür nicht ausreichend, so dass man perspektivisch ein Wasserwerk an der Elbe bauen sollte, mit Wasserentnahme aus dem Uferfiltrat. Die Entnahme, selbst bei extremem Niedrigwasser, wäre weniger als ein Prozent vom Elbdurchfluss, also unproblematisch.

Das Problem für der Elbe besteht nicht in der zusätzlichen Wasserentnahme durch Intel in Magdeburg - das Problem ist vielmehr, dass die Elbe von vorn herein einen viel zu geringen Pegel hat, der Menschen-gemacht ist. Dieser Menschen-gemachte Wassermangel verstärkt die Probleme, die der Klimawandel uns bringt und daher müssen wir unser Wassermanagement anpassen. Zu verhindern gilt es, dass Wasser schnell aus der Landschaft abfließt (z.B. durch hohe Flächenversiegelung, Entwässerungssysteme, Drainagen, ... auch auf dem Intel-Gelände), sondern eher in den Grundwasserspeicher der Landschaft infiltriert. Aus diesem Speicher rekrutiert sich ja der Niedrigwasserabfluss der Elbe. Ein weiterer Punkt ist der Flussverbau. Durch die Buhnenfelder und die Aufrechterhaltung der Schiffbarkeit hat sich die Elbe mancherorts über zwei Meter in die Landschaft eingetieft und lässt dadurch die Auen vertrocknen und entzieht der Landschaft noch tiefere Grundwasserschichten.

Grundwasserentnahmen an anderen Stellen in der Region käme nicht in Frage, da seit 2010 der Grundwasserspiegel zusätzlich durch die aufeinander folgenden trockenen Jahre insgesamt um ca. einen Meter abgesunken ist. Dass solche trockenen Jahre so gehäuft und mit diesem Effekt auftreten, hätten er und seine Wissenschaftskollegen und -kolleginnen sich noch vor ein paar Jahren nicht träumen lassen.

Karsten Rinke wird konkret: Durch weitere Maßnahmen, wie geschlossene Wasserkreisläufe mit Reinigung und Wiederverwendung und Gebrauch von Wasser mit unterschiedlichen Qualitäten für verschiedene Nutzungen, könnten die Wasserressourcen insgesamt effektiver genutzt werden. Die Investitionen in Wasser- und Abwasserwerke mit den Leitungen seien natürlich erheblich, aber würden die Wasserkosten trotzdem in wirtschaftlichen Grenzen halten. Die Resilienz der Wasserversorgung für Magdeburg wäre, mit einem zusätzlichen Wasserwerk an der Elbe, in schwierigen Situationen, wenn es z.B. in Colbitz mal knapp werden würde, größer.

Nach diesem stürmischen Wellenritt durch die Wasserwelt der Börde rauschen wir schon durch Schönebeck und haben sogar noch Zeit, uns über unsere Herkunft und Lebensumstände zu unterhalten, auch darüber, und wie wir beide als Magdeburger Neubürger mit der Mentalität der Magdeburger klarkommen.


IC – ICE – ICCE

Eine endliche Fahrzeit für Besprechungen wirkt effektiv. Bis zum Zielbahnhof muss man fertig sein:

Vielleicht könnte man daraus ein Geschäftsmodell machen. Sonderwagen mit unterschiedlich großen Besprechungsabteilen einsetzen, eine KI-Anwendung analysiert durch Data-Mining Gesprächs- und Kontaktbedarfe innerhalb von Konzernen und zwischen Unternehmen, kombiniert diese mit ohnehin anstehenden Dienstreisen und bringt so die Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen auf ICE-Strecken zu Konferenzen zusammen. Ein ICE würde so zum ICCE – einem Intercity Conference Express. Der würde dann auch in Magdeburg halten, weil die Intel-Ansiedlung über Jahre nicht nur konzernintern viele Gesprächsrunden erfordert. Was ist bei Verspätungen? Die geben Raum für gruppendynamische und teambildende Additional-Events. Zeit für Protokolle braucht man nicht. Die Tonaufzeichnungen werden von der KI automatisch transkribiert und schnell in kompakte, schnörkellos formulierte Dokumente verwandelt. Noch bevor die Konferierenden aussteigen, haben sie automatisch das Protokoll im Postfach, die verteilten Aufgaben und Termine in ihren ToDo-Listen und das nächste Treffen in den Terminkalendern.

Karsten Rinke und ich sind beim „Du“ und auf dem Magdeburger Bahnhofsvorplatz angelangt. Wir verabschieden uns. Er fährt mit dem Fahrrad weiter, Richtung Ostelbien, jenseits des Umflut-Kanals.

 Ich absolviere meinen Abendgang nach Hause und tangiere dabei den Hasselkreisel. „Intel sitzt und putzt jetzt am Hassel“, stand gestern groß in der „Volksstimme“, „mit 30 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im spitz zulaufenden ‚Plättbolzen‘ “. Hier wird die Intel-Mitarbeiterin ihren Arbeitsplatz haben, die ich neulich in München vermutet habe. Der „Plättbolzen“ ist so etwas wie der kleine, aber drei Jahre ältere Bruder des ikonografischen Flatiron Building in New York. Ich werde für meine Führung „Check den Hassel“ nun meine Ode an den Hassel ergänzen müssen.

 

Vorbehalte dahingeschmolzen

Intel-Office startet im „Plättbolzen“

Sieht aus wie das Flatiron Building

Little New York mit Hassel-Feeling

 

… oder so ähnlich.