Café „Square“
Treffpunkt 10:30 Uhr, Café „Square“ am
Hassel ‒ im Schatten des Plättbolzens, in dem sich zurzeit die Magdeburger
Intel-Dependance befindet ‒ für mich günstig fußläufig zu erreichen, ich wohne
um die Ecke. „Fußläufig“, kommt mir in den Sinn, ist eigentlich „Verwaltungssprech“,
aber darum soll es heute gerade nicht gehen, ich will doch möglichst locker wirken
bei der Verabredung mit Giulia Bolognesi.
Mir fällt ein, dass ich kein Zeichen mit
ihr vereinbart habe, an dem sie mich erkennen kann. Ich schaue mich vor dem und
im Café um. An zwei Tischen jeweils zwei junge Frauen, die Studentinnen sein
könnten. Eine schaut auf, die sich vorher auf Englisch mit ihrer Tischnachbarin
ausgetauscht hat. Ich gehe hin und frage, ob wir verabredet seien. Sie ist
irritiert. Ich versuche es mit Englisch. Sie schaut sich verunsichert um. Etwa
nach Hilfe? Ich versuche, den Namen auszusprechen, den ich für einen spanischen
oder italienischen halte. Meine Gesprächspartnerin hatte bei der Verabredung geschrieben,
dass sie nicht so gut Deutsch spricht, aber nichts über ihre Nationalität. So
versuche ich es mit der vermeintlich spanischen Variante: Giulia, am Anfang mit
einer Art Rachenlaut, das klänge dann wie ein hartes Chulia [Xulia], was mir
als Münsterländer besonders gut gelingt. Aber das löst bei beiden weiter
Kopfschütteln, ja Abwehrgesten aus. Ob sie mich für einen alten CIS-Mann
halten, der plump Annäherungen versucht? Ich bin überhaupt nicht locker. Ich
verzichte auf weitere Kontaktversuche. Sie wird schon kommen, sage ich mir,
immer wieder nach draußen schauend. Die junge Frau hinter der
Selbstbedienungstheke, die mich nach meinen Wünschen fragt, vertröste ich:
Gleich muss meine Verabredung hier sein.
Italienisch-Lektion in Magdeburg
Da tritt Giulia auch schon zur Tür
herein. Ihr offener
und suchender Blick trifft mich, sie lächelt, wir sprechen uns in Deutsch an, bestätigen
durch einen Händedruck unser gegenseitiges Erkennen. Das hat schon mal
geklappt. Sie hat sich wegen der Hassel-Baustelle etwas verspätet. Wir belegen mit
unseren Taschen und Jacken einen Zweiertisch am Fenster und begeben uns zur
Theke, um unsere Bestellungen aufzugeben: Für mich einen Chai-Latte, aber bitte
aus der Dose mit dem grünen Etikett. Meine Gesprächspartnerin bestellt einen Latte
macchiato. Das ist eine gute Gelegenheit, noch an der Theke, auf unsere Getränke
wartend, ihre Nationalität zu klären: Giulia soll eher wie Julia ausgesprochen
werden, also nicht das spanische Ch [X], erklärt sie. Sie ist Italienerin.
Ihren Familiennamen Bolognesi soll ich wie „Bolognese“ bei Spaghetti
aussprechen, also ohne „G“, aber am Ende mit „I“. Sie komme übrigens
tatsächlich aus dem klassischen Bolognese-Land, aus der Nähe von Bologna zwischen
Milano und Florenz.
Wie kommt man hier als Italienerin
klar? Nun ja, ganz klassisch italienisch schmeckt der Magdeburger Latte
macchiato nicht. Die Milch-Espresso-Milchschaum-Schichtung war nicht gelungen.
Aber es gibt einige italienische Restaurants in Magdeburg, in einem jobbt sie
zwei Tage die Woche als Kellnerin, die machen es richtig, weil sie eine Original-Espresso-Maschine
haben. Sie erklärt mir das alles auf Deutsch, sie ist seit 4 Semestern hier. Ihr
Deutsch ist besser als mein Englisch, stelle ich fest, als wir mit den
Getränken unser Tischchen aufsuchen.
Unser Gespräch fließt. Ich frage, und sie
antwortet ausführlich, aber ohne mäandernd abzuschweifen. Mir geht es um das
Intel-Projekt. Unser Kontakt wurde von ihrer Professorin, Gilian Gerke, von der
Hochschule Magdeburg-Stendal vermittelt, deren Wege sich mit meinen hin und
wieder kreuzten. Zuletzt anlässlich des TASIMA-Kongresses im September, den Gilian
Gerke hauptsächlich verantwortete (siehe Blogbeitrag aus dem Oktober 2023 - https://herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com/2023/12/28-oktober-2023-der-raum-die-o-tone-die.html).
Über Gerkes und die Posts von Intel-Mitarbeiter
und Mitarbeiterinnen bei LinkedIn wurde ich auf ein gemeinsames Projekt der
Hochschule mit Intel aufmerksam, und Giulia Bolognesi war eine der
Studierenden, die da dabei waren.
Feelings
Was mich dabei interessiert? Natürlich
das Projekt selbst, aber auch das „Drumherum“, das Feeling, ihre Erfahrungen. Sie
ist immer noch begeistert: Erzählt, wie es in München in der
Intel-Deutschlandzentrale auf dem Campeon war (siehe auch meine Chip-Visite
Besuch dort, Februar 2023 - https://herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com/2023/12/07-chip-visite-im-februar-2023.html ), sie schildert
das Vorgehen bei der Abschlusspräsentation im Intel-Werk in Irland. Dabei kennt
Giulia sich in der Welt aus, lässt sich nicht so schnell beeindrucken, sie kennt
das coole Milano, hat ein Jahr in den Staaten gelebt, ist immer wieder im
hippen Berlin. Die praktische Zusammenarbeit in einem weltweit agierenden
Technologiekonzern von innen kennenzulernen und dort eingebunden zu sein, das sei
schon etwas Besonderes. Die Intel-Leute würden fundiert und sehr planvoll vorgehen,
wollen alle mitnehmen, Widersprüche gelten nicht als Eklat, weil man einer
gemeinsamen Vision folgt.
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Campeon Munich - Studierende, Professoren und Professorinnen der Magdeburger Hochschule - Foto Privat |
EDTA
Welche
Aufgabe hat Intel gestellt? Es sollte eine Lösung entwickelt werden, um die
Chemikalie „EDTA“ (Ethylendiamintetraessigsäure), die nach
der Chip-Produktion im Abwasser zu finden ist, entfernen zu können. Im Original: „Removal
of EDTA from semiconductors wastewater“. Es wurden 5 Teams aus
Studierenden im 4. Semester des Studiengangs „Sustainable Resources, Engineering and Management“,
kurz StREaM (Nachhaltige Ressourcen, Ingenieurwesen und Management) gebildet, die
ein Semester lang intensiv in einem Wettbewerb um die beste Lösung gerungen
haben.
Warum
alles in Englisch? Es ist ein internationaler Studiengang. Das heißt, dass alle
Veranstaltungen in englischer Sprachs stattfinden. Giulia Bolognesi erzählt,
dass in ihrer Studiengruppe 15 verschiedene Nationalitäten zu finden sind. Sie
zählt die meisten auf, aus Europa, Asien, Afrika, Naher Osten, alles vertreten.
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Gruppe der Hochschule Magdeburg-Stendal bei Intel in Dublin Foto: Louis Deacy - Intel-Campus |
Warum hat sie
gerade diesen Studiengang gewählt? Weil sie sich für die Umwelt engagieren
möchte und sich für Anwendungen von „Grünen Technologien“ interessiert, sodass sie
nach dem Erreichen des Bachelors viele Möglichkeiten haben möchte, was und wo
sie arbeitet. Oder sie studiert weiter. Dieser Studiengang sei in dieser
Kombination einzigartig, und in Deutschland gibt es nur an zwei, drei
Hochschulen etwas Ähnliches, aber nichts Identisches. Deswegen kam nur
Magdeburg infrage.
Zurück zur
EDTA-Aufgabe. Auf welche Lösung kam ihre Gruppe? Es wurde intensiv
recherchiert, sowohl in der technischen als auch in der rechtlichen Literatur.
Wöchentlich mussten die Teams den beiden betreuenden Professoren, Frau Dr.-Ing.
Gilian Gerke und Herrn Dr.-Ing. Benedikt Lamontain, die Zwischenergebnisse
präsentieren. Es ergaben sich tatsächlich 5 verschiedene theoretische Ansätze
für eine kleintechnische Lösung. Giulias Gruppe entwickelte eine Lösung mit
einer Nano-Membran, einer speziellen, hauchdünnen Folie, die beim Vorbeiströmen
von Abwasser EDTA zurückhält. Eines der Probleme war, die Folien wieder zu reinigen,
damit sie länger effektiv funktionieren. Aber theoretisch wäre „nur“ eine neunundneunzigprozentige
Reinigung bei diesem Lösungsansatz möglich. In Deutschland müsste die EDTA-Reinigung,
anders als in anderen europäischen Ländern, einhundertprozentig sein.
Finish in
Dublin
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Prof. Dr.
Manuela Schwartz (Rektorin), die Preisträger Robert Rehberg,
Giulia Bolognesi und Milan-Lars Lorenzen (Studierende und
Scholarships), Bernie Capraro (EU Talent Development Programme
Manager, Intel) Foto: Ruth Callinan UCD-Campus
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Und wie ging
der Wettbewerb aus? Mit der Präsentation des Lösungsansatzes bei Intel in
Irland war ihre Gruppe unter den drei besten. Drei Studierende – darunter auch Giulia
– haben als Preis ein Stipendium von Intel erhalten. Das hilft ihr, neben einem
weiteren Stipendium, finanziell über die Runden zu kommen. Dazu trägt auch ihr
Job als Kellnerin in einem italienischen Restaurant bei. Ein günstiger
Nebeneffekt: Sie kann aus ihrer „englischen Blase“ herauskommen und bei der Bedienung
von Magdeburgern weiter Deutsch lernen.
Kann sie
sich vorstellen, bei Intel zu arbeiten? Nach dem, was sie von Intel
kennengelernt hat: Die Menschen, die Technologie, die langfristige Strategie
und der Umgang mit- und untereinander: Ja, sie kann es sich gut vorstellen.
Auch mit der Stadt Magdeburg freundet sie sich an.
Perspektive
Giulia
Bolognesi wird ihren Bachelor wahrscheinlich Ende 2025 in der Tasche haben. Dann
noch ein Masterstudium? Das Timing könnte für Intel-Magdeburg gut passen. Sie
weiß, dass ihr in vielen Bereichen die Welt offensteht, als gut ausgebildeter
Frau, international erfahren und engagiert. Vielleicht Teil der zukünftigen
Magdeburger jungen Generation? Das erinnert mich an meine Hoffnungen, meinen
Idealismus von einst. Der Nachwuchs ist am Zuge. Man sagt auch „capacity
building“ dazu, nicht nur bei Intel. Wir brechen auf.
Beim Verlassen
des Cafés treten wir auf den aufgerissenen Hassel-Square, Ende Februar weit
entfernt von einem mediterranen Hassel-Piazza-Feeling. Ich zeige ihr, bevor wir
uns trennen, noch den benachbarten Plättbolzen, den kleineren, provinziellen, aber
drei Jahre älteren Bruder (oder die Schwester?) des New Yorker Flatiron-Buildings.
Aber was die Magdeburger mit „Plättbolzen“ meinen, ihr das zu vermitteln,
gelingt mir nicht.
Wieder
allein unterwegs, fällt mir ein, dass ich nicht, wie sonst üblich, weder mein
Aufnahmegerät noch meinen Fotoapparat benutzt habe. Ich wollte nicht gleich mit
der Tür ins Haus fallen. Danach war unsere Unterhaltung so anregend, dass ich
nicht mehr daran gedacht habe. Das intensive Gespräch habe ich aber in guter
Erinnerung, wie man lesen kann, und an ein oder zwei Fotos komme ich vielleicht
noch.