Montag, 26. Februar 2024

# 043 Giulia und Latte macchiato am Hassel, EDTA bei Intel

Café „Square“ 

Treffpunkt 10:30 Uhr, Café „Square“ am Hassel ‒ im Schatten des Plättbolzens, in dem sich zurzeit die Magdeburger Intel-Dependance befindet ‒ für mich günstig fußläufig zu erreichen, ich wohne um die Ecke. „Fußläufig“, kommt mir in den Sinn, ist eigentlich „Verwaltungssprech“, aber darum soll es heute gerade nicht gehen, ich will doch möglichst locker wirken bei der Verabredung mit Giulia Bolognesi.

Mir fällt ein, dass ich kein Zeichen mit ihr vereinbart habe, an dem sie mich erkennen kann. Ich schaue mich vor dem und im Café um. An zwei Tischen jeweils zwei junge Frauen, die Studentinnen sein könnten. Eine schaut auf, die sich vorher auf Englisch mit ihrer Tischnachbarin ausgetauscht hat. Ich gehe hin und frage, ob wir verabredet seien. Sie ist irritiert. Ich versuche es mit Englisch. Sie schaut sich verunsichert um. Etwa nach Hilfe? Ich versuche, den Namen auszusprechen, den ich für einen spanischen oder italienischen halte. Meine Gesprächspartnerin hatte bei der Verabredung geschrieben, dass sie nicht so gut Deutsch spricht, aber nichts über ihre Nationalität. So versuche ich es mit der vermeintlich spanischen Variante: Giulia, am Anfang mit einer Art Rachenlaut, das klänge dann wie ein hartes Chulia [Xulia], was mir als Münsterländer besonders gut gelingt. Aber das löst bei beiden weiter Kopfschütteln, ja Abwehrgesten aus. Ob sie mich für einen alten CIS-Mann halten, der plump Annäherungen versucht? Ich bin überhaupt nicht locker. Ich verzichte auf weitere Kontaktversuche. Sie wird schon kommen, sage ich mir, immer wieder nach draußen schauend. Die junge Frau hinter der Selbstbedienungstheke, die mich nach meinen Wünschen fragt, vertröste ich: Gleich muss meine Verabredung hier sein.

 

Italienisch-Lektion in Magdeburg

Da tritt Giulia auch schon zur Tür herein. Ihr offener und suchender Blick trifft mich, sie lächelt, wir sprechen uns in Deutsch an, bestätigen durch einen Händedruck unser gegenseitiges Erkennen. Das hat schon mal geklappt. Sie hat sich wegen der Hassel-Baustelle etwas verspätet. Wir belegen mit unseren Taschen und Jacken einen Zweiertisch am Fenster und begeben uns zur Theke, um unsere Bestellungen aufzugeben: Für mich einen Chai-Latte, aber bitte aus der Dose mit dem grünen Etikett. Meine Gesprächspartnerin bestellt einen Latte macchiato. Das ist eine gute Gelegenheit, noch an der Theke, auf unsere Getränke wartend, ihre Nationalität zu klären: Giulia soll eher wie Julia ausgesprochen werden, also nicht das spanische Ch [X], erklärt sie. Sie ist Italienerin. Ihren Familiennamen Bolognesi soll ich wie „Bolognese“ bei Spaghetti aussprechen, also ohne „G“, aber am Ende mit „I“. Sie komme übrigens tatsächlich aus dem klassischen Bolognese-Land, aus der Nähe von Bologna zwischen Milano und Florenz.

Wie kommt man hier als Italienerin klar? Nun ja, ganz klassisch italienisch schmeckt der Magdeburger Latte macchiato nicht. Die Milch-Espresso-Milchschaum-Schichtung war nicht gelungen. Aber es gibt einige italienische Restaurants in Magdeburg, in einem jobbt sie zwei Tage die Woche als Kellnerin, die machen es richtig, weil sie eine Original-Espresso-Maschine haben. Sie erklärt mir das alles auf Deutsch, sie ist seit 4 Semestern hier. Ihr Deutsch ist besser als mein Englisch, stelle ich fest, als wir mit den Getränken unser Tischchen aufsuchen.

Unser Gespräch fließt. Ich frage, und sie antwortet ausführlich, aber ohne mäandernd abzuschweifen. Mir geht es um das Intel-Projekt. Unser Kontakt wurde von ihrer Professorin, Gilian Gerke, von der Hochschule Magdeburg-Stendal vermittelt, deren Wege sich mit meinen hin und wieder kreuzten. Zuletzt anlässlich des TASIMA-Kongresses im September, den Gilian Gerke hauptsächlich verantwortete (siehe Blogbeitrag aus dem Oktober 2023 - https://herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com/2023/12/28-oktober-2023-der-raum-die-o-tone-die.html).

Über Gerkes und die Posts von Intel-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei LinkedIn wurde ich auf ein gemeinsames Projekt der Hochschule mit Intel aufmerksam, und Giulia Bolognesi war eine der Studierenden, die da dabei waren.

 

Feelings

Was mich dabei interessiert? Natürlich das Projekt selbst, aber auch das „Drumherum“, das Feeling, ihre Erfahrungen. Sie ist immer noch begeistert: Erzählt, wie es in München in der Intel-Deutschlandzentrale auf dem Campeon war (siehe auch meine Chip-Visite Besuch dort, Februar 2023 - https://herbert-karl-von-beesten-intel-blog.blogspot.com/2023/12/07-chip-visite-im-februar-2023.html ), sie schildert das Vorgehen bei der Abschlusspräsentation im Intel-Werk in Irland. Dabei kennt Giulia sich in der Welt aus, lässt sich nicht so schnell beeindrucken, sie kennt das coole Milano, hat ein Jahr in den Staaten gelebt, ist immer wieder im hippen Berlin. Die praktische Zusammenarbeit in einem weltweit agierenden Technologiekonzern von innen kennenzulernen und dort eingebunden zu sein, das sei schon etwas Besonderes. Die Intel-Leute würden fundiert und sehr planvoll vorgehen, wollen alle mitnehmen, Widersprüche gelten nicht als Eklat, weil man einer gemeinsamen Vision folgt.

 
Campeon Munich - Studierende, Professoren und Professorinnen der Magdeburger Hochschule - Foto Privat

EDTA

Welche Aufgabe hat Intel gestellt? Es sollte eine Lösung entwickelt werden, um die Chemikalie „EDTA“ (Ethylendiamintetraessigsäure), die nach der Chip-Produktion im Abwasser zu finden ist, entfernen zu können. Im Original: „Removal of EDTA from semiconductors wastewater“. Es wurden 5 Teams aus Studierenden im 4. Semester des Studiengangs „Sustainable Resources, Engineering and Management“, kurz StREaM (Nachhaltige Ressourcen, Ingenieurwesen und Management) gebildet, die ein Semester lang intensiv in einem Wettbewerb um die beste Lösung gerungen haben.

Warum alles in Englisch? Es ist ein internationaler Studiengang. Das heißt, dass alle Veranstaltungen in englischer Sprachs stattfinden. Giulia Bolognesi erzählt, dass in ihrer Studiengruppe 15 verschiedene Nationalitäten zu finden sind. Sie zählt die meisten auf, aus Europa, Asien, Afrika, Naher Osten, alles vertreten.

Gruppe der Hochschule Magdeburg-Stendal bei Intel in Dublin
Foto: Louis Deacy - Intel-Campus 
 


Warum hat sie gerade diesen Studiengang gewählt? Weil sie sich für die Umwelt engagieren möchte und sich für Anwendungen von „Grünen Technologien“ interessiert, sodass sie nach dem Erreichen des Bachelors viele Möglichkeiten haben möchte, was und wo sie arbeitet. Oder sie studiert weiter. Dieser Studiengang sei in dieser Kombination einzigartig, und in Deutschland gibt es nur an zwei, drei Hochschulen etwas Ähnliches, aber nichts Identisches. Deswegen kam nur Magdeburg infrage.

Zurück zur EDTA-Aufgabe. Auf welche Lösung kam ihre Gruppe? Es wurde intensiv recherchiert, sowohl in der technischen als auch in der rechtlichen Literatur. Wöchentlich mussten die Teams den beiden betreuenden Professoren, Frau Dr.-Ing. Gilian Gerke und Herrn Dr.-Ing. Benedikt Lamontain, die Zwischenergebnisse präsentieren. Es ergaben sich tatsächlich 5 verschiedene theoretische Ansätze für eine kleintechnische Lösung. Giulias Gruppe entwickelte eine Lösung mit einer Nano-Membran, einer speziellen, hauchdünnen Folie, die beim Vorbeiströmen von Abwasser EDTA zurückhält. Eines der Probleme war, die Folien wieder zu reinigen, damit sie länger effektiv funktionieren. Aber theoretisch wäre „nur“ eine neunundneunzigprozentige Reinigung bei diesem Lösungsansatz möglich. In Deutschland müsste die EDTA-Reinigung, anders als in anderen europäischen Ländern, einhundertprozentig sein.

 

Finish in Dublin


Prof. Dr. Manuela Schwartz (Rektorin), die Preisträger Robert Rehberg, Giulia Bolognesi und Milan-Lars Lorenzen (Studierende und Scholarships), Bernie Capraro (EU Talent Development Programme Manager, Intel) Foto: Ruth Callinan UCD-Campus









Und wie ging der Wettbewerb aus? Mit der Präsentation des Lösungsansatzes bei Intel in Irland war ihre Gruppe unter den drei besten. Drei Studierende – darunter auch Giulia – haben als Preis ein Stipendium von Intel erhalten. Das hilft ihr, neben einem weiteren Stipendium, finanziell über die Runden zu kommen. Dazu trägt auch ihr Job als Kellnerin in einem italienischen Restaurant bei. Ein günstiger Nebeneffekt: Sie kann aus ihrer „englischen Blase“ herauskommen und bei der Bedienung von Magdeburgern weiter Deutsch lernen.

Kann sie sich vorstellen, bei Intel zu arbeiten? Nach dem, was sie von Intel kennengelernt hat: Die Menschen, die Technologie, die langfristige Strategie und der Umgang mit- und untereinander: Ja, sie kann es sich gut vorstellen. Auch mit der Stadt Magdeburg freundet sie sich an.

 

Perspektive

Giulia Bolognesi wird ihren Bachelor wahrscheinlich Ende 2025 in der Tasche haben. Dann noch ein Masterstudium? Das Timing könnte für Intel-Magdeburg gut passen. Sie weiß, dass ihr in vielen Bereichen die Welt offensteht, als gut ausgebildeter Frau, international erfahren und engagiert. Vielleicht Teil der zukünftigen Magdeburger jungen Generation? Das erinnert mich an meine Hoffnungen, meinen Idealismus von einst. Der Nachwuchs ist am Zuge. Man sagt auch „capacity building“ dazu, nicht nur bei Intel. Wir brechen auf.

Beim Verlassen des Cafés treten wir auf den aufgerissenen Hassel-Square, Ende Februar weit entfernt von einem mediterranen Hassel-Piazza-Feeling. Ich zeige ihr, bevor wir uns trennen, noch den benachbarten Plättbolzen, den kleineren, provinziellen, aber drei Jahre älteren Bruder (oder die Schwester?) des New Yorker Flatiron-Buildings. Aber was die Magdeburger mit „Plättbolzen“ meinen, ihr das zu vermitteln, gelingt mir nicht.


Wieder allein unterwegs, fällt mir ein, dass ich nicht, wie sonst üblich, weder mein Aufnahmegerät noch meinen Fotoapparat benutzt habe. Ich wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Danach war unsere Unterhaltung so anregend, dass ich nicht mehr daran gedacht habe. Das intensive Gespräch habe ich aber in guter Erinnerung, wie man lesen kann, und an ein oder zwei Fotos komme ich vielleicht noch.

2 Kommentare:

  1. Ein toller Artikel, den ich bis zum Ende voller Interesse gelesen habe. Auch ich habe wie Julia dort studiert und mein Diplom gemacht- damals noch als eine der ganz wenigen Frauen .

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  2. Schön, dass Ihnen der Artikel gefällt. Dann sind Sie nun nicht mehr in Magdeburg?

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