Wollen wir oder wollen wir nicht? - Eine Podiumsdiskussion
Am Dienstag, dem 9. Juli 2024, wurde diese Frage von einer Studentin
und einem Studenten der Hochschule Magdeburg-Stendal in der gleichnamigen
Veranstaltung an die Podiumsgäste gestellt. Die beiden Studierenden des
Master-Studiengangs Journalismus versuchten, die vier Antwortgeber
auf der Bühne in die Zange zu nehmen, von links und rechts.
Dort saßen, wie auf den Bildern zu sehen,
- Jan Schumann, Korrespondent der Mitteldeutschen
Zeitung,
- Susanne Wiedemeyer, DGB-Landesleiterin
Sachsen-Anhalt,
- Mathias Grabow, Sozialkombinat Ost,
- Dr. Jürgen Ude, Staatssekretär für
Strukturwandel und Großansiedlungen in der Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt.
Der Saal war mit etwa 80 - 90 Personen bis auf den letzten
Platz besetzt. Etwa die Hälfte des Publikums bestand aus jungen Menschen, wahrscheinlich
Studierenden der Hochschule. Ich entdeckte auch ältere Teilnehmer und
Teilnehmerinnen, die ich schon bei ähnlichen Veranstaltungen gesehen hatte.
Neben Privatleuten auch Vertreter der (Wohnungs-)Wirtschaft, der Politik und der
Hochschulen. Ich konnte noch in der letzten Reihe neben einem jungen Mann einen
Sitzplatz ergattern.
Ein „Kreuzverhör“ wurde es auf der Bühne nicht. Eine Gruppe
von Studierenden um die beiden Moderatoren hatte die Veranstaltung im Rahmen
eines Seminars vorbereitet und die naheliegenden Fragen zusammengestellt. Anfangs
etwas holprig, aber dann lockerer und spontaner werdend, nahm die Veranstaltung
ihren Lauf. Viel sachlich Neues zur Intel-Ansiedlung war für mich nicht zu
erfahren. Für den einen oder die andere mag aber auch Neues dabei gewesen sein.
Falsch war die Aussage der Moderatorin, dass die Chips zwei
Nanometer groß wären. Dieses Maß betrifft die kleinsten Strukturen in den zukünftig
in Magdeburg zu produzierenden Chips. Die Chips selbst sind „nackt“ und
unverpackt einige Hundert Quadratmillimeter „groß“. Mehrere Quadratzentimeter
groß in einem Chip-Gehäuse mit Anschlüssen, nachdem sie anschließend in Polen
„verpackt“ worden sind.
Als richtig empfand ich die Besetzung des Podiums – nicht als
so typisch wie bei vielen anderen
Intel-Veranstaltungen. So wurden verschiedene Perspektiven auf das Projekt möglich.
Intensiv wurden die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt diskutiert– speziell auch
die Lage auf „Nebenschauplätzen“ des Fachkräftemangels, etwa in Schulen und
Kitas. Dazu passte auch die Forderung nach „ordentlichen“ Tarifabschlüssen und
angemessener Bezahlung, nicht nur für die Intel-Beschäftigten.
Auf dem Podium:
Visionen, Befürchtungen, Fragen, Trost, Hoffnungen, Zweifel, Antworten und
Widersprüche - in Stichworten
- Schon wahrzunehmende Preissteigerungen im Wohnungs- und
Immobilienmarkt.
- Zu langsamer Ausbau der Nahverkehrs-Infrastruktur und überregionalen
Verkehrsanbindungen, inklusive einer witzig gemeinten ICE-Anspielung.
- Das Problem Arbeitsplätze kontra Fachkräftemangel kann man
lösen. Aber wie?
- Kommen die kleinen und mittelständischen Unternehmen „unter
die Räder“?
- Kann die Stadtplanung das Tempo mithalten?
- Die neue Mobilitätsstudie mit Blick in die Zukunft soll am
19. September von der zuständigen Ministerin vorgestellt werden.
- Die Frage nach den tatsächlichen Inhalten der bislang geheim
gehaltenen Verträge mit Intel wurde nicht beantwortet.
- Zieht Intel das in der jetzigen, unsicheren Marktsituation
durch?
- Könnten durch höhere Steuereinnahmen auch mehr
Sozialleistungen ermöglicht werden?
- Das Gehaltsniveau steigt, Ostdeutschland ist nicht mehr abgehängt.
- Willkommenskultur hat noch Luft nach oben.
- Durch mehr Englischkenntnisse in der Bevölkerung ist auch
mehr Öffnung möglich.
- Intel soll bei Wasserverbrauch und Kommunikation kein Tesla
2.0 werden.
- Blick nach Leipzig zeigt, was dort mit den Ansiedlungen von
DHL, BMW und Porsche gelungen ist.
- Bevölkerungszuwachs und Ausbau der Hochschul- und
Institutslandschaft.
- Das sind Probleme, die nicht an der Intel-Ansiedlung
festgemacht werden dürfen, denn die gelten für ganz Deutschland.
- Gefahr einer Zweiklassen-Ausländer-Gesellschaft.
Verständnisschwierigkeiten:
Im Gespräch mit dem jungen Mann neben mir erfahre ich, dass er Ausländer ist
und Maschinenbau an der Hochschule Magdeburg-Stendal studiert. In der
Hochschule wurde viel Reklame für die Veranstaltung gemacht. Er findet das
Thema sehr interessant. Aber die Tonqualität der Lautsprecheranlage ist
schlecht, auf der Bühne wird obendrein oft undeutlich und sowieso zu schnell
gesprochen. Obwohl mein Nachbar gut Deutsch spricht, kann er kaum folgen und
ist etwas verärgert. Ich selbst kann auch nur mit Mühe folgen.
Was sagt das
Publikum?
Zum Ende der Veranstaltung wurde auch dem Publikum die Gelegenheit
gegeben, Fragen an das Podium zu stellen. Dabei stand, wie zu erwarten, das Thema
Wasser, Boden und Energie im Mittelpunkt. Der Staatssekretär verwies auf das
Konzept – als wäre das alles schon endgültig – wie über die Elbe, den Mittellandkanal
und die Ohre der nötige Nachschub für das zusätzlich beanspruchte Grundwasser
in der Colbitz-Letzlinger Heide und somit für das Magdeburger Wasserwerk
gewährleistet werden kann.
Ich erinnere mich an die Verhandlung der Einwände zur
Teilgenehmigung der Intel-Ansiedlung vom 29. Mai 2024 in der Johanniskirche. Da
wurde das vom Staatssekretär vorgestellte Wasserkonzept als noch nicht
ausgereift diskutiert und bedurfte noch weiterer Untersuchungen und Genehmigungen.
Eine der offenen Fragen war auch die noch nicht einschätzbare Beeinflussung des
Feuchtgebietes und Biosphärenreservates Drömling. Siehe dazu auch- Aufwärtskompatibel?
Neue Industriekultur in Magdeburg durch Intel?: # 055 Ja und Amen? Die
Anhörung. (herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com)
Als die kritischen Stimmen sich mehrten und mit Applaus bedacht
wurden, stellte der Staatssekretär die ultimative Frage, die etwa so klang: Wollen wir Intel oder wollen wir Intel nicht?
Er versuchte, so einen Konsens im und mit dem Publikum herbeizuführen.
Konsens oder Konsent?
Dass man mit einem „Brechstangen-Konsens“
nicht immer gut fährt, war bereits Andrew Grove, einem der Intel-Gründer,
bewusst. Er propagierte, als einer der ersten in der Wirtschaft, das Prinzip
des Konsents. Es bedeutet, dass zwar eine Konsensentscheidung angestrebt werden
soll, wenn es aber schwerwiegende Einwände gibt, darf man sich nicht einfach
darüber hinwegsetzen. Wie man einen „Konsent“ in der Wirtschaft managt, hat
Andrew Grove schon in den 70er-Jahren mit dem Prinzip „Disagree and commit”,
also: „Nicht einverstanden sein und sich trotzdem verpflichten“ beschrieben.
Das wurde und wird gewiss bei Intel gelebt, es gehört also gewissermaßen zur DNA
von Intel. (Infos zum „Konsent“ findet man auch unter: https://digitaleneuordnung.de/blog/konsent/
)
Mit dem Konsent hat man in der Wirtschaft gute Erfahrungen
gemacht, man findet ihn auch in der „Agilen Methode“ in der Software-Branche. Warum
sollte das Prinzip nicht auch für die Politik bei der Durchsetzung der
Intel-Ansiedlung gelten? Bei einem „erzwungenen“ Konsens – also entweder oder! Vogel, friss oder stirb! – besteht die Gefahr, dass die Politik früher
oder später doch von den schwerwiegenden Einwänden eingeholt wird, obwohl man
offiziell alle Genehmigungen durchgepaukt
hat.
Andrew Grove hat noch andere verblüffende Überlegungen angestellt.
Dazu ein Gastbeitrag hier im Blog: https://herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com/2023/12/25-ein-gastbeitrag-von-dr-franz-will.html
Am Ende
Der Student neben mir verabschiedete sich Mein Nachbar
verabschiedete sich kurz vor Ende der Veranstaltung plötzlich mit einem bedauernden
Kopfschütteln und deutete an, dass er wohl nicht viel verstanden habe. Schade,
ich wollte ihn nach der Veranstaltung noch fragen, ob er sich vorstellen
könnte, nach seinem Studium in Magdeburg eine Arbeit bei Intel oder den
Zulieferern aufzunehmen. Diese Chance war dahin.
Die finale Frage: Chance oder Challenge? Die wurde
abwechselnd von der Moderatorin
und dem Moderator an die vier auf der Bühne gestellt. Sie sollten sich für das
eine oder andere entscheiden. Das Ergebnis: 3:1 für die Chance!
Mein Vorschlag: Die
zukünftige Chance für Magdeburg durch die Intel-Ansiedlung ist auch zugleich
eine große Challenge, also eine riesige Herausforderung. Das „oder“ sollte
durch ein „und“ ersetzt werden: „Chance UND Herausforderung?“ So hätte die Antwort auf der Bühne 4:4 heißen
können.
Weitere Herausforderungen:
Beim Verlassen des Forums Gestaltung fotografierte ich noch
die Kleinbusse der gerade abrückenden Polizei auf der Brandenburger Straße. Wir
hatten wohl Polizeischutz. Da sind meine Gedanken schon weiter bei der regionalen,
deutschen und weltweiten Politik. Es ist derzeit vieles in Bewegung, was auch
das Intel-Projekt betreffen kann. So wurde ich in den letzten Tagen von einem ausländischen
Journalisten gefragt, ob ich nach den Europawahlen ein zunehmendes Zittern in
Intel-Kreisen spüre, und zwar wegen der Möglichkeit einer AfD-Regierung in
Sachsen-Anhalt. Um kompetent antworten zu können, bin ich zu weit von den „Intel-Kreisen“
entfernt, war meine Antwort. Ich glaube auch, dass man ein mögliches „Zittern“ unter
der Decke halten würde.
Fakt ist, dass das endgültige „Go“ noch an viele Voraussetzungen
gebunden ist. Nicht nur an die Freigabe der deutschen Subventionen in Brüssel,
sondern auch von weiteren Genehmigungen zu den Themen Wasser, Boden sowie für den
eigentlichen Betrieb der Intel-Gesamtanlage.
Als Unsicherheitsfaktor kommt ein weiterer Aspekt dazu: Die Pläne
des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump zu neuen Einfuhrzöllen, Steuererleichterungen
für Unternehmen, zur Taiwan-Politik sowie seine extreme „America first“-Ideologie.
So kann ich mir vorstellen, dass Intel die Landtagswahlen im Herbst abwartet sowie
die Präsidentschaftswahlen im November, dann möglicherweise die Ansiedlung in
Magdeburg noch einmal durchrechnet, um dann mit der Methode „Disagree and
commit” zu entscheiden.
Dazu titelt das „Handelsblatt“ in Newsletter vom 18.7.24:
„Down dank Donald: Trump-Äußerung lässt Chip-Kurse einbrechen.“ Siehe auch den
Artikel: ASML,
Nvidia, TSMC, AMD: Aktienkurse der Chiphersteller brechen ein
(handelsblatt.com). Allerdings kommt die Intel-Aktie dabei gegen den Trend
gut weg, weil Intel eigene Chipfabriken auch in den USA hat. Zu positive Intel-Einschätzungen
verhindern dagegen Probleme im Alltagsgeschäft mit Intel-Prozessoren https://www.ntg24.de/Intel-Totalausfall-18072024-AGD-Aktien
Wie wird wohl die Kritik und die Auswertung der Seminargruppe
aussehen, die die Veranstaltung vorbereitet und durchgeführt hat? Ob sie meiner
Einschätzung folgen?
Noch zwei
interessante Podcast-Links:
Wasser und Intel: https://www.deutschlandfunk.de/130-liter-4-6-wie-intel-mit-wasser-versorgt-werden-soll-dlf-7340224b-100.html
PFAS (auch bei der Halbleiterproduktion verwendet) PFAS
im Rhein - Wie Chemikalien Wasser für immer verschmutzen (deutschlandfunk.de)